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Facebook strebt nach einem Nachfolger des Internets.

Foto: Reuters / Dado Ruvic

Nach nichts Geringerem als dem Nachfolger des heutigen Internets strebt Facebook mit seinen Plänen eines "Metaverse". Wie genau das funktionieren soll? Die konkreten Details lässt das Unternehmen derzeit offen – jedenfalls ist klar, dass die Abgrenzung unserer physischen Realität mit der virtuellen künftig fließend verlaufen soll. Das Internet bekomme eine Gestalt, formulierte Konzernchef Mark Zuckerberg die Pläne etwas vage. Ein Ort, wo Menschen ihr privates und professionelles Leben digital führen, eine vollkommen vernetzte Wirklichkeit. Dafür nimmt Facebook ordentlich Geld in die Hand: Immerhin rund 10.000 Jobs schafft der Konzern in Europa, um sein Metaverse zu etablieren.

Damit ist Facebook nicht allein: Epic Games, das Spielestudio hinter dem Games-Hit "Fortnite", konnte im Frühjahr eine Finanzierung von Investoren in der Höhe von einer Milliarde US-Dollar einheimsen – mit der Ankündigung, ein Metaverse schaffen zu wollen. Und auch Microsofts CEO Satya Nadella kündigte 2020 an, ein Metaverse für Unternehmen kreieren zu wollen.

Die Realität soll verschwimmen

Den Begriff selbst prägte erstmals der Science-Fiction-Autor Neal Stephenson 1992 in seinem dystopischen Roman Snow Crash: Darin erdachte er eine Mischung aus virtueller und analoger Realität, die unser jetziges Dasein in gewisser Weise ersetzt.

In Ansätzen kennt man das aus Multiplayer-Onlinerollenspielen. Man denke etwa an "World of Warcraft" oder aktuellere Titel wie "New World", bei denen sich Spielerinnen und Spieler gemeinsam virtuell durch ganze Kontinente wagen. Anders als bei diesen Games finden sich im Metaversum mehrere, voneinander abgetrennte Räume statt einer einzelnen, gemeinsamen Welt. Erfahrungen damit machte Epic Games erstmals, als es ein virtuelles Konzert direkt in seinem Spieleuniversum veranstaltete. Facebook will noch weitergehen und nicht nur die Unterhaltungsbranche erobern. Sein soziales Medium soll direkt mit der Realität unseres Alltags verknüpft werden. User könnten etwa Möbel via Brille mit Bildschirm zu Hause ansehen, Kleidung digital anprobieren und Informationen über eine Sehenswürdigkeit direkt vor Ort nachlesen.

Marktführer Facebook

Ein derartiges Konzept ermöglichen Virtual und Augmented Reality. Im Bereich Virtual Reality (VR) – also die Darstellung eines gänzlich virtuellen 3D-Raums – ist Facebook seit dem Kauf des Herstellers Oculus ein Marktführer. Mit VR ist es möglich, gänzlich aus der Realität zu flüchten – und selbst den eigenen Körper zu ersetzen.

Eine Alternative für die bisherige Art, uns zu vernetzen, bietet der Konzern damit allein aber nicht. In den vergangenen Jahren gab es zwar den einen oder anderen Hype rund um VR. Mittlerweile ist dieser aber wieder abgeklungen: Die Technologie ist nämlich für den Massenmarkt noch zu teuer. Zur Veranschaulichung: Die VR-Brille von Oculus kostet 350 Euro. Um Inhalte darstellen zu können, braucht es zusätzlich einen leistungsstarken Gaming-PC, der sich schnell mit dem einen oder anderen Tausender zu Buche schlägt.

Dazu kommt, dass es noch keine marktreife Lösung dafür gibt, sich in den virtuellen Welten natürlich zu bewegen. Aktuell schreitet man via Joystick voran, was aber bei 3D-Welten schnell zur "VR-Krankheit" führen kann – dass dem Nutzer durch die Diskrepanz der eigenen körperlichen Wahrnehmung und dem, was das Auge sieht, übel wird. Alternativ bieten manche Games an, sich durch virtuelle Räume zu "teleportieren". Das Manko dabei: Beides widerspricht dem natürlichen Bewegungsablauf eines Menschen.

Augmented Reality (AR) im Fokus

Neben VR will Facebook aber auch auf Augmented Reality (AR) setzen. Dabei handelt es sich um eine Technologie, bei der sich virtuelle Darstellungen über die analoge Welt lagern. Die Realität wird also erweitert. Ein Beispiel ist etwa das Game Pokemon Go, bei dem man mittels der Handykamera virtuellen Wesen nachspürt. Zu entdecken sind sie dann (via Bildschirm) auf der Couch, auf realen Steinen oder in der Wiese.

In den vergangenen Jahren haben IT-Konzerne wie Google, Apple und auch Facebook die Technologie fortgeführt. Dadurch können App-Entwicklerinnen und Entwickler leichter neue Anwendungen für User schaffen.

Derartige Apps erlauben es, Objekte zu Hause darzustellen – zum Beispiel, um die Wohnung probehalber zu dekorieren. Speziell in der Pandemie, als der Handel seine Pforten schließen musste, konnte so mittels Augmented Reality der Gang ins Geschäft ersatzweise über das Handy abgewickelt werden. Das hatte den Vorteil, den Einkauf direkt im Eigenheim betrachten zu können. Auch Facebook hat das für sich entdeckt: Im Sommer kündigte der Konzern an, ein Feature zu entwickeln, mit dem Kleidungsstücke künftig anhand von Filtern digital anprobiert werden können.

Ins Sichtfeld eingreifen

Der nächste Schritt ist, die erweiterte Realität nicht bloß auf einem Gerät zu zeigen, das man aktiv bedienen muss – sondern direkt in unser Sichtfeld einzugreifen. Das Mittel: AR-Brillen. Im März stellten Forschende des Facebook Reality Labs ein noch unfertiges Armband vor, das motorische Gehirnsignale erkennt – etwa wenn man den Finger bewegen möchte. Dieses Signal wird dann aufgezeichnet und weitergegeben. Damit ließe sich etwa eine Augmented-Reality-Brille steuern: Diese ist mit einem Bildschirm ausgestattet, der digitale Inhalte überlagernd darstellen kann.

An einem solchen Produkt tüfteln angeblich Smartphone-Hersteller wie Apple, Google und Samsung seit Jahren. Google präsentierte sogar 2012 eine (gefloppte) AR-Brille.

Logische Entwicklung

Für die IT-Konzerne ist das eine logische Entwicklung: Seit Jahrzehnten nähern sich die Geräte, die wir nutzen, immer mehr an unsere alltägliche Realität. Mussten wir einst den PC am Schreibtisch aufdrehen, tragen wir den Computer heute direkt in der Hosentasche. Gleichzeitig ist das Handy eine Erweiterung unseres Gehirns geworden – mit Kontakten, To-do-Listen und dem steten Zugang zu Google, um Fakten nachzulesen.

Da erscheint es nachvollziehbar, nun direkt in unsere Wahrnehmung einzugreifen. Das einzige Problem: Das könnte bedeuten, dass wir in Zukunft wandelnde Überwachungskameras werden. Denn schon jetzt sammeln die Hersteller dieser Geräte massiv Daten – und könnten in Zukunft alles erfahren, was wir sehen. Bereits bei den Google Glasses war der Datenschutz eine zentrale Kritik. Bleibt zu hoffen, dass dieser im Fokus steht, wenn Facebook und Co unsere Realität gänzlich durchdringen. (Muzayen Al-Youssef, 24.10.2021)