Israelisches Militär wird ausgeschickt, um die Erntearbeiter im Westjordanland zu beschützen.

Foto: AFP / Jaafar Ashtiyeh

Die weiße Limousine am Rand des Olivenhains sieht verdächtig aus. "Weiß jemand, wem der Wagen gehört?", fragt Nava. Die Erntehelfer schütteln ihre stoffhutbedeckten Köpfe und strecken weiter ihre Arme ins Geäst hinein, sie zupfen Oliven vom Baum und lassen sie auf die am Boden ausgebreiteten Plastikplanen fallen. Nava nähert sich dem unbesetzten Wagen, blickt sich um. Sie wirkt besorgt.

Ein wenig später wird Bashar Ayid, der palästinensische Olivenbauer, Entwarnung geben: Das Auto gehöre jemandem aus dem Dorf. Nava ist beruhigt. Die 66-Jährige wendet aber auch weiterhin den Blick nicht vom Hügel ab, der über dem Olivenhain liegt. "Wenn sie kommen, um uns zu attackieren, dann kommen sie von dort", sagt sie. Das graue, lange Haar sorgfältig geflochten, eine bunte gehäkelte Kippa am Hinterkopf, hält sie Wache, während die Olivenpflücker ihre Arbeit machen.

Menschliche Schutzschilde

Nava Hefetz ist Rabbinerin bei den israelischen "Rabbinern für Menschenrechte". Die Organisation stellt jeden Tag einen Bus bereit, der israelische Freiwillige in palästinensische Dörfer zur Olivenernte bringt. Doch die Freiwilligen, unter ihnen fünf Rabbiner, sind nicht nur Erntehelfer: Sie sind auch menschliche Schutzschilde für die palästinensischen Bauern – für den Fall, dass sie angegriffen werden.

Die bisher letzte Attacke ist nur ein paar Tage her. Bashar sitzt im Schatten eines Olivenbaums und spielt das Video von dem Vorfall auf seinem Handy ab: Man sieht eine Handvoll junger Männer, sie rennen in den Olivenhain, setzen Gras in Brand und schleudern Steine gegen Bashars Haus, das am Rand des Gartens steht.

Die Tochter hat die Szene gefilmt, am Video hört man sie in Panik schreien. An jenem Tag wurden bei den Angriffen laut der UN-Organisation Ocha vier Palästinenser verletzt. Die Täter waren auch diesmal wieder vom Hügel gekommen: Dort liegt eine wilde Siedlung junger jüdischer Extremisten. Dieses Outpost ist auch nach israelischem Recht illegal – geräumt wird es dennoch nicht.

Bashar wischt auf dem Handydisplay weiter zu einem Foto, das ihn mit Verband am Bein und am Unterarm und mit Krücken zeigt. Sieben Monate ist es her, Siedler gingen auf ihn los, schlugen ihn krankenhausreif. Den Handgelenksbruch spüre er noch heute, wenn er die mehrere Dutzend Kilo schweren Olivensäcke schleppt.

Radikale Aktivisten

Laut Angaben mehrerer israelischer Menschenrechtsorganisationen gab es in keinem der vorangegangenen Jahre so viele Siedlerübergriffe wie heuer. Die Gewalttäter sind radikale Aktivisten, sie fordern das von Palästinensern bewohnte Westjordanland für sich. Dass Israel das Gebiet seit 1967 besetzt hält, reicht ihnen nicht. Ihren Herrschaftsanspruch demonstrieren sie in sozialen Medien, durch Lobbying, über Parteienvertreter im Parlament, aber eben auch mit Fäusten. Sie schlagen Fenster ein, töten Schafe, holzen Olivenbäume um und zünden sie an.

Jedes Jahr zur Zeit der Olivenernte gipfelt die Gewalt. Laut Ocha zerstörten die Siedler heuer allein in der ersten Woche der Olivenerntesaison 1400 Bäume oder deren Ertrag. Die Siedler wissen, dass sie hier die Bauern an einer besonders empfindlichen Stelle treffen. Das Olivenöl ist die Lebensgrundlage der Dorfbewohner. Das Kalkül der Angreifer ist, dass es den Palästinensern irgendwann zu riskant wird – und sie von hier wegziehen. Nur: wohin?

Nava ist die Denkweise der Siedler nicht ganz fremd. "Ich bin Rabbinerin, ich weiß, dass unsere jüdischen Vorfahren hier gelebt haben." Die Siedler begründen so ihren Anspruch auf das Gebiet. "Aber heute ist die Lage anders", sagt Nava. "Es gibt ein anderes Volk hier, und man kann sie nicht ihrer Freiheiten berauben."

"Pogrom", "Terrorismus"

Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren auf die zunehmende Siedlergewalt hin. Nach einem Überfall einer Siedler-Gang auf ein Dorf nahe Hebron sprachen linke israelische Parlamentarier gar von einem "Pogrom" und "Terrorismus". Als vermehrt auch israelische Soldaten Opfer von Siedler-Attacken wurden, ergriff Verteidigungsminister Benny Gantz das Wort. Er wies die Armee an, "systematisch, aggressiv und kompromisslos" gegen "jede Form von Gewalt" vorzugehen – egal von welcher Seite.

Nava hat davon bisher wenig gemerkt. Die Soldaten würden nichts gegen die Siedler unternehmen, umso mehr aber gegen die Freiwilligen. "Sie erklären das Gebiet zur Militärzone und sagen, wir sollen gehen." Burin steht unter israelischer Militärverwaltung. Manche Kommandanten seien selbst Siedler. "Und ich frage mich", sagt Nava, "wie diese Soldaten ihrer Aufgabe nachkommen können, die Bauern vor den Siedlern zu schützen."

Also übernehmen die Rabbiner diese Funktion. "Unsere Religion gebietet uns, das zu tun", sagt Nava. Aber auch die Freiwilligen bleiben von Attacken nicht verschont. Vor zwei Jahren wurden vier von ihnen von Siedlern verprügelt und teils schwer verletzt, darunter ein Achtzigjähriger.

Rose Weinberg, Mitte siebzig, kurzes weißes Haar, kennt diese Erzählungen. Sie kommt trotzdem weiter hierher. "Klar, die israelisch-palästinensischen Probleme wird so eine Aktion nicht lösen", sagt sie. "Aber wenn es hilft, dass den Bauern wenigstens ihre Ernte bleibt, dann müssen wir das tun." (REPORTAGE: Maria Sterkl aus Burin, 23.10.2021)