Für den neuen österreichischen Bundeskanzler war es der erste EU-Gipfel. In der Asylpolitik plädierte er einmal mehr für verstärkte Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern.

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Die Europäische Union will ab sofort ihre Anstrengungen verstärken, um den Migrationsdruck an den Außengrenzen im Baltikum, in Polen und auf der Balkanroute zu verringern. Darauf haben sich die 27 Staats- und Regierungschefs zum Abschluss des EU-Gipfels am Freitag in Brüssel verständigt. Das soll vor allem durch Hilfe und Dialog mit den Herkunfts- und Transitländern geschehen.

Acht von der EU-Kommission erarbeitete "Aktionspläne" sollen umgesetzt werden, heißt es in der Schlusserklärung. Sie beziehen sich auf Länder auf dem Westbalkan – wie Bosnien-Herzegowina – oder in Nordafrika – wie Tunesien und Marokko. Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge erst gar nicht Richtung EU aufbrechen. Acht Milliarden Euro werden mobilisiert.

Das Augenmerk auf die "externe Dimension" der Migrationspolitik sei deshalb wichtig, weil damit auch die EU-internen Probleme bei der Aufteilung der Asylwerber angesprochen seien, sagte Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP). Er machte sich auch dafür stark, dass die EU sich solidarisch mit jenen Staaten zeigt, die am meisten mit irregulären Grenzübertritten konfrontiert sind. Deren Bemühungen, Zäune an der Grenze zu Belarus aufzubauen, von wo Flüchtlinge durch das Regime Lukaschenko als "Waffe" Richtung EU geschleust werden, sollten unterstützt werden.

Plädoyer für Grundrechte

Litauens Präsident Gitanas Nausėda hatte die Debatte darüber angeregt. Er warnte davor, dass bald tausende Migranten im Grenzgebiet stranden könnten. Ein Zaun als "kurzfristige Maßnahme" sei nötig. Die EU-Kommission lehnt das auf Druck des EU-Parlaments ab.

Die polnische Regierung meldete am Freitag, dass binnen 24 Stunden 14 Schlepper verhaftet worden seien, seit Anfang des Monats 160. Seit Anfang Oktober habe man 12.000 illegale Grenzübertritte verzeichnet. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel mahnte zur Einhaltung der Grundrechte – er spielte auf Berichte über illegale Rückführungen durch Polen an. Zähe Debatten hatten sich die Regierungschefs in der Nacht auf Freitag zu den Energiepreisen und Rechtsstaatsverletzungen durch die polnische Regierung geliefert – ohne konkrete Ergebnisse.

Polens Premier Mateusz Morawiecki bekräftigte, dass er nicht daran denke, seinen Kurs zu ändern. Er will das Primat von Europarecht über nationales Recht nicht anerkennen, lenkte nicht ein, was die politischen Einschränkungen der Justiz betrifft. Laut Schallenberg habe es intensive Diskussionen gegeben. Die meisten hätten klargestellt, dass es "in der Union keine Werte à la carte geben" könne.

Nun will man abwarten, ob die Bemühungen der Kommission Fortschritte bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte Klagen beim Europäischen Gerichtshof an und will die von Polen eingereichten Projekte beim Wiederaufbaufonds blockieren, Subventionen von 20 Milliarden Euro. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte, man müsse noch viel über politische Integration reden, nicht nur Polen sei dagegen.

Abschied von Merkel

Um Maßnahmen gegen die gestiegenen Energiepreise sollen sich die EU-Energieminister nächste Woche kümmern. Den Staaten steht es frei, auf nationaler Ebene Heizbeihilfen zu gewähren – oder Steuererleichterungen für Betriebe. Eine direkte Marktintervention, wie sie Spanien forderte, wird es nicht geben. Keine Entscheidung gab es bei den Wünschen Frankreichs, die Nuklearenergie zu fördern.

Am Ende gab es Standing Ovations für die scheidende Kanzlerin Merkel bei ihrem 107. und wohl letzten EU-Gipfel. Sie erhielt wie der Schwede Stefan Löfven eine gläserne Nachbildung des Ratsgebäudes. Eine "große Europäerin" verabschiede sich, sagte Schallenberg; "eine Kompromissmaschine", meinte der Luxemburger Bettel; als eine, die 16 Jahre lang das Bild Europas geprägt habe, würdigte sie der Belgier Alexander De Croo. Und Merkel erklärte vor Journalisten: "Die Baustellen für meinen Nachfolger sind groß."

Für den neuen österreichischen Bundeskanzler war es der erste EU-Gipfel. In der Asylpolitik plädierte er einmal mehr für verstärkte Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern.(Thomas Mayer aus Brüssel, 22.10.2021)