Außerhalb des Idylls von Herzogenbuchsee ist der Name Amélie Moser kaum bekannt. In der Stadt im Kanton Bern ist die Frau allerdings eine greifbare historische Größe.

Als Präsidentin des Frauenvereins erwarb Moser 1890 einen Gasthof und machte das "Arbeiterheim zum Kreuz" daraus. Die Besonderheit dieses Gemeindehauses, in dem von Armut Betroffene günstig und dauerhaft wohnen konnten: Es war als erstes der Schweiz alkoholfrei – wie auch das angeschlossene Gasthaus.

Das Hotel Kreuz in Herzogenbuchsee
Foto: mw-photographics.ch/Michael Wuethrich

Das ist bis heute für viele vor Ort schwer vorstellbar, aber die von sozialen Gedanken beseelte Amélie Moser zog die Entwöhnung der Arbeiterschaft vom Alkohol mit Entschiedenheit durch. Doch damit nicht genug. Moser gründete vor Ort auch eine Haushaltsschule zur "Ertüchtigung und Verselbständigung der Frauen", wie es damals hieß, sprich, die Absolventinnen sollten auf eigenen Beinen stehen können.

Das Konterfei in der nach Amélie Moser benannten Stube des heutigen Hotel Kreuz zeigt eine nüchterne, entschlossene Frau, der man ihr Motto "Machen, nicht schwatzen" sofort abnimmt. Auch die zwölf Zimmer des Hauses sind nach historischen Persönlichkeiten der Region benannt, eines davon nach Lina Bögli. Sie gilt als die erste Reiseschriftstellerin der Schweiz.

Vorwärts anno 1904

Die Bauerntochter aus dem Oberaargau kam durch ihre Arbeit als Kindermädchen in Neapel und später als Erzieherin in Krakau auf den Geschmack. Bögli bereiste gut zwanzig Jahre lang die halbe Welt, kam in den Fernen Osten und bis nach Australien.

Ihr Reisebericht "Vorwärts!" von 1904 wurde zum Bestseller. Eine Frau, die allein in ferne Winkel reiste – das war zu jener Zeit ganz und gar ungewöhnlich. "Sie hat Frauen auf der ganzen Welt gezeigt: Wir brauchen keine Männer, um zu reisen!", fasst es Beat Hugi, der das Zentrum Lina Bögli in Herzogenbuchsee leitet, zusammen. In späteren Jahren mietete sich Lina Bögli im Hotel Kreuz ein und blieb dort bis an ihr Lebensende.

Lina Bögli auf einer Postkarte aus dem Jahr 1917.
Foto: Musée de l’Elysée Lausanne

Das nach Amélie Moser als Hotel weitergeführte Kreuz stand um 2010 vor der Schließung. Ein Teil der Bürgerschaft fand den Bau aus dem Ende des 18. Jahrhunderts aber erhaltenswert und gründete eine AG mit aktuell 600 Aktionären zur Renovierung und Weiterführung.

Historische Häuser

Der Dachstuhl wurde repariert und ein Theatersaal eingerichtet, es gibt genügend Platz für Veranstaltungen von der Hochzeit bis zum Jazzkonzert oder zur Lesung. Die Zimmer wurden von 35 auf nunmehr zwölf reduziert und nur behutsam modernisiert, um den alten Charakter zu erhalten. Immerhin ist man Mitglied der Swiss Historic Hotels.

Die junge Geschäftsführerin Jsabelle Trachsel leitet das Hotel Kreuz nun seit drei Jahren. "Ich habe gelernt, die Bedürfnisse von 599 Mitbesitzern zu berücksichtigen und trotzdem meinen eigenen Weg zu gehen", sagt sie. Der besteht vor allem darin, das Kreuz als Hotel für Gäste zu führen, die sich in historischen Gemäuern wohlfühlen. Trachsel will es aber auch zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Treffpunkt für die lokale Bevölkerung machen – vom Alkoholverbot ist übrigens keine Rede mehr.

Wanderer und Strahler

Das Binntal im Schweizer Kanton Wallis zweigt in Richtung Süden vom breiten Rhonetal ab. Es ist eine Gegend für Bergwanderer und "Strahler" – schweizerisch für Mineraliensammler. In dem Seitental nahe der italienischen Grenze eröffnete das Ehepaar Josef Schmid und Maria Schmid-Kräig im Jahr 1883 ihr Hotel Ofenhorn in der Ortschaft Binn. Während er als Wanderführer und Skilehrer den Gästen die Gegend zeigte, kümmerte sie sich um alles andere – und zog nebenbei 14 Kinder groß.

Hotel Ofenhorn: rustikal, aber immer mit Stil
Foto: Swiss Tourism

Zu den Gästen des Hauses zählten der noch unbekannte Winston Churchill im Jahr 1896, Rilke und C. G. Jung. Das Ofenhorn war nicht nur rustikal, sondern hatte immer auch Stil. Davon zeugt der original erhaltene Belle-Époque-Speisesaal, der, wie das gesamte Haus, im Jahr 2008 generalsaniert wurde. Seit 2017 wird es von Regula Hüppi geführt.

Wie richtet die Hotelière so ein geschichtsträchtiges Haus heute aus? "Meine persönliche Herangehensweise ist es, aus Respekt vor dem Haus und dessen Geschichte Kontinuität zu wahren. Unsere Gäste bekommen, wie ich gerne mottoartig sage, ‚das Historische‘ des Hauses, ‚das Natürliche‘ der Wandergegend und ,das Persönliche‘ unserer Betreuung. Und übrigens haben wir auch die Speisesaal-Tanzabende von seinerzeit wiedereingeführt!"

Pension in den Weinbergen

Im frühen 19. Jahrhundert bot das Umland von Veytaux, einer Nachbargemeinde von Montreux, nur schöne Landschaft mit Weinbergen, dem See und den Alpen im Hintergrund. Der Tourismus war kaum entwickelt, der Genfer See noch nicht als "Riviera der Schweiz" bekannt.

Regula Hüppi führte im traditionsreichen Hotel Ofenhorn in Binn die Tanzabende im Speisesaal wieder ein.
Foto: Schweiz Tourismus

Die Celebritys ihrer Zeit sollten sich erst Jahrzehnte später dort treffen, darunter, inkognito, auch Elisabeth von Österreich. Jean-François Masson, ein wohlhabender Winzer, sah das damals wohl kommen und ließ im Jahr 1829 eine der ersten Pensionen der Gegend errichten. Die Leitung übernahm seine Tochter Elise.

Ein Stich aus den frühen 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts zeigt die Pension Masson allein inmitten von Weinbergen oberhalb des Sees. In der Ferne ist die Wasserburg Château de Chillon zu sehen, eine frühere Festung der Grafen von Savoyen, heute das meistbesuchte historische Bauwerk der Schweiz. Vielleicht war das schon damals ein Argument, seinen Urlaub in Veytaux zu verbringen – fest steht, dass Elise Masson ein Talent dafür besaß, Touristen aus England, Russland und Deutschland anzulocken. Die Pension Masson war ein voller Erfolg.

Hotel Masson: konserviertes und poliertes Schmuckstück
Foto: Masson

Porträts von Elise Masson sind nicht erhalten, aber sie galt als resolut. "Im Gemeindearchiv finden sich aus jedem Jahr Eintragungen über sie. Einmal beschwerte sie sich über die zu hohen Hecken eines Nachbarn, ein anderes Mal wird sie gerügt, weil sie die Bettwäsche im öffentlichen Brunnen waschen lässt statt bei sich im Haus. Und im Alter von 54 Jahren hat sie ihren 20 Jahre jüngeren Kellner geheiratet", erzählt Evelyne Lüthi-Graf.

Die frühere Stadtarchivarin von Montreux hat ein Buch über die Pension bzw. das spätere Hotel Masson geschrieben. Seit seiner Eröffnung hatte es nie geschlossen und großteils weibliche Besitzer, zuletzt Anne-Marie Sèvegrand. Da das Haus nie größeren Umbauten unterzogen wurde, steht es heute als konserviertes und poliertes Schmuckstück aus dem 19. Jahrhundert da. Simona und Frank Laves, die es seit 2015 leiten, schauen Tag für Tag darauf, dass das so bleibt.

Der Rüffel mit dem Löffel

Das muss es einem wert sein: Um ins Bella Tola zu kommen, fährt man mit dem Bus von Siders im Rhonetal aus mindestens eine Dreiviertelstunde eine enge Serpentinenstraße hinauf. Was ein Fortschritt ist, denn in den ersten Jahrzehnten kamen die Gäste des 1859 eröffneten Hauses noch mit dem Maultier.

Hotel Bella Tola: die ersten Gäste kamen noch mit dem Maultier.
Foto: Swiss Tourism

Es liegt in der Ortschaft Saint-Luc, an den steilen Hängen des Val d’Anniviers auf über 1600 Metern. Ein Grandhotel ist das Viersternehaus nicht wegen seiner Größe und der lediglich 32 Zimmer, sondern wegen des gediegenen nostalgischen Stils mit Belle-Époque-Überbleibseln wie den Deckenmalereien, dem Stuck und den Täfelungen.

Das Bella Tola hat zwar keine historische Patronin, dafür aber eine sehr energische aktuelle: Anne-Françoise Buchs. "Ich kümmere mich um alles, was man sieht", sagt sie und meint das Ambiente, die sensibel renovierten Zimmer, die Wiesenkräuter und Zirbennadeln, die zu ätherischen Ölen verarbeitet und im Spa eingesetzt werden – und überhaupt das reibungslose Schnurren des Betriebs. "Ich bezahle nur die Rechnungen", ergänzt ihr Mann Claude.

Anne-Françoise kommt aus der Gegend, arbeitete hier bereits 1984 als Saisonnière und bekam vom damaligen Prinzipal Olivier Pont einmal einen Rüffel, als sie ihm einen Kaffee servierte: "Ja, wissen Sie denn nicht, Fräulein, dass der Löffel parallel zum Tassenhenkel liegen muss?", sagte er. Das sei ihr danach nie wieder passiert, erzählt Anne-Françoise.

Die Schweizer Reiseschriftstellerin, Fotografin und Sportlerin Ella Maillart reiste in den 1930ern unter anderem durch Afghanistan, China und den Iran. Die Aufnahme zeigt sie 1982 zurück in ihrer Heimat.
Foto: Association Les amis d’Ella Maillart / Anneliese Hollmann

Zwölf Jahre später kehrte sie mit Claude zurück, den sie auf der Hotelfachschule in Lausanne kennengelernt hatte. Die beiden erwarben das damalige Dreisternehaus und waren Gründungsmitglieder der Swiss Historic Hotels. "2001 gewannen wir einen renommierten Preis für die Erhaltung der Substanz und dachten: Warum gründen wir nicht einen Zusammenschluss von Hotels, in denen auf das historische Erbe geachtet wird?", erinnert sich Claude. Daraus gingen 2004 die Swiss Historic Hotels mit aktuell 57 Mitgliedern hervor.

Kein Spaziergang

Im Nachbarort Chandolin verbrachte übrigens die Reiseschriftstellerin Ella Maillart ihre letzten Lebensjahre. Ein kleines, in einer früheren Kapelle eingerichtetes Museum zeichnet ihren Lebensweg anhand von Briefen, Dokumenten und Fotos nach.

Wie Lina Bögli war auch Maillart eine Pionierin ihres Fachs: Sie reiste später, aber in unwirtlichere Gegenden, so etwa in den 1930er-Jahren durch Afghanistan. Wer Robert Byrons aus derselben Zeit stammende "Reise nach Oxiana" gelesen hat, weiß: Damals war das für niemanden ein Spaziergang. (Harald Sager, RONDO, 31.10.2021)