Ministerinnen Edtstadler und Zadić, Minister Mückstein: Türkise und Grüne haben sich auf schwierigem Terrain getroffen.

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Es ist ein Meilenstein wider Willen. Keine der beiden Regierungsparteien hat sich darum gerissen, die schwierige Frage der Sterbehilfe aufzugreifen. Vor allem in der ÖVP, wo die restriktive Haltung der katholischen Kirche immer noch Wegweiser ist, war die Abneigung gegen jede Liberalisierung groß. Jahrelang hat die heutige Kanzlerpartei versucht, das herrschende Pauschalverbot in der Verfassung einzuzementieren.

Dass es nun ganz anders kommt, ist natürlich der historischen Entscheidung des Verfassungsgerichtshof aus dem Vorjahr geschuldet. Dennoch verdient der Weg der ÖVP Beachtung: Zumindest ein Teil der Partei scheint sich vom undifferenzierten Nein verabschiedet zu haben.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler trat bei der Präsentation des neuen Sterbehilfe-Gesetzes nicht wie eine Politikerin auf, der es nur darum gegangen ist, so viel zu verhindern, wie der VfGH-Beschluss gerade noch zulässt. Natürlich hob die türkise Verhandlerin pflichtschuldig hervor, dass assistierter Suizid nur unter "restriktiven" Bedingungen gestattet werde. Gleichzeitig identifizierte sie sich aber mit dem entscheidenden Argument für die Selbstbestimmung: Es ist ein höchst verständlicher Wunsch schwer leidender Menschen, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen. Eine liberale Gesellschaft darf da nicht bevormunden.

Kein schikanöser Eindruck

Dieser Geist schlägt sich im vorgelegten Reglement nieder, das ein durchaus ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Liberalisierung und Kontrolle offenbart. Hätte die Regierung das Diktum des Höchstgerichts hintertreiben wollen, indem sie schikanöse Fristen und Bedingungen einbaut, wären der Fantasie keine Grenzen gesetzt gewesen. Dass es danach zumindest nach einer ersten Analyse nicht aussieht, dürfen gerade auch die Grünen als weiteren Berechtigungsnachweis für ihre Regierungsbeteiligung verbuchen.

Ja, die Beihilfe zum Suizid ist nur dann legal, wenn ein aufwendiges Prozedere eingehalten wird – aber dieses ist auch nötig, um Missbrauch und falsche Motive möglichst auszuschließen. Die Warnungen vor den nach dem Erbe gierenden Angehörigen, die Alte und Kranke in den frühen Tod treiben, mögen überzogen sein, vom Tisch zu wischen sind sie nicht. Die vorgeschriebene doppelte Aufklärung durch Ärzte kann ein Gegenmittel sein – sofern sie nicht im Husch-Pfusch-Modus stattfindet. Viel steht und fällt damit, wie die Mediziner mit der neuen Möglichkeit umgehen.

Das gilt aus entgegengesetzter Perspektive genauso. Weder Ärzte noch Apotheken sind dazu verpflichtet, jemandem bei Suizid zu helfen. Finden Betroffene in manchen Landstrichen deshalb keine Hilfe, sollte die Regierung Angebot schaffen. Sonst bleibt die verfügte Liberalisierung für manche Theorie.

Die Millionen sind nur zum Teil fix

Auf wackeligen Beinen steht noch der versprochene Ausbau der Palliativversorgung. Der Bund hat zwar viele Millionen zugesagt, doch da müssen die Länder und die Sozialversicherung mitspielen. Argumente für eine Blockade sollten schwer zu finden sein – sofern nicht im Hintergrund wieder jemand aufhetzt.

Bei allem positiven Eindruck: Für ein abschließendes Urteil ist es noch zu früh, weil Tücken im Detail stecken können. Leider ist die Zeit knapp, um das Regelwerk unter die Lupe zu nehmen. Weil die Koalition das Projekt sehr schleppend angegangen ist, geht sich nun nur eine begrenzte parlamentarische Begutachtungsfrist von drei Wochen aus. Gerade bei einer derart sensiblen Materie wiegt dieses Versäumnis schwer. (Gerald John, 23.10.2021)