Abdullah Hamdok war im März 2020 einem Attentatsversuch entkommen.

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Regierungschef Abdalla Hamdok sprach vergangene Woche von der "schlimmsten und gefährlichsten Krise", die der Sudan seit der Einrichtung einer Übergangsführung nach dem Sturz von Langzeitpräsident Omar al-Bashir 2019 durchlebt: Bei einer Pressekonferenz am Samstag – welche Gegner der zivilen Regierung zu verhindern versuchten – warnten Vertreter der revolutionären Forces for Freedom and Change (FFC) vor einem "schleichenden Coup" durch die den interimistischen "Souveränen Rat" dominierenden Militärs.

Nun sind aus den schlimmsten Befürchtungen Realitäten geworden. Montagfrüh verhafteten Militärs Minister der zivilen Regierung von Hamdok, er selbst wurde unter Hausarrest gestellt. Auch die zivilen Mitglieder des "Souveränen Rats" und die Chefs mehrerer Parteien wurden festgesetzt. Die Militärs brachten außerdem die Fernseh- und Rundfunkstation in Omdurman, jenseits des Nils in Khartum, in ihre Gewalt, Journalisten wurden verhaftet. Bei Zusammenstößen zwischen Soldaten und Demonstranten in der Nähe des Armeehauptquartiers wurden Agenturberichten zufolge mehrere Menschen verletzt.

Unruhen in den Straßen von Karthum.
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Der "Souveräne Rat" war als Teil einer Übergangslösung 2019 gegründet worden, als eine Art Präsidentschaft neben der zivilen Regierung. Den Vorsitz dieses Rats hat General Abdelfattah al-Burhan inne, sein Vize ist Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der Gründer der von Demonstranten und Demonstrantinnen gefürchteten Rapid Support Forces (RSF). Den Vorsitz des Rats hätte laut Übergangsregelung im Kürze ein Zivilist übernehmen sollen.

Ausnahmezustand verhängt

Am Montag begründete General al-Burhan in einer Pressekonferenz die Machtübernahme der Armee mit "Streitigkeiten zwischen Politikern" und der "Aufstachelung zur Gewalt", die von diesen ausgegangen war. Im ganzen Sudan herrsche fortan der Ausnahmezustand, die zivile Regierung sowie die Regionalgouverneure und der "Souveräne Rat" seien ihrer Ämter enthoben. Bis zu den für Juli 2023 geplanten Wahlen solle ein "Revolutionäres Parlament der Jugend" gebildet werden, sagte der General.

General Burhan könnte der neue starke Mann im Sudan sein.
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Internationale Bestürzung

Dass die Militärs die Macht ganz offen an sich reißen könnten, wurde bisher als für eher unwahrscheinlich gehalten, weil sie damit rechnen müssen, sofort entscheidende internationale Unterstützung, vor allem durch die USA, zu verlieren. Die USA hatten am Wochenende Jeffrey Feltman, ihren Beauftragten für das Horn von Afrika, als Krisenfeuerwehr nach Khartum geschickt. Er warnte die Militärs: Die "zivile demokratische Transition" nach dem Wunsch des Volkes sei aufrechtzuerhalten. Genützt hat es nichts. Feltman meldete sich am Montag "zutiefst alarmiert" zu Wort, ebenso wie der Außenpolitikchef der EU, Josep Borrell.

Seit die USA die Beziehungen zum Sudan normalisiert und das Land von ihrer Terrorstaatenliste gestrichen haben, hat das Land vom Internationalen Währungsfonds einen Schuldenerlass von 50 Milliarden Dollar und Zugang zu Hilfsgeldern erhalten.

Dass es zwischen den Militärs und den Zivilisten in der Übergangsführung kriselte, war nicht neu. Nach einem angeblichen Putschversuch durch wahrscheinlich Bashir-loyale Kräfte am 21. September spitzte sich die Lage zu. Burhan und Dagalo machten die Unfähigkeit der "nicht gewählten" Regierung für den Putschversuch – den manche für eine Inszenierung hielten – verantwortlich: Nur die Armee beschütze die sudanesische "Sicherheit und Einheit". Das war wohl als Ansage gemeint.

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Gespaltene Bewegung FFC

Es folgte eine Abspaltung einer Gruppe von der demokratischen Bewegung FFC: Die "FFC2", bestehend aus etwa 16 Gruppen, organisierte Proteste und ein Sit-in, bei dem die Rückkehr zu einer Militärregierung verlangt wurde. Die Zusammensetzung der FFC2 ist disparat: Militär- und Bashir-Unterstützer, Rebellengruppen, die nicht an dem Friedensschluss von 2020, dem Juba-Abkommen, teilgenommen haben (etwa die Darfurer Gruppe von Minni Minnawi), aber etwa auch der Finanzminister der aktuellen Regierung, Jibril Ibrahim. Und die FFC2 fischt auch im Pool der vielen Menschen, die von der Übergangszeit enttäuscht sind, weil sich ihre soziale Lage seit 2019 noch weiter verschlechtert hat.

Die aktuelle Wirtschaftskrise erhält zusätzliche Dramatik durch den Protest des mächtigen Verbands der Beja-Stämme im Osten des Landes. Seit September blockieren sie nicht nur weitgehend den Hafen Port Said, sondern auch die Verbindung nach Khartum. Am Wochenende gab die Regierung bekannt, keine Öltanker mehr in ihre Hoheitsgewässer einfahren zu lassen – es sind Pönalen zu befürchten, wenn die Ladungen nicht gelöscht werden können. Über Port Sudan gehen auch Waren, die für die Binnenstaaten Südsudan, Tschad und Zentralafrika bestimmt sind. Auch die Beja-Stämme forderten eine Auflösung der Regierung.

Aufruhr im Ostsudan

Im Mittelpunkt des Streits zwischen Khartum und Port Sudan ging es um das Juba-Friedensabkommen von 2020, das eine sogenannte "Ostsudan-Schiene" hat. Die Beja beklagen, dass sie nicht einbezogen wurden und dass es sich um einen Aufguss des unter Omar al-Bashir 2006, also in der Diktatur, abgeschlossenen Asmara-Abkommens handelt.

Auch dieser Konflikt war natürlich Wasser auf die Mühlen der Militärs in Khartum. Ihnen ging es aber wohl auch darum, eine im Herbst oder Winter – der genaue Termin ist umstritten – fällige Übergabe des Vorsitzes des Souveränen Rats an einen Zivilisten platzen zu lassen. Das ist im Transitionsabkommen von 2019 so vorgesehen, das den Sudan 2023 in Wahlen führen soll.

Als möglicher Kandidat dafür wurde einer der von den FFC ernannten fünf und inzwischen verhafteten zivilen SC-Mitglieder (von elf) genannt: Mohammed al-Faki Suleiman, der nach dem Putschversuch im September sehr lautstark die zivile Regierung verteidigt hat. Er ist auch Mitglied einer Kommission, die sich mit der Liquidierung des Erbes des Bashir-Regimes befasst. Auch diese wurde in den vergangenen Wochen stark von der FFC2 attackiert. Bei seiner Erklärung am Montagvormittag betonte General Burhan, die neue Führung fühle sich dem Juba-Abkommen verpflichtet.

Omar al-Bashir und Den Haag

Zwei internationale Themen hängen momentan mehr oder weniger in der Luft: Die Hamdok-Regierung hatte prinzipiell eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) beschlossen, der zwei Haftbefehle gegen Omar al-Bashir im Zusammenhang mit dem Darfur-Krieg erlassen hat. Bis dato gab es dazu wenig konkrete Bewegung: Ob die Militärs riskieren wollen, dass Bashir auspackt, ist fraglich.

Und soeben jährte sich Khartums Beschluss, sich den "Abraham Accords" anzuschließen, der Normalisierung der Beziehungen zu Israel durch einige arabische Staaten. Bei dieser Frage sind die Militärs, die stark unter dem Einfluss der Vereinigten Arabischen Emirate stehen, eher dafür, wohingegen Teile der Regierung, die Kritik der Zivilgesellschaft fürchten, eher bremsten. (Gudrun Harrer, 25.10.2021)