An der Garderobe hängt noch seine Jacke, vor der Türe steht noch sein Fahrrad, in seinem Zimmer stapeln sich die Zeitungen. Aber er selbst ist nicht mehr da, der geliebte Mensch. Der Opa, der immer den köstlichen Apfelstrudel gebacken hat, die Oma, die so schön singen konnte – oder noch viel schlimmer: Ein Elternteil oder das Geschwisterkind ist gestorben. Wie das Leben ohne sie aussehen soll, liegt jenseits der Vorstellungskraft von Kindern. Und das ist auch nicht verwunderlich, schließlich ist der Tod ja schon für die meisten Erwachsenen schwer zu fassen. Viele Eltern fragen sich daher verständlicherweise, wie sie mit ihren Kindern darüber reden sollen. Und wie fängt man ein Kind in seiner Trauer auf?

Ein Anruf bei Marion Waldenmair. Sie ist Klinische Psychologin und spezialisiert auf das Thema. Vormals hat sie im St. Anna Kinderspital mit den Angehörigen schwerkranker Kinder gearbeitet. Seit sie in eigener Praxis tätig ist, kommen immer wieder Familien zu ihr, die jemanden verloren haben. Waldenmair sagt: Der Tod ist etwas, auf das man Kinder vorbereiten kann – und sollte. Bereits mit Kleineren könne man über den Kreislauf des Lebens sprechen, am besten mit Kinderbüchern als Anschauungsmaterial. Größeren könne man nüchtern Erklärungen liefern. "Einerseits sollte man ihnen vermitteln, dass es natürlich traurig ist, wenn jemand auf einmal fehlt. Andererseits sollte man ihnen sagen, dass der Tod selbst eine Folge von ganz natürlichen Vorgängen ist." Für Kinder sei es auch wichtig zu wissen, dass der Tod "kein schlechter Ort" ist. "Es hilft ihnen, wenn sie hören, dass ein Toter nicht leidet, keine Schmerzen hat, ihm nicht im Grab kalt ist."

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Gerade für kleinere Kinder seien Begräbnisse oft nicht das Richtige. Sie verstünden den emotionalen Gehalt nicht, sagt Psychologin Marion Waldenmair.
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Von Vorteil sei, wenn Kinder zunächst einen Tod miterleben, "der ihre Bezugspersonen nicht völlig überfordert". Das könne zum Beispiel jener eines entfernten Verwandten sein, dem die Eltern weniger nahestanden, oder der eines Haustieres. "Dann sind die Eltern vielleicht traurig, aber sie haben sich im Griff." Und die Kinder bekommen im Idealfall mit, was der Ablauf ist, wenn jemand stirbt: Es gibt eine Zeremonie, bei der man Abschied nimmt, aber man trägt die Person weiterhin in seinem Herzen.

Kinder trauern anders

Rituale sind besonders wichtig – auch für Kinder. Ob es allerdings das Richtige ist, sie auf ein Begräbnis mitzunehmen, hänge vor allem von ihrem Alter ab. Kleinere Kinder könne ein Begräbnis stark verunsichern. "Sie können den emotionalen Gehalt nicht nachvollziehen, verstehen nicht, wieso jetzt alle weinen." Schulkinder seien dazu bereits in der Lage. Wichtig sei allerdings, dass eine Person dabei ist, "die nicht komplett in ihrer Trauer verfangen ist". Die für das Kind da ist und ihm immer wieder mit Erklärungen zur Seite steht. Die auf seine Bedürfnisse achtet und erkennt, wenn es ihm vielleicht zu viel wird, und mit ihm weggeht.

Kinder ab fünf oder sechs Jahren könne man auch selbst entscheiden lassen, ob sie zu einem Begräbnis mitgehen möchten oder lieber nicht. "Man kann ihnen erklären, was dort passieren wird, dass da Leute weinen werden – und es fragen, ob es dabei sein möchte." Gehen sie nicht mit, können auch andere Rituale gefunden werden: gemeinsam das Grab besuchen, eine Blume dalassen, einen Stein bemalen.

Die Trauer der Kinder sei für Eltern oft schwer zu verstehen, bemerkt Waldenmair. Viele würden sich fragen, warum sie gar nicht weinen, wenn der Opa stirbt. Die Psychologin erklärt das so: Kinder trauern weniger über die Tatsache des Todes als in den Situationen, in denen jemand fehlt. Also zum Beispiel, weil der Opa nicht mehr den Apfelstrudel zum Geburtstag bäckt oder keine Oma mehr da ist, wenn gesungen wird. "Dann spüren sie plötzlich, dass etwas anders ist, dass die Person weg ist, und sind tieftraurig." Die Trauer äußere sich jedoch nicht bei allen gleich. Der eine kann sich nicht konzentrieren oder isoliert sich, die andere verliert schnell die Fassung, tritt, zwickt und beißt. "Bei Kindern ist die Trauer oft sehr schwer zu erkennen." Äußert sich die Trauer in Wut, könnten Erwachsene oft nur schwer damit umgehen. "Wenn ein Kind weint, dann trösten wir es – schlägt es um sich, ist die Gefahr, dass wir es disziplinieren, anstatt auf sein tatsächliches Gefühl einzugehen."

Heraus aus der Tränenpfütze

Kinder trauern "punktuell", sagt die Psychologin. Sie können zutiefst traurig sein und kurz darauf wieder herzhaft lachen – während trauernde Erwachsene sich oft zusammenreißen müssen, um sich auch nur ein Lächeln abzuringen. "Man könnte es so sagen: Erwachsene können im Tränenmeer versinken. Bei Kindern sind es eher Tränenpfützen, in die sie fallen – aber eben auch schnell wieder herauskommen. Das ist ihr Vorteil."

Was sie sehr erschüttern kann: wenn ihre Eltern über eine längere Zeit in tiefer Trauer sind – etwa weil ein Geschwisterkind tot ist. "Da kann es passieren, dass Eltern ihr anderes Kind gar nicht mehr wahrnehmen, was für dieses sehr schwer ist." Es braucht dann andere Personen, die sich kümmern, etwa Großeltern, Nachbarn oder Freunde. "Dieses Netzwerk kann das Fehlen der Eltern kompensieren", sagt Waldenmair. Nach einer gewissen Zeit müssten Eltern aber aus der Trauer herausfinden. Sonst suggerieren sie: "Die Trauer über den Verlust deines Bruders wird nicht aufgehoben von der Freude, dich zu haben." Das könne schwerwiegende Störungen des Selbstwertgefühls nach sich ziehen.

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Loslassen, Abschied nehmen: Kinder trauern anders als Erwachsene. Sie können in einem Moment tieftraurig sein und im nächsten wieder ehrlich froh.
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Außerdem braucht in so einer Situation auch das Kind selbst dringend Unterstützung. Von ihrer Arbeit mit den Familien krebskranker Kinder weiß Psychologin Waldenmair: "Ein toter Bruder oder eine tote Schwester sind wohl das Allerschwerwiegendste." Besonders schwierig sei das Verarbeiten auch deshalb, weil eine Geschwisterbeziehung meist eine sogenannte "ambivalente" Beziehung ist. "Und von ambivalenten Beziehungen löst man sich am schwersten. Denn man hat ständig ein schlechtes Gewissen, das man dem anderen gegenüber nicht immer nett war, obwohl man ihn sehr lieb hatte."

Angst, dass die Eltern sterben

Und was sagt man bei der Angst, dass die Eltern sterben könnten? "Ich würde davon abraten zu sagen: 'Das passiert sicher nicht!'", sagt Waldenmair. Gerade Kindern im Schulalter sei bewusst, dass es die reale Gefahr gibt. Besser sei also zu sagen: "Das könnte passieren, aber weißt du: Wir sind noch jung und gesund, und daher ist das sehr unwahrscheinlich. Und selbst wenn, dann gibt es noch die Tante Gundi und den Onkel Karli, die auf dich aufpassen können." Diese Sicherheit sei für die Kinder wichtig. "Man kann die Angst auch normalisieren und sagen: Davor habe ich mich früher auch gefürchtet, viele Kinder tun das." Es sei wichtig, Ängste ernst zu nehmen, aber auch nicht zu dramatisieren à la: "Du hast recht, das wäre wirklich sehr schlimm." (Lisa Breit, 1.11.2021)