Die Baukräne vor ihrem Fenster haben Ingrid Krau veranlasst, zur Städteplanung in der Pandemie zu forschen.

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Als sich Anfang 2020 das Coronavirus von Wuhan ausgehend ausbreitete, hat das die deutsche Stadtplanerin Ingrid Krau nachdenklich gemacht. Ausgangspunkt war ein Wildtiermarkt, schließlich wurde das Virus zunächst in dichtbebauten Städten übertragen und erreichte dann auch ländliche Gegenden, sagt die emeritierte Professorin für Stadtentwicklung.

Ihre Überlegungen zur Verstädterung und Virusverbreitung legt sie in ihrem Buch "Corona und die Städte – Suche nach einer neuen Normalität" dar. Kürzlich war Krau auf Einladung der Research Studio Austria Forschungsgesellschaft bei der Veranstaltung "Österreich verschwindet" in Salzburg zu Gast.

"Die Gier nach Gewinnen aus Immobilien hat zur Nachverdichtung in Wien geführt." Stadtplanerin Ingrid Krau
Foto: Stadt Salzburg / Alexander Killer

STANDARD: Was hat die Corona-Pandemie mit Stadtplanung zu tun?

Ingrid Krau: Während ich für das Buch recherchierte und aus dem Fenster schaute, sah ich eine ungeheure Menge an neuen Baukränen in der Stadt München. Die Lockdowns wurden dazu genutzt, immer weiterzubauen, was sonst von der Bürgerschaft argwöhnisch betrachtet worden wäre. Wie kann man sich einerseits den Viren entziehen, indem man die Leute in ihre Behausung verbannt und andererseits den öffentlichen Freiraum in den Städten immer stärker nutzen, um weiterzubauen?

STANDARD: Welche Schlüsse sollten Städte stattdessen aus der Pandemie ziehen? Was wäre ein Lösungsansatz?

Krau: Hört auf zu bauen! Nehmt die Regionalisierung in den Blick! Da hat Bayern mit der Landesplanung ein Problem, das ist im Salzburger Land nicht anders. Es wird sehr viel im Umland gebaut, aber alles extensiv mit großer Flächeninanspruchnahme. Flächen sparen in den Städten und im Umland ist die einzig mögliche Lösung. In München hat man das Problem, dass auf Teufel komm raus gebaut wird, weil die Einwohnerzahlen zunehmen, während sich ländliche Gebiete leeren. Die Nachverdichtung darf nicht so weiter betrieben werden.

STANDARD: Sie halten die Nachverdichtung in den Städten für falsch. Was ist die Alternative?

Krau: Das Problem ist, dass viele Wohnungen sehr groß sind und dass es an Wohnungen für Menschen, die wenig Geld haben, fehlt. Das ist ein Ergebnis des Neoliberalismus und der Marktwirtschaft, die sich nach 1990 etabliert haben. Da gab es nur noch eine Sicht: Der Markt regelt alles. Jede Form von öffentlicher Intervention zählte nichts mehr. So entstehen preiswerte Wohnungen gar nicht mehr, sondern Wohnungsbau, der öffentlich gefördert wird, fällt in Bayern nach 20 Jahren aus der Sozialbindung. Ich nenne das das Sisyphus-Problem: Man wälzt den Stein hoch, baut geförderte Wohnungen, und nach 20 Jahren fällt der Stein wieder runter. Sisyphus fängt von vorn an, baut weiter und hat nach 20 Jahren wieder keine preiswerten Wohnungen. Die Preistreiberei auf den Märkten ist durch Zuzüge und die komplette Orientierung an neoliberalen Regeln bedingt.

STANDARD: Sehen Sie ähnliche Probleme in Österreich?

Krau: Österreich war einmal ein Land, das zwischen Sozialismus und Kapitalismus gestartet ist. Vieles wurde von der öffentlichen Hand bewirtschaftet. Mit dem Wendejahr 1990 ist auch hier die Gier nach Gewinnen aus Immobilien stark geworden. Das hat in Wien zu immenser Nachverdichtung geführt.

STANDARD: Viele Menschen zieht es angesichts der Pandemie aufs Land. Das treibt den Flächenfraß und die Versiegelung an. Wie kann man dieses Dilemma klimaresilient lösen?

Krau: Durch harte Landesplanung. Man muss sich verabschieden von dem neoliberalen marktwirtschaftlichen Denken, das Anfang der 90er über alle hereinbrach und behauptete, jede Regelung der öffentlichen Hand sei Sozialismus. Das war der große Bruch, von wo an Regeln zum Flächensparen beseitigt wurden und es entschied nur noch der ungesunde Menschenverstand lokal Ansässiger. Aber die Stadtplanung meldet sich stark zu Wort.

STANDARD: Inwiefern?

Krau: München sucht Kooperationen im Umland, wo preiswerter Wohnbau entstehen kann, damit nicht nachverdichtet werden muss. Auch der geförderte Wohnungsbau wird nun 40 Jahre lang festgehalten. Im Grunde ist auch das noch lächerlich. Die Städte verdichten ungemein, die Straßen sind eng, das Grün wird beschnitten. Die Corona-Pandemie hat uns das gezeigt, als wir angehalten waren, im Homeoffice zu bleiben und nicht mehr einzukaufen. Wir durften noch spazieren gehen, doch es gab keine Freiräume mehr. (Stefanie Ruep, 27.10.2021)