Sie haben ihr Baby im Tragetuch, während sie einen Konferenzvortrag halten, oder stillen während des Videocalls: Solche Fotos von arbeitenden Müttern sind eine Seltenheit. Seit knapp einer Woche häufen sich aber diese Bilder auf dem Jobnetzwerk Linkedin. Versehen sind sie mit dem Hashtag #MomToo – die Mütter wollen ihr Muttersein nicht länger im Job verstecken.

Kaitlyn WonJung Chang, Brand Innovation Lead bei Accenture Interactive Österreich, will, dass sichtbare Mütter im Arbeitsleben als genauso professionell gelten. Hier ist sie mit ihrer Tochter bei einem Vortrag zu sehen.
Foto: Niklas Schnaubelt

Angestoßen hat die Debatte Kaitlyn WonJung Chang, Brand Innovation Lead bei der Digitalagentur Accenture Interactive Österreich. Vergangene Woche hat sie beim Forward Festival in Wien einen Vortrag über die sogenannte Motherhood-Penalty und den Fatherhood-Bonus, also die Nachteile der Mutterschaft und Vorteile von Vaterschaft, gehalten. Ihre sechs Monate alte Tochter schlief derweil an ihrer Brust. Sie erzählt, dass sie sich lange selbst zensuriert habe, im Job nicht über ihr Mutterdasein gesprochen habe, aus Angst, sie könne dadurch unprofessionell wirken und Karrierenachteile erfahren.

Nun sieht die 41-Jährige das anders: "Ich bin überzeugt, dass es aktuell entscheidend ist, fließendere Grenzen zwischen Arbeit und Familie sowie Office und Home zu normalisieren. Es geht darum, auch bei der Arbeit Mensch zu sein und nicht dafür bestraft zu werden." Diese Strafen seien beispielsweise, dass Frauen nicht befördert werden oder keinen Bonus erhalten, weil sie gerade in Karenz waren, obwohl sie zuvor gut performt habe. Oder, dass Frauen als weniger motiviert gesehen würden, wenn sie pünktlich das Büro verlassen, um ihr Kind aus dem Kindergarten abzuholen. Ebenso berichten Frauen, dass ihnen gesagt wurde, es sei unpassend, einen abendlichen Anruf zu beenden, um das Baby schlafen zu legen.

"Schwanensee-Syndrom"

Der Vortrag und das Posting auf Linkedin dürften einen Nerv getroffen haben: Über 3,5 Millionen Menschen haben ihn gesehen. Viele berichten in den Kommentaren von ihren Erfahrungen, andere teilen Kinderfotos oder gratulieren Chang zu ihrem Mut. Auch wenn ehrliche Anliegen hinter ihrer Aktion stehen, schwingt der Beigeschmack mit, sich so auch als attraktiver, familienfreundlicher Arbeitgeber zu positionieren. Denn die Debatte ist freilich nicht neu: In Österreich erregte bereits im Jahr 1990 die Grünen-Politikerin Christine Heindl Aufregung, als sie im Parlament ihren Sohn stillte. 30 Jahre später hat sich die Situation für arbeitende Mütter kaum verändert.

Unsere Arbeitswelt funktioniert laut Chang noch immer nach der Norm einer Nine-to-five-Fünftagewoche und der Annahme, dass hauptsächlich der Mann arbeitet und die Frau bei den Kindern ist. "Wenn das die Norm ist, werden jene, die ihr nicht entsprechen, schnell diskriminiert und bestraft", sagt sie. Etwa Teilzeit arbeitende Mütter oder Mamas in Führungsposition. Zudem führe es dazu, dass die Belastung steigt: Mütter müssten im Job wie eine "Superwoman" auftreten, gleich wie ihre männlichen Kollegen agieren, Arbeit und Familie komplett trennen. Zumal noch immer die meisten Frauen wegen eines Kindes Stunden reduzieren und nebenbei die Haushaltstätigkeiten übernehmen, zeigt die Statistik.

Chang nennt das das "Schwanensee-Syndrom": "Wie Schwäne gleiten viele Frauen anmutig übers Wasser, aber paddeln unter Wasser wie verrückt. Letztlich zeigt sich das nicht nur in einem höheren Burnout-Risiko, sondern auch in niedrigeren Frauenanteilen in Führungspositionen. Das ist weder natürlich noch nachhaltig." Denn sobald sich Frauen nicht so verhalten, gelten sie als unprofessionell, erläutert Chang. Väter erlebten das eher selten – auch wenn es Fälle gebe, wo Männer diskriminiert wurden, weil sie in Elternteilzeit gegangen sind oder sich die Karenz auf das Gehalt auswirkte. Meist erhalten sie Beifall, wenn sie früher gehen, um ihr Kind aus dem Kindergarten abzuholen, oder ein Familienfoto auf ihrem Schreibtisch steht.

Hybride Arbeitskultur

Im aktuellen Wandel der Arbeitswelt, einer hybriden Arbeitskultur, liege eine Chance für bessere Arbeitsstrukturen für Mütter, sagt Chang. Denn die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Als Eltern im Homeoffice und Kinder im Homeschooling waren, verschwammen die Grenzen, Kinder wuselten im Hintergrund durch den Videocall, oder jemand klinkte sich aus, weil das Baby schrie. Andere waren am Nachmittag ein paar Stunden offline und arbeiteten, sobald das Kind im Bett war. Man hatte im Team Verständnis für die Ausnahmesituation.

Wenn es nach Jungmutter Chang geht, soll das keine Ausnahme bleiben, sondern die neue Arbeitswelt werden: "Das ist eine große Chance, das gesellschaftliche Mindset hinsichtlich flexibler Arbeitszeiten zu verändern." Erst wenn sich niemand mehr fürchten müsse, Nachteile zu haben, weil sie oder er flexibel arbeiten wollen, könnten Strukturen am Arbeitsplatz umgesetzt und tatsächlich angenommen werden – von Müttern und Vätern.

Solche Strukturen wären laut Chang beispielsweise individuelle Homeoffice-Tage, flexible Arbeitszeiten, oder dass Mütter und Väter einfacher – je nach Lebensphase des Kindes – Stunden flexibel reduzieren oder aufstocken können. Auch Jobsharing, also eine (Führungs-)Position auf zwei Teilzeitarbeitende aufzuteilen, sei eine gute Möglichkeit für Mütter. Viele Unternehmen machen sich derzeit ohnehin Gedanken, wie ihre Arbeitswelt nach der Pandemie aussehen soll, wie hybrides Arbeiten bestmöglich funktioniert.

Nicht für alle

Doch flexibel zu arbeiten ist ein Privileg einer Minderheit der Beschäftigten. Eine Supermarktkassiererin kann nicht von zu Hause aus arbeiten, geschweige denn ihr Kind neben sich ans Kassaband setzen. Familie und Beruf hybrid bestmöglich vereinen werden auch künftig wohl nur die wenigsten Mütter können. Deshalb plädiert Chang etwa für mehr Betriebskindergärten, um auch die Anfahrtswege zu verkürzen.

Doch dieses Privileg ging in der Pandemie auch mit einem Nachteil einher: Mütter im Homeoffice klagten besonders häufig über stärkere Belastung. Eltern berichteten davon, dass es nahezu unmöglich sei, zu Hause zu arbeiten, während die Kinder da sind. Ist es also nicht das falsche Signal, wenn Chang für weniger Grenzen zwischen Job und Familie plädiert? Nein, sagt sie: "Als ich mit meiner Tochter auf die Bühne ging, wollte ich damit nicht vermitteln, dass jeder immer sein Kind zur Arbeit bringen sollte. Sondern wenn sich jemand für flexible Arbeitsformen entscheidet, sollte die Person deswegen nicht benachteiligt oder ihre Professionalität infrage gestellt werden." (Selina Thaler, 28.10.2021)