Die Ratten sind schon da. Seit Monaten erschrecken die Glasgower Medien die Öffentlichkeit mit blutrünstigen Geschichten über aggressive Nager, die Müllmänner attackieren und Privathäuser unsicher machen sollen. 1,3 Millionen der Allesfresser, schätzen die Experten, treiben sich derzeit in der schottischen Metropole herum, mehr als doppelt so viele, wie Glasgow Einwohner zählt.

Die Zustände könnten leicht noch schlimmer werden: Kommende Woche wollen die Bediensteten von Straßenreinigung und Müllabfuhr für höhere Löhne streiken – ausgerechnet während der Weltklimakonferenz COP 26, an der in den kommenden gut zwei Wochen mehr als 30.000 Menschen teilnehmen wollen – als Delegierte, Beobachter, Journalisten oder Aktivisten und Demonstranten. Vor der offiziellen Eröffnung am Sonntag sind längst intensive Vorgespräche im Gang; die ärmsten Länder, die Staaten Afrikas, die Gruppe 77, der 134 Entwicklungsländer sowie China angehören, wollen vorab ihre Verhandlungsstrategien festlegen.

Globale Anstrengung

Als Ziel haben die Vereinten Nationen und COP-Präsident Alok Sharma für das Gastgeberland Großbritannien die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad ausgegeben. Einem neuen Bericht der UN-Umweltagentur Unep zufolge bedürfte es dafür einer beinahe übermenschlichen globalen Anstrengung: Statt der notwendigen Reduzierung klimaschädlicher Emissionen um 45 Prozent bis 2030 sehen die derzeitigen nationalen Pläne (NDCs) gerade einmal einen Rückgang um 7,5 Prozent vor. Das hätte eine katastrophale Erwärmung von schätzungsweise 2,7 Grad zur Folge. Von einem "donnernden Weckruf" spricht UN-Generalsekretär António Guterres. Und selbst der normalerweise stets optimistisch auftretende Premierminister gab sich diese Woche kleinlaut: "Es wird sehr, sehr schwierig", vertraute Boris Johnson britischen Schulkindern an.

Ein Aktivist, verkleidet als Boris Johnson. Kritiker attestieren der britischen Regierung Ziellosigkeit beim Kampf gegen den Klimawandel.
Foto: Imago / Andrew Milligan

Täglich bombardiert Downing Street die Hauptstadt-Presse mit zunehmend verzweifelter klingenden Mitteilungen über Johnsons Telefonate mit Regierungschefs aus aller Welt. Da wird Vietnam beschworen, sich der Klimaneutralität ("Net Zero") bis 2050 zu verschreiben; da werden Indonesien und Russland gebeten, das auf 2060 festgelegte Ziel um zehn Jahre nach vorn zu verlagern; da wird die Bedeutung von Inselnationen wie den Fidschi betont, die der Anstieg des Meeresspiegels buchstäblich mit dem Untergang bedroht.

Intensive Lobbyarbeit

Sonderlich aufmunternd scheinen die Gespräche nicht zu verlaufen. Darauf deuten auch Zehntausende interne Dokumente des Weltklimarats IPCC hin, die via Greenpeace der öffentlich-rechtlichen BBC zugespielt wurden. Sie verdeutlichen die intensive Lobbyarbeit führender CO2-Sünder aus allen Teilen der Welt – vom Kohleexporteur Australien über die Ölförderländer Saudi-Arabien und Norwegen bis hin zu Russland wehren sich die Betroffenen mit Händen und Füßen gegen die angestrebte rasche Vermeidung fossiler Brennstoffe.

In der Schwebe hängt auch das bereits 2009 bei der Konferenz in Kopenhagen abgegebene Versprechen führender Industrienationen, sie würden Entwicklungsländern 100 Milliarden Dollar für Projekte zur Dekarbonisierung zur Verfügung stellen. Die Finanzierung der Klimawende steht kommende Woche im Mittelpunkt von COP 26.

Schon zu Wochenbeginn versammeln sich mehr als 120 Staats- und Regierungschefs in Glasgow, um die Konferenz auf den Weg zu bringen. Fehlen werden nicht nur die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin – und damit die Chefs zweier bedeutender Umweltverschmutzer.

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Nicht nur in Glasgow, sondern auch in anderen Teile der Welt (hier China) sind Klimaaktivisten bereits ziemlich aktiv.
Foto: AP/Aaron Favila

Auch das gastgebende Staatsoberhaupt hat seine Teilnahme abgesagt: Der 95-jährigen Queen haben die Leibärzte eine Kürzung ihres Arbeitspensums verordnet. Neben der Videobotschaft von Elizabeth II kommen die Gäste immerhin auch ein wenig royalen Glamour live in Person ihres Sohnes Charles sowie ihres Enkels William, die Nummern eins und zwei der Thronfolge.

Prinz Charles tritt seit Jahrzehnten für Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein. Die Welt müsse jetzt im Kampf gegen den Klimawandel vorankommen, sonst drohe eine Katastrophe, argumentiert der 72-Jährige: "Denn den Stress, der durch die Wetterextreme erzeugt wird, kann die Natur nicht überleben."

Kostenloser Unterschlupf

Für die Glaswegians geht es zunächst einmal darum, die Belastung durch die zahlreichen Besucher zu verkraften. Mitte dieser Woche hatten mehrere Tausend COP-26-Teilnehmer noch keine Ahnung, wo sie sich vom Konferenzstress würden erholen können. "Allein auf unserer Warteliste stehen 3.000 Menschen", berichtet Katherine Jones vom Klimabündnis SCCScot. Immerhin 1.300 finanzschwache Delegierte und Beobachter dürfen kostenlos bei rund 1.000 Privathaushalten unterschlupfen, die sich bei Jones und ihrem Team gemeldet haben. Mehr sei nicht drin: "Bitte kommen Sie nicht, wenn Sie keine Unterkunft haben." (Sebastian Borger aus London, 28.10.2021)