Nicht nur palästinensische, sondern auch israelische Aktivisten protestierten gegen die Bewertung bestimmter NGOs als Terrorgruppen.

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Braungebrannt, dunkle Sonnenbrillen und ein breites Grinsen – dergestalt ließ sich Benjamin Netanjahu filmen, als er sich am Dienstag durch die Menschenmenge am beliebten Machane-Yehuda-Markt in Jerusalem zwängte. Was versüßt dem entmachteten Machtmenschen, der seit vier Monaten seinen Nachfolgern beim Regieren zusehen muss, so sehr das Leben? Es ist ausgerechnet die neue Regierung selbst.

Seit Wochen knirscht es im Sieben-Parteien-Kabinett unter dem neuen Premier Naftali Bennett. Die Bruchlinien, die es von Anbeginn gab, werden nun nicht mehr im Verborgenen gekittet: Immer öfter richten sich Koalitionsvertreter ihren Missmut auch in sozialen Medien oder sogar per Pressekonferenz aus.

Linke legen sich quer

Zunächst war es vor allem Innenministerin Ayelet Shaked, die per Tweet oder Interviewstatement verdeutlichte, dass ihre Loyalität zur Koalition enden wollend ist. Nun sind es zunehmend auch die Linksparteien, die sich querlegen. Um die Flamme klein zu halten, soll Bennett die Abgeordneten seiner Jamina-Partei unlängst darauf eingeschworen haben, sich künftig bitte nicht mehr öffentlich zum Palästinenserthema zu äußern. Man wolle ja die Linken nicht erzürnen.

Den Job des Zündelns hat nun aber schon ein anderer erledigt: Verteidigungsminister Benny Gantz von der Partei Blau-Weiß hat mit seiner Entscheidung, sechs palästinensische Menschenrechts-NGOs zu Terrororganisationen zu erklären, für Zorn im In- und Ausland gesorgt. Mehrere Minister der Arbeiterpartei und der Linkspartei Meretz gingen auf Distanz.

Nun liegt es an den Spitzen in Geheimdienst und Außenministerium, zumindest die Kritiker im Ausland zu besänftigen. In den kommenden Tagen werden sie in Washington erklären müssen, was Gantz zu der umstrittenen Entscheidung veranlasst hat. Washington wirft Jerusalem vor, nicht vorab informiert worden zu sein – Israel bestreitet das. Es wird den Abgesandten nicht leichtfallen, die Wogen zu glätten. Die USA zeigten sich zuletzt auch wegen des jüngst von Israel verlautbarten Siedlungsausbaus "tief betroffen". Die diplomatischen Verstimmungen mit dem wichtigsten Verbündeten Israels werden den Hausfrieden in der brüchigen Koalition nicht gerade beseelen.

Geheime Grundlagen

Scharfe Kritik am israelischen NGO-Erlass kam auch von UN-Menschenrechtshochkommissarin Michelle Bachelet. Die Entscheidung sei ein "Angriff auf Verteidiger von Menschenrechten" sowie auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und sollte "unverzüglich widerrufen" werden. Zu den sechs Organisationen auf Israels neuer Terrorliste zählten "einige der angesehensten humanitären Einrichtungen" in den Palästinensergebieten, erklärt die UN-Vertreterin. Man habe mit ihnen "jahrzehntelang eng zusammengearbeitet".

Israels Verteidigungsminister hat die Entscheidung auf Basis "geheimer" Grundlagen getroffen. Was den NGOs konkret angelastet wird, ist somit weder für die Öffentlichkeit noch für die betroffenen NGOs nachvollziehbar. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 27.10.2021)