Erspartes oder Erspekuliertes? Auch darum dreht sich die Debatte um die Behaltefrist für Wertpapiere. Bei Aktien werden auf Kursgewinne, Zinsen und Dividenden 27,5 Prozent Kapitalertragssteuer fällig – egal wie lange die Wertpapiere gehalten werden.

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Und sie kommt doch nicht, die Behaltefrist für Aktien – zumindest vorerst. Zwar sieht das türkis-grüne Regierungsprogramm vor, dass Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren steuerfrei gehen sollen, dauert die Veranlagung lange genug. In der ökosozialen Steuerreform ist aber keine Rede von einer fristabhängigen Abschaffung der Kapitalertragssteuer (KESt). Im Gegenteil: Wo die Frist noch gilt, soll sie verschwinden. Die Rede ist von Krypto-Assets wie etwa Bitcoin. Egal wie lange die Veranlagung gehalten wird: Künftig werden hier beim Verkauf wohl 27,5 Prozent Steuern auf die Gewinne fällig – wie bei Aktien auf Kursgewinne, Zinsen und Dividenden.

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Regierung Neuregelungen für Derivate sowie Krypto-Assets trifft. In Österreich gab es jedenfalls bis 2012 eine allgemeine Behaltefrist. Abgeschafft wurde sie unter dem roten Kanzler Werner Faymann. Aus gutem Grund, wie man noch heute bei der SPÖ betont, würden Spekulationsgeschäfte besteuert.

Auch Sparer betroffen

Allerdings stecken nicht nur Spekulanten Geld in Aktien, sondern auch Sparer, wie etwa Nikolaus Jilch von der wirtschaftsliberalen Agenda Austria betont. Nur weil ärmere Haushalte selten Aktien besitzen, seien Aktien nicht etwas für Reiche. Die Argumentation hinke. Im Gegenteil: Angesichts der niedrigen Zinsen, die es auf Spareinlagen gibt, hätten Sparer oft gar keine andere Wahl, wenn sie nicht der schleichenden Entwertung ihres Geldes zusehen wollen.

Bei der konkreten Ausgestaltung der Behaltefrist hätte der Gesetzgeber jedenfalls Spielraum. Die Behaltefrist, wie sie bis 2012 vorgesehen war, dauerte ein Jahr. Denkbar wäre aber auch ein längerer Zeitraum oder ein jährlicher Freibetrag, wie er derzeit etwa in Deutschland vorgesehen ist: Auch dort wurde die Behaltefrist für Kapitalvermögen 2009 abgeschafft. Für Privatpersonen sind Gewinne aus Aktienverkäufen aber bis zu einem Betrag von rund 800 Euro steuerfrei.

FÜR: Das Sparbuch ist tot, und bei Aktiengewinnen beansprucht der Fiskus mit 27,5 Prozent mehr als ein Viertel. Denkt denn niemand an die Sparer, mag sich da mancher fragen. Wenn das Sparbuch kaum bis keine Zinsen abwirft – auf dem Bankkonto sind die realen Zinsen sowieso negativ –, bleibt für Sparer neben Aktiensparen wenig übrig. Die Kapitalertragssteuer wird nicht bloß von Spekulanten entrichtet, sie trifft auch Menschen, die ihr Erspartes bloß vor schleichendem Wertverfall schützen wollen.

Dabei gibt es ein probates Mittel, mit dem der Fiskus zwischen Investoren und Sparern unterscheiden könnte: die Behaltefrist. Wer spart, sucht nicht den kurzfristigen Gewinn. Das Geld bleibt in den Aktiendepots oft über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte liegen. Werden die Aktien verkauft, haben Anleger vielleicht schon das Pensionsalter erreicht und entsparen – also geben das Geld wieder aus.

Dauer ist sekundär

Dabei ist Nebensache, ob die Frist ein Jahr, fünf Jahre oder zehn Jahre beträgt. Die Wiedereinführung wäre ein Signal an die Sparer mit der Botschaft: Kauft Aktien und haltet sie. Gerade junge Menschen haben sich ohnehin längst damit abgefunden, dass das Sparbuch keine Alternative mehr ist, und stecken ihr Geld vermehrt in riskantere Anlagen. Es gibt beim Aktiensparen zwar Anlagestrategien, die das Risiko weitestgehend minimieren. Ganz risikofrei ist der Kapitalmarkt aber nie. Wenn Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen in Aktien investieren, ist das mutig und sollte auch honoriert werden.

Grundsätzlich gilt natürlich: Je länger die Behaltefrist, desto weniger haben Spekulanten davon. Aber Jahrzehnte sollte sie vielleicht auch nicht betragen.

WIDER: Kapitalanlagen sind etwas für Vermögende und Auskenner. Die Wiedereinführung einer Behaltefrist würde Aktionäre entlasten – und damit Menschen, die genug Geld haben, das sie in den Kapitalmarkt investieren können. Profiteure der Reform wären also in erster Linie Wohlhabende, die das Risiko von Kursschwankungen in Kauf nehmen können. Geringverdiener hätten von der Wiedereinführung einer Behaltefrist wenig bis gar nichts.

Dass die Zahl an Privatinvestoren durch die Reform tatsächlich steigen würde, darf man zumindest bezweifeln. Die große Mehrheit der kleinen Sparer kann jeden Monat nur ein paar Hundert Euro auf die Seite legen. Sie wird nicht allein wegen einer kleinen Steuerreform beginnen, in den Kapitalmarkt zu investieren. Auch mit Abschaffung der Behaltefrist im Jahr 2012 brachen die Aktienkäufe nicht plötzlich ein.

Dass Geringverdiener derzeit kaum Wertpapiere kaufen, liegt nicht daran, dass sie fürchten, Gewinne versteuern zu müssen. Menschen mit wenig Einkommen sehen ihre Ersparnisse trotz Inflation lieber auf einem sicheren Sparbuch als auf dem volatilen Kapitalmarkt – nicht zuletzt auch aufgrund größerer Kurseinbrüche im Zuge der Finanzkrise 2008 oder der Corona-Pandemie. Dazu kommt, dass Menschen oftmals die Finanzbildung fehlt, um Risiken richtig einschätzen zu können.

Andere Anreize

Will man Sparer dazu bringen, in die Wirtschaft zu investieren, müsste man in erster Linie dafür sorgen, dass ihnen am Ende des Monats mehr Geld übrig bleibt – etwa durch eine Senkung der Einkommenssteuer. Auch Nikolaus Jilch von der wirtschaftsliberalen Agenda Austria kann der Behaltefrist viel abgewinnen. Als Signal an Sparer brauche es aber nicht grundsätzlich eine Frist. "Eine Senkung der KESt würde es auch tun", sagt er.

Die Abschaffung der Behaltefrist im Jahr 2012 war Teil eines Systemwechsels. Gleichzeitig wurde damals auch die Immobilienertragssteuer eingeführt. Wären Gewinne aus dem Verkauf von Kapitalvermögen künftig wieder steuerfrei, wäre der private Immobilienhandel, der einem Steuersatz von 30 Prozent unterliegt, stark benachteiligt. (Jakob Pflügl, Aloysius Widmann, 30.10.2021)