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Um die Energiewende zu schaffen, muss die Kapazität an Wind- und Solarkraftwerken kräftig aufgestockt werden.

Foto: Reuters / Andrew Boyers Montage: Friesenbichler / DER STANDARD

Kaum zu glauben, aber von Energiewende war schon vor gut 40 Jahren die Rede. Der Begriff, der den Übergang von der nicht nachhaltigen Nutzung fossiler Energieträger zu Erneuerbaren wie Wind, Sonne oder Biomasse beschreibt, geht auf das 1980 erschienene Buch Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran des Öko-Instituts Freiburg zurück. Kernenergie kommt darin, weil nicht nachhaltig, schlecht weg.

Österreich hat seit dem knappen Volksentscheid gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf (50,5 Prozent stimmten im Herbst 1978 dagegen) das Thema ad acta gelegt. Andere Länder wie Frankreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn und neuerdings verstärkt auch Polen sehen hingegen nur mit Atomkraft eine Möglichkeit, bei der Stromproduktion Kohle, Öl und Gas möglichst sauber zu ersetzen.

Hierzulande ist der Weg vorgezeichnet, wie das Ziel von 100 Prozent erneuerbare Energien beim Stromverbrauch bis 2030 erreicht werden soll, zumindest theoretisch. Dazugesagt werden muss, dass es sich dabei um eine bilanzielle Betrachtung handelt. Denn im Winter muss wohl oder übel auch in Zukunft Strom importiert werden, wenn die Sonne nur wenige Stunden scheint und Windräder sowie Wasserkraftwerke auch nicht die volle Leistung bringen. Mehrproduktion im Sommer soll dieses "Defizit" im Jahresschnitt dann ausgleichen.

27 Terawattstunden

Hierzu sind diverse Szenarien berechnet, Potenziale erhoben und mit möglichen Einsparungen durch effizienteren Einsatz von Energie in Einklang gebracht worden. Das realistischste Szenario läuft auf eine Zahl hinaus: 27 Terawattstunden (TWh). So viel zusätzlicher Ökostrom wird nötig sein, um das Ziel von bilanziell 100 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 zu schaffen.

"Grob gesagt entspricht das einer Verdoppelung der Kapazität im erneuerbaren Bereich, ein sehr sportliches Ziel", sagt Michael Strugl, Verbund-Chef und gleichzeitig Präsident von Österreichs Energie, im Gespräch mit dem STANDARD. "Nur ein Bruchteil davon ist bereits realisiert, und es sind keine neun Jahre mehr bis 2030." Wobei Strugl nichts von Festklammern an ein bestimmtes Datum hält.

Preisrallye bei Fossilen

"Es wird nicht darauf ankommen, ob wir bis 2030 die 100 Prozent schaffen oder erst 2032 so weit sind. Wichtig ist, dass wir jetzt tatsächlich große Schritte beim Ausbau machen und vor allem auch machen können", sagt Strugl. Projekte gebe es genug, die Umsetzung sei aber alles andere als einfach.

Dafür sorgen aktuell auch die Preise für Öl und Gas, die seit Monaten nur eine Richtung zu kennen scheinen – die nach oben. Rohöl hat sich seit Jahresbeginn um fast 70 Prozent verteuert, Erdgas im Großhandel um mehr als das Vierfache. Das merken Autofahrer beim Tanken schon sehr stark, davon können aber auch Haushalte ein Lied singen, die neue Gaslieferverträge abschließen und deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Schon wird allenthalben die Forderung laut, steuernd in den Markt einzugreifen, ja sogar die Energiewende zu verschieben.

Experten raten davon ab. Wäre früher schon massiv in erneuerbare Energien investiert worden, wäre die Abhängigkeit von Öl und Gas geringer, und die saftigen Preiserhöhungen wären ein geringeres Problem, lautet das Argument. Dass die Preise nach der Talfahrt im Corona-Jahr 2020 so stark gestiegen sind, hat auch mit dem unerwartet starken Anspringen der Konjunktur zu tun, das auch von Öl- und Gasproduzenten unterschätzt worden ist.

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Dank der Wasserkraft hat Österreich jetzt schon einen vergleichsweise hohen Anteil erneuerbarer Energien.
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Mit einem Anteil von etwa 75 Prozent erneuerbarer Energie liegt Österreich bei der CO2-freien, sauberen Stromproduktion schon jetzt deutlich über dem EU-Schnitt von 34 Prozent. Das ist aber zu einem Großteil der Wasserkraft geschuldet, über die andere Länder nicht oder in viel geringerem Ausmaß verfügen. Aktuell sind in Österreich über 700 Lauf- und rund 3100 Kleinwasserkraftwerke in Betrieb. Sie stehen für rund 60 Prozent des erzeugten Stroms.

Was sind nun die kritischen Faktoren, die einen raschen Ausbau der neuen Erneuerbaren abseits der Großwasserkraft bremsen könnten? Strugl führt drei Punkte an: nicht genügend Flächen, um die notwendige Zahl an PV-Anlagen und Windrädern errichten zu können. Dazu Genehmigungsverfahren, die Jahre dauern, und eine schwindende Akzeptanz seitens der Bevölkerung, wenn es um erneuerbare Energien vor ihrer Haustür geht.

Länder in der Pflicht

Für die Flächenwidmung sind die Länder zuständig, dort entscheidet sich, ob gebaut werden kann oder nicht. Verfahrenskonzentration unter Berücksichtigung legitimer Parteienrechte könnte laut Strugl zu einer Beschleunigung der Abläufe und schnelleren Genehmigungen führen, insbesondere auch, wenn die personelle Ausstattung der Behörden verbessert werde. Ein Sachverständigenpool aus zivilen Gutachtern könnte dabei überlasteten Amtsgutachtern beispringen. (Günther Strobl, 28.10.2021)