Thomas Müller und Robert Lewandowski wird die im Borussia-Park servierte Kost länger schwer im Magen liegen.

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Breel Embolo hatte großen Spaß mit den Bayern.

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Nach dem 2:0 durch Ramy Bensebaini begannen die Dämme zu brechen.

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Der unfassbare Endstand.

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Mönchengladbach – Von "traumwandlerisch" zum Albtraum, von "so gut wie nie" zu historisch schlecht: Beim "FC Hollywood" herrschte nach dem Gladbacher Horrorfilm Schockstarre. "So ein kollektives Versagen in so einem wichtigen Spiel habe ich noch nicht erlebt", sagte Thomas Müller nach der historischen 0:5-Pokalschmach seines FC Bayern fassungslos. Und der Mann spielt seit der Jahrtausendwende für die Münchner.

Der desolate Rekordmeister sei von der entfesselt aufspielenden Borussia "in der ersten Halbzeit von A bis Z zerpflückt worden", fügte der Führungsspieler mit finsterer Miene an: "Wir müssen uns bei unseren Fans entschuldigen." Gladbachs Trainer Adi Hütter musste das logischerweise nicht.

Am Tag nach der Sensation schwebte Borussia Mönchengladbach noch immer auf Wolke sieben. "Nein, das war kein Traum", twitterte der VfL am frühen Morgen für die zweifelnden Fans und stellte als Beweis ein Foto der Anzeigetafel dazu. "5:0" war da zu lesen und "Bayern München" als Gegner. Es musste also stimmen.

Weltklasse

Von einem "Tag, der in die Geschichtsbücher eingeht", sprach Hütter. Der 51-jährige Vorarlberger schwärmte: "Ich kann mich nicht erinnern, so etwas Gutes von einer eigenen Mannschaft schon einmal gesehen zu haben. Wie wir die Tore rausgespielt haben, das war absolute Weltklasse." Hütter hatte zuvor immerhin Red Bull Salzburg und Eintracht Frankfurt gecoacht.

Bayerns Sportvorstand Hasan Salihamidzic schüttelte bei seiner Analyse der höchsten Pleite in der Münchner Pokalhistorie immer wieder ungläubig den Kopf. Vorstandschef Oliver Kahn und Präsident Herbert Hainer hatten da schon erschüttert und wortlos ihre VIP-Plätze verlassen. "Ich bin schockiert", sagte Salihamidzic nach einem "kollektiven Blackout" und betonte: "Unerklärlich."

Wutmotor

Müller lieferte zumindest einen Ansatz für den Bayern-Absturz. "Wir haben nicht diesen Punkt gefunden, wo der FC-Bayern-Wutmotor angeht." Es sei "von allen Beteiligten eine katastrophale Leistung" gewesen. "Das musst du erst einmal hinbekommen. Man kann alles hinterfragen und liegt immer richtig." Eine Art Gewinner war übrigens Marcel Sabitzer, der Österreicher kam nicht zum Einsatz.

Dabei schien der Rekordpokalsieger, der "FC Nimmersatt", schon wieder unantastbar zu sein. Ungeachtet der Covid-Erkrankung seines Trainers Julian Nagelsmann, der diesmal aus der Küche keine Impulse geben konnte. Ungeachtet einer drohenden und inzwischen abgewendeten Haftstrafe gegen Weltmeister Lucas Hernandez. Ungeachtet der hitzigen Impfdebatte um Joshua Kimmich.

Häme und Spott

Ehrenpräsident Uli Hoeneß hatte erst am Montag von "traumwandlerischen" Bayern geschwärmt. Franz Beckenbauer wollte bei der jüngsten 5:1-Gala in Leverkusen gar "perfekten Fußball" gesehen haben. So gut habe er seine Bayern "noch nie gesehen". Und jetzt? Eine ähnliche Watsche hatte der Klub vor 43 Jahren in der Liga beim 1:7 gegen Düsseldorf hinnehmen müssen.

"Wir müssen in den nächsten ein, zwei Tagen sicher mit Häme und Spott leben", sagte Ersatzcoach Dino Toppmöller, die (sozialen) Medien lieferten prompt. Besonders in Anspielung auf Kimmichs Impfweigerung gab es Wortspiele, etwa die Frage nach "Langzeitfolgen".

Antwort

Die soll es jedoch nicht geben. Müller hofft auf die passende Antwort schon am Samstag bei Union Berlin. "Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie wir nach so einem Spiel reagieren. Man ist es von uns gewohnt, dass wir nach Negativerlebnissen eine Reaktion zeigen." Nachdenklicher Nachsatz: "Aber das ist leicht gesagt. Normal ist man es von uns auch gewohnt, dass wir nach Rückständen anders reagieren."

Toppmöller forderte, "dass wir uns schütteln". Er sei "absolut zuversichtlich, dass das ein Ausrutscher war, wenn ich die letzten Wochen sehe, die Gier und den Willen, die Spiele auch hoch zu gewinnen".

Ob Nagelsmann in Berlin wieder auf der Bank sitzen kann, ist offen. So oder so: Eine Reaktion, sagte Toppmöller, werde "mit Sicherheit kommen". Vielleicht, mutmaßte Müller, ist das Grauen von Gladbach "durch diese Höhe und Deutlichkeit sogar besser zu verarbeiten".

Initialzündung

Einer der denkwürdigsten Abende im 2004 eröffneten Borussia-Park warf jedoch auch Fragen bei den Siegern auf. Warum nicht immer so? Oder zumindest so ähnlich? Nur vier Tage zuvor hatte Gladbach bei der Hertha (0:1) rundum enttäuscht, in der Bundesliga stehen die Fohlen nur auf Rang zwölf. Welche ist also die wahre Borussia? Geht es nach Hütter, ist die Antwort klar. "Die Mannschaft hat das gezeigt, was in ihr steckt. Für mich muss so ein Sieg eine Initialzündung sein. Wir müssen uns selber messen an dieser Leistung." Am Sonntag wird Bochum begrüßt. "Dass wir immer so ein Spektakel hinlegen, wird natürlich nicht gehen." (sid, hac, 28.10.2021)