Mark Milley, der Generalstabschef der US-Streitkräfte. ist über ein neues Waffensystem aus China besorgt.

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Washington – China verfügt über ein neues Waffensystem, mit dem Atombomben transportiert werden können, ohne von bisher eingesetzten Abwehreinrichtungen abgefangen zu werden. Und: Die USA verstehen nicht genau, wie dieses System technisch funktionieren kann. Das ist die durchaus beängstigende Perspektive, die sich aus aktuellen Medienberichten über Pekings Forschungen und Tests einer neuen Hyperschallraketen-Technologie ergibt. Bisher waren es "nur" Artikel in der "Finanical Times" gewesen, die die Sorgen nährten. Doch nun hat der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Mark Milley, erstmals öffentlich dazu Stellung genommen.

Er verglich Waffentests, die China offenbar im Juli und August durchgeführt hat, auf Bloomberg TV mit einem "Sputnik-Moment" – und meinte damit offenbar, dass es sich um einen für die USA überraschenden Einsatz einer neuen Technologie handelt, von der man bisher nicht glaubte, dass andere Staaten sie gemeistert haben.

Der "Sputnik-Schock" von 1957 war die Folge des erfolgreichen Einsatzes des Sputnik-Satelliten durch die Sowjetunion. Die USA waren damals davon ausgegangen, dass Moskau noch Jahre von der Indienststellung eines künstlichen Trabanten entfernt sei – und wurden dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Sputnik-Schock gilt als Startschuss für das Wettrennen zum Mond – aber auch als entscheidender Moment im Kalten Krieg, als die USA viele ihrer Rüstungsanstrengungen noch einmal intensivierten.

China dementiert

Bisher fehlt freilich eine Bestätigung Pekings für den Test. Ein Sprecher des Außenamtes, Zhao Lijan, wies die Berichte vielmehr als Spekulationen zurück. China haben keine derartigen Systeme getestet, sondern einen "Routinetest" für wiederverwendbare Raumfahrttechnik durchgeführt.

Dem steht das, was die USA bei dem Test festgestellt haben wollen, aber entgegen. Demnach soll es China gelungen sein, zwei unterschiedliche Waffentechniken, die beide allein bereits den USA Sorge bereiten, zu kombinieren.

Zwei Systeme

Zum einen handelt es sich um ein sogenanntes "Fractional Orbital Bombardment System" – ein einst von der Sowjetunion entwickeltes System, mit dem Nuklearsprengköpfe in eine Erdumlaufbahn gebracht werden sollten, um sie zu einem späteren Zeitpunkt von dort aus zu starten. Damit sollte verhindert werden, dass die USA im Kriegsfall vorgewarnt werden würden – etwa durch die Beobachtung vom Boden abgeschossener Interkontinentalraketen. Frühwarnsatelliten der USA nahmen dem System später allerdings den Überraschungseffekt. Nach der Einigung auf den SALT-II-Abrüstungsvertrag wurden die Systeme der Sowjetunion in den 1980er-Jahren vernichtet.

Zum anderen aber soll China einen Hyperschallgleiter entwickelt haben. Auch derartige Systeme gibt es bereits, unter anderem war schon bisher bekannt, dass Russland und China an ihnen arbeiten – und auch mehrere andere Staaten, darunter Nordkorea. Derartige System fliegen mit etwa fünffacher Schallgeschwindigkeit und damit etwas langsamer als Interkontinentalraketen. Weil sie aber, im Vergleich zu diesen, während des gesamte Fluges steuerbar bleiben, sind sie durch Raketenabwehrsysteme kaum auszuschalten.

Gegen die Regeln der Physik

Durch die Kombination der beiden System wäre zudem unter anderem ein Anflug von US-Zielen über den Südpol möglich. Die bisherigen Abwehrsysteme der USA sind aber auf den Nordpol ausgerichtet und stehen daher in Alaska. Wie genau die Kombination der beiden Systeme technisch funktioniert haben soll, ist offen – jedenfalls scheint vor allem hier etwas zum Einsatz gekommen zu sein, das die USA als alarmierend empfinden. Ein namentlich nicht genannter Vertreter des US-Militärs sagte der "Financial Times", das System scheine "gegen die Regeln der Physik zu verstoßen".

Unklar ist man sich daher auch noch, ob es sich nicht doch am Ende bei der angeblichen Entdeckung um einen spektakulären Fehler der US-Erkennungssysteme und Geheimdienste handeln könnte. Chinas Verhalten aber sorgt ohnehin für Nervosität. Eigentlich werden Waffen- und Raketentests, etwa jene der "Langer Marsch"-Geschoße, durch China zuvor angekündigt. In diesem Fall war aber nur der Luftraum erklärungslos gesperrt worden, was schon im Juli und August den Verdacht genährt hatte.

Zudem ist da der zeitliche Kontext: Schon seit Monaten zeigt sich China militärisch aggressiver, im Sommer sorgten Berichte über hunderte neue Raketensilos für Aufregung. Immer öfter und immer zahlreicher dringen Flugzeuge der Volksrepublik in die Luftüberwachungszone von Taiwan ein – mit dessen womöglich auch gewaltsamer Eroberung Peking ja ebenfalls immer offener droht.

Ein auffälliger Moment

Aber auch in den USA treten die Berichte über den Test auffälligerweise zu einem sensiblen Zeitpunkt auf. Denn eigentlich sträubt sich Präsident Joe Biden derzeit, in den Verhandlungen um US-Finanzmittel einer zumindest hunderte Milliarden US-Dollar teuren Modernisierung des amerikanischen Nuklearwaffenarsenals zuzustimmen. Der im Kalten Krieg groß gewordene Präsident hat Sorge hinsichtlich eines neuen Wettrüstens und dessen Folgen.

Dass ausgerechnet jetzt die chinesischen Rüstungsfortschritte in diesen Technologiebereich so deutlich an die Öffentlichkeit dringen, wird seine Position in dieser Debatte jedenfalls nicht stärken. Das dürfte auch Generalstabschef Milley nicht entgangen sein. (Manuel Escher, 28.10.2021)