"Aufsager" vor dem Reichstag in Berlin: Bei der Bundestagswahl hatte Birgit Schwarz einen ihrer letzten größeren Einsätze als Deutschland- Korrespondentin des ORF. Nach der Rückkehr in die Wiener Zentrale werde die deutsche Politik eines ihrer "liebsten Hobbys" bleiben, sagt die 53-Jährige.

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Nicht mehr zuständig sein, sich auch nicht mehr zuständig fühlen müssen – so schnell geht das nicht. Birgit Schwarz hat noch alles im Kopf: den Termin für die erste Basis-Konferenz der CDU nach der Wahlschlappe, ebenso die Anzahl der Ampel-Verhandlungsgruppen (nämlich 22).

Doch sie wird nicht mehr dabei sein, wenn sich die frustrierte CDU neu sortiert, und auch nicht, wenn Olaf Scholz (SPD) im Bundestag zum neuen Kanzler gewählt wird.

Denn mitten in dieser Zeitenwende verlässt die 53-Jährige Berlin. Fast 20 Jahre berichtete sie als ORF-Korrespondentin aus Deutschland, zunächst in Bonn, dann in Berlin, wo sie seit 2015 auch Büroleiterin und Chefin eines siebenköpfigen Teams war. Es ist eine ungewöhnlich lange Zeit auf einem Außenposten. Und Schwarz selbst hätte zu Beginn nie gedacht, dass sie im Nachbarland hängenbleiben würde.

"Unfassbare Wechselstimmung"

"Deutschland war für mich bloß das Land, das man durchqueren muss, wenn man nach Frankreich will", sagt sie. Beim ORF war sie 1995 eingestiegen, sie arbeitete in Wien für die ZiB 2. Deren damaliger Chef, Johannes Fischer, ermunterte die Wienerin, sich 1998 für einen Korrespondentenposten in Bonn zu bewerben. Es klappte, und Schwarz erlebte noch die letzten Monate von Helmut Kohl (CDU) als Kanzler. "Damals herrschte unfassbare Wechselstimmung, die Ermüdung nach 16 Jahren Kohl war mit Händen zu greifen", erinnert sie sich.

Wenig später aber erfuhr Schwarz mit ihrem Chef, dem legendären Paul Schulmeister, das Gegenteil von Lähmung: "Als im Herbst 1998 Rot-Grün unter Gerhard Schröder an die Macht kam, war zunächst jeden Tag Rock ’n’ Roll und Krise."

Die Abstimmung in der Koalition klappte schlecht, Oskar Lafontaine trat als Finanzminister zurück, die ersten deutschen Soldaten zogen in den Kriegseinsatz (Kosovo), Grünen-Außenminister Joschka Fischer wurde von den eigenen Leuten am Parteitag mit einem Farbbeutel beworfen. In Erinnerung hat Schwarz "unglaublich spannende, aber auch ermüdende Jahre".

Kanzler mit "Entertainmentfaktor"

Doch da gab es immerhin einen Kanzler mit "Entertainmentfaktor". Schwarz: "Man konnte sich Gerhard Schröder gut nähern und auch mal mit der Kamera überfallen, wenn er am Biertisch saß. Sah er das ORF-Logo am Mikrofon, war er bereit, ein paar Worte extra für die Österreicherinnen und Österreicher zu sagen."

Das änderte sich 2005 mit seiner Nachfolgerin Angela Merkel. Trotz "hundertfacher Anfrage" wurde Schwarz in Merkels 16-jähriger Amtszeit nur einmal für genau zehn Minuten im Kanzleramt zum Interview empfangen.

Das klingt kärglich, war aber mehr, als die meisten Korrespondenten je schaffen. "Merkel wurde mit zunehmender Amtszeit immer verschlossener. Sie hat keine Interviews mit ausländischen Medien gemacht, weil sie es nicht machen musste", meint Schwarz.

Aber es warteten genug andere Geschichten. Als besonders berührend hat Schwarz Begegnungen mit Zeitzeugen, die den Holocaust überlebt haben, und die Schicksale vieler DDR-Bürger in Erinnerung: "Der Untergang der DDR und die Folgen, die heute noch sichtbar sind, faszinieren mich. Ganz hat sich mir der Osten immer noch nicht erschlossen", sagt sie.

"Absolute Lebensstadt" Berlin

Dennoch: Nach rund zehn Jahren in ihrer "absoluten Lebensstadt" Berlin kam Lust auf Veränderung auf. 2009 ging Schwarz als Info-Chefin der Ö1-Radiojournale in die Wiener Zentrale, 2012 zog es sie wieder nach Berlin, wo es auch unter Merkel nie langweilig wurde.

Schwarz: "Deutschland ist das wichtigste Land in Europa, das Bedürfnis nach Information riesig." Eine gewisse Last der Verantwortung spürte sie 2015, während der Flüchtlingskrise: "In Österreich interessierte vor allem, ob Deutschland die Grenzen schließt und Merkel die Herausforderung meistert. Als Korrespondentin prägt man ja doch sehr das Bild eines Landes."

Ein Land? Hier muss Schwarz schmunzeln: "Es gibt eigentlich 50 Deutschlands." Beeindruckt hat sie die Vielfalt in den 16 Bundesländern und auch, wie Journalismus praktiziert wird. "Bei Qualitätsmedien gilt: Was im Hintergrund von Politikern gesagt wird, wird nicht veröffentlicht." Nachsatz: "Das ist in Österreich nicht immer so."

Natürlich hätten sie jetzt noch ein paar Monate in Berlin gereizt. Denn: "Es wird spannend, wie Olaf Scholz seine Kanzlerschaft anlegt." Andererseits: 20 Jahre Deutschland sind nun auch wirklich genug, und so packt Schwarz dieser Tage die Umzugskisten in Wien aus.

Andreas Pfeifer übernimmt

Das Berliner ORF-Büro übernimmt am 1. November der langjährige TV-Auslandschef Andreas Pfeifer. Was Schwarz in der Wiener ORF-Zentrale machen wird, ist noch offen. "Der ORF ist in einer Umbruchphase, aber ich bin zuversichtlich, dass sich etwas findet, wo ich idealerweise meine Auslandserfahrung einbringen kann", meint sie. Und die deutsche Politik bleibe sowieso auch in Wien "eines meiner liebsten Hobbys". (Birgit Baumann aus Berlin, 29.10.2021)