Während Nationalisten eine Trennung nach ethnischen Kriterien fordern, demonstrieren im September Bosnier aller Konfessionen für mehr Rechtsstaatlichkeit und die Aufklärung zweier mysteriöser Todesfälle.

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"Man darf mit mir rechnen!", sagt Christian Schmidt, seit Sommer Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina.

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Er übernahm das Amt in einer gefährlichen Krisenzeit. Kurz nachdem der deutsche Ex-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt zum neuen Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina ernannt wurde, drohte der Chef der größten bosnisch-serbischen Partei, der extreme Nationalist Milorad Dodik. Er will, dass sich der Landesteil Republika Srpska (RS) aus der gemeinsamen bosnischen Armee, der Steuerbehörde, dem Geheimdienst- und Strafverfolgungsapparat sowie der Justiz zurückzieht. Dodik, der seit Jahren die Abspaltung der RS propagiert, wird von Russland unterstützt.

STANDARD: Kommende Woche geht es im UN-Sicherheitsrat um die Resolution zur Verlängerung der EU-Militärmission Eufor. Russland möchte den Text verändern und Bezüge zum Amt des Hohen Repräsentanten und zu Ihren Vollmachten streichen oder schwächen. Werden die anderen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats den Forderungen von Russland und Dodik nachgeben oder Widerstand leisten?

Schmidt: Es ist eine bekannte Position Russlands, dass es die Exekutivmacht des Hohen Repräsentanten infrage stell, und das wird auch von Herrn Dodik geechot. Ich sehe aber bei den anderen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats nicht, dass es bei dieser Resolution um eine solche Begrenzung von Dayton selbst gehen kann. Sollte Eufor-Althea nicht verlängert werden, würde dies jedenfalls die Stabilität in Bosnien-Herzegowina infrage stellen. Und so wird zurzeit vieles unternommen, um zu einer gemeinsamen Resolution mit Russland zu kommen.

STANDARD: Das Verfassungsgericht wird über die Gesetze zum Austritt aus den gemeinsamen bosnischen Institutionen, die im Parlament der Republika Srpska beschlossen werden sollen, urteilen. In welchem Fall würden Sie Ihr Mandat nutzen und eingreifen?

Schmidt: Die Internationale Gemeinschaft muss in dieser Situation alle Instrumente bereithalten, auch jene, die der Hohe Repräsentant hat, und auch solche, die manche schon für völlig überflüssig hielten. Es darf nicht so weit kommen, dass die Souveränität von Bosnien-Herzegowina nur noch eine leere Hülle ist. Ich habe aber den starken Eindruck, dass einige Menschen schon sehen, dass Herr Dodik ein Stück überzieht. Wenn man das Abstimmungsergebnis über den Austritt aus der gemeinsamen Arzneimittelbehörde ansieht, so haben im Parlament der Republika Srpska nur 43 von 85 Mandataren dafür gestimmt. Denn wenn die Zulassungsverfahren nicht mehr gelten würden, wird die Arzneimittelversorgung in der RS infrage gestellt. Menschen, die Medikamente brauchen, werden so zum Verhandlungsobjekt für andere Ambitionen. In dieser Frage darf man mit mir rechnen!

STANDARD: Was halten Sie von der Beschwichtigungspolitik einiger Akteure gegenüber Dodik, etwa dass die Verteilung des Staatseigentums zu seinen Gunsten gehen soll, damit serbische Vertreter wieder ihre Arbeit in den Institutionen aufnehmen?

Schmidt: Es kann nicht sein, dass jemand heute eine Bedingung stellt, und morgen gibt es noch mehr Bedingungen. Blockaden müssen aufgelöst werden. Der deutsche Sozialdemokrat Herbert Wehner hat der damaligen Opposition, die aus dem Parlament ausgezogen ist, zugerufen: "Wer auszieht, muss auch wieder einziehen!" Ich warte also aufs Einziehen. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass es nichts bringt, dieses Spiel mitzuspielen. So wird etwa das Vertrauen in die Justiz nicht steigen, wenn die im Dayton-Vertrag vorgesehenen Richter aus anderen Ländern, etwa auch im Verfassungsgericht nicht mehr tätig sein würden.

STANDARD: In die derzeitige Krisendiplomatie werden auch die Nachbarstaaten Serbien und Kroatien einbezogen. Ist die Einmischung nicht auch gefährlich?

Schmidt: Es sind und bleiben Nachbarstaaten. Aber es ist sinnvoll, sie mit einzubeziehen, ich rechne auch den derzeitigen EU-Ratspräsidenten, den slowenischen Premier Janez Janša zu den hilfreichen Partnern dazu. Denn all diese Politiker aus den Nachbarländern eint eines: Sie wollen keine Eskalation der Krise. Es wird also angeregt, dass man sich wieder zusammensetzt. Es kommt im Übrigen auch auf die Europäische Union an.

STANDARD: Die Opferverbände hier haben das Gesetz gegen die Leugnung von Kriegsverbrechen begrüßt. Was kann ihr Beitrag sein, wenn es um Versöhnungsarbeit geht?

Schmidt: Das Gesetz ist das eine, aber die Reaktionen darauf sind viel wichtiger, und die zeigen doch, dass Versöhnungswege noch nicht wirklich vorhanden und Geschichtsnarrative unterschiedlich sind. Die Leute müssen sich zusammensetzen und ausdiskutieren, was ihnen gefällt und was nicht. Das Parlament ist der eigentliche Ort, wo so ein Gesetz gestaltet werden sollte. (Adelheid Wölfl, 29.10.2021)