Zusammenhalt in der Hofburg: Am Nationalfeiertag erklärte sie der Bundespräsident zur "Impfburg".

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Die Zahlen steigen weiter. Bereits den zweiten Tag in Folge lagen die Neuinfektionen deutlich über der 4.000er-Marke, von Dienstag auf Mittwoch wurden 4.248 Corona-Fälle gemeldet, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 287,6. 1.007 Menschen sind aufgrund von Covid-19 im Krankenhaus, 265 davon in Intensivbetreuung, 15 mehr als am Vortag.

Viele stellen sich angesichts dessen die Frage, wie es möglich ist, dass die Zahlen erneut so in die Höhe schießen; zuletzt wurden im November 2020 so hohe Werte gemeldet. Dabei spielen mehrere Gründe zusammen, wie der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) erklärt. Ein wesentlicher: "Die Temperaturen sind jetzt deutlich gesunken, die Menschen sind wieder mehr in Innenräumen, da macht sich der saisonale Effekt richtig bemerkbar."

Es herrschen aber derzeit auch keine besonders strengen Maßnahmen. Bundesweit befinden wir uns immer noch auf Stufe 1 des Corona-Stufenplans, nur einzelne Bundesländer haben strengere Bestimmungen, Wien, Salzburg, bald auch Oberösterreich und die Steiermark. Das spiegelt sich auch in den Infektionszahlen wider: "Derzeit sehen wir einen massiven Anstieg bei grippalen Infekten und anderen Infektionen, die vergangenen Herbst beinahe komplett ausgeblieben sind. Das zeigt, dass die Maßnahmen im Vergleich zum Vorjahr weniger streng eingehalten werden."

Kein exponentieller Anstieg

Weitere Treiber sind die Schulen und vor allem die deutlich infektiösere Delta-Variante. Zur gleichen Zeit vor einem Jahr war ja noch der Wildtyp vorherrschend. Trotzdem rechnet Czypionka nicht damit, dass die Zahlen komplett explodieren: "Das ist noch kein exponentieller Anstieg, ich würde eher sagen, das sind Ausreißer mit steigender Tendenz. Solche Buckel wird es auch immer wieder geben. Infektionsketten kann man sich vorstellen wie Buschfeuer. Unbehindert breiten sie sich rasant aus. Gibt es Hindernisse, etwa eine geimpfte Person, schwächt das die Kette deutlich ab. Sind mehrere oder idealerweise alle Personen im Umfeld geimpft, verglüht der Brandherd rasch."

Das Geschehen ist trotz steigender Zahlen insgesamt tatsächlich schwächer als im Herbst 2020, das sieht man auch an den Hospitalisierungen. Vergangenen Herbst um die gleiche Zeit waren deutlich mehr Menschen wegen Covid-19 im Krankenhaus – hier zeigt sich die Auswirkung der Impfung. "Hätten wir die Ursprungsvariante, könnten wir uns entspannen. Die Delta-Variante wiegt die Maßnahmen aber zum Teil wieder auf." Für einen Blick in die Zukunft empfiehlt Czypionka, in Länder wie Großbritannien oder die Niederlande zu schauen. Dort ist die Impfquote höher, aber die Maßnahmen sind deutlich reduziert. Die Zahlen steigen klar, aber nicht exponentiell. Selbst in Dänemark, das mit über 75 Prozent eine der höchsten Impfquoten hat, gehen die Zahlen hinauf.

Warum die Bereitschaft zur Impfung in Österreich vergleichsweise niedrig ist, erklärt die Politikwissenschafterin und Mitarbeiterin des Austria Corona Panel Project, Katharina T. Paul: "Das hat unter anderem damit zu tun, dass viele Menschen das Risiko einer Covid-Erkrankung unter- und jenes der Impfung im Gegenzug krass überschätzen." Man habe etwa eine Korrelation zwischen geringerer Impfbereitschaft und dem Glauben an die Stärke des eigenen Immunsystems festgestellt. Andere Variablen wie politische Einstellung, Alter und Zugehörigkeit zu Risikogruppe hätten den Panelbefragungen zufolge jedoch einen stärkeren Effekt auf die Offenheit für den Stich gegen das Virus.

Im September des heurigen Jahres hatten sich 34 Prozent der im Rahmen des Panel Befragten besorgt um mögliche Nebenwirkungen der Impfungen gezeigt. 21 Prozent meinten, behördlich zugelassene Impfstoffe wären nicht sicher genug. 24 Prozent fühlten sich nicht hinreichend gut, 30 Prozent nur teilweise über die Wirkweise der Impfstoffe informiert.

Nachlassende Immunität

Dabei betonen alle Experten und auch Czypionka die Wichtigkeit der Impfung wieder und wieder: "Jedes Prozent, um das die Impfquote steigt, bringt uns im jetzigen Stadium enorm viel." Dass die Immunität trotz Impfung nachlässt, ist da schon miteingerechnet. "Ein sehr großer Teil der Bevölkerung wurde im Spätfrühling und Frühsommer geimpft. Bei denen wird die Wirkung jetzt weniger. Auch das führt dazu, dass die Zahlen aufgrund von Impfdurchbrüchen steigen. Wir wissen aber auch, dass die Booster-Impfung wirklich gut schützt."

Den Impfstoff an die Delta-Variante anzupassen hält er nicht für nötig. Das dauere auch mit dem beschleunigten Zulassungsprozess einige Monate, der dritte Stich reiche aus. Die positive Nachricht: Einen weiteren Lockdown hält Czypionka trotz steigender Zahlen für sehr unwahrscheinlich, auch aufgrund der vielen noch vorgesehenen Maßnahmen, um die Zahlen einzudämmen.

Wünschen würde er sich aber, dass man vorausschauend agiert und dem Infektionsgeschehen nicht hinterherhinkt. Genau das jedoch sei mit dem aktuellen Stufenplan der Fall. (Irene Brickner, Pia Kruckenhauser, 29.10.2021)