Künftig soll mehr Geld in erneuerbare Energien, wie hier Windkraft, fließen, und weniger in Öl und Kohle.

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Ein Autobauer, der auf E-Autos umsteigen will, aber nach wie vor Diesel-SUVs am laufenden Band herstellt? Ein Energiekonzern, der neue Gaskraftwerke plant? Oder eine Fast-Fashion-Kette, die aber ganz bestimmt ganz bald auf Biobaumwolle umsteigen will? Wer als umweltbewusster Finanzlaie Wertpapiere und Fonds aussuchen will, die mit dem grünen Gewissen vereinbar sind, hat es oft schwer. Eine unsexy klingende EU-Verordnung soll das ändern: Die sogenannte Taxonomie soll Geld in grüne Kanäle leiten. Wir erklären, was sie kann – und was nicht.

Was ist die neue EU-Taxonomie?

Was sperrig klingt, ist in Wahrheit der Versuch, einen gesamten Kontinent klima- und umweltfreundlich zu gestalten. Denn für einen solchen Umbau braucht es vor allem Geld: mehr für Wind- oder Solaranlagen etwa, und weniger Geld für Kohle oder Öl.

Bisher ist jedoch oftmals nicht eindeutig, was wirklich ökologisch und nachhaltig ist. Fast jedes Unternehmen kann sich mit Begriffen wie Nachhaltigkeit schmücken – und tut es auch. Eine feste Definition gab es bisher aber nicht. So passiert es, dass in angeblich grünen Fonds auch Ölunternehmen, Kohlekraftwerksbetreiber oder für ihre Umweltzerstörung bekannte Agrarkonzerne stecken. Mit ihrer neuen Verordnung will die EU deshalb vor allem eines schaffen: Mehr Transparenz.

Und wie funktioniert das?

Bei der Taxonomie sollen anhand eines Bewertungskatalogs definiert werden, welche Geschäftsaktivitäten und Investitionen wirklich nachhaltig sind. Wer als Unternehmen grün sein will, muss einen Beitrag zu mindestens einem von sechs Umweltzielen leisten, beispielsweise den Klimaschutz oder die Kreislaufwirtschaft vorantreiben, die Umweltverschmutzung reduzieren oder zur Klimaanpassung beitragen, er darf die Umwelt nicht signifikant schädigen und muss bestimmte soziale Standards einhalten.

Jene Unternehmen, die nachweisen können, nachhaltig zu wirtschaften, sollen infolgedessen mehr Geld von Investoren erhalten. Für Anleger wiederum soll mithilfe einheitlicher Standards und Offenlegungspflichten leichter ersichtlich werden, ob ihr Geld nachhaltigen Bereichen zugutekommt.

Was zählt als nachhaltig?

Darum dreht sich eine heftige Diskussion. Seit Monaten etwa streiten sich EU-Staaten darum, ob Atomkraft innerhalb der Taxonomie als grün eingestuft werden sollte. Während Länder wie Frankreich, Rumänien, Tschechien, Polen oder Ungarn dafür plädieren, Kernenergie "wie alle anderen kohlenstoffarmen Energiequellen zu behandeln", sind Österreich, Deutschland, Belgien, Spanien und Luxemburg Teil des Anti-Atomkraft-Lagers.

Auch beim Thema Erdgas spalten sich die Meinungen. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll Erdgas zumindest übergangsweise als nachhaltig gelten. Wenn Gaskraftwerke Kohlekraftwerke ersetzen, können Emissionen reduziert werden, so das Argument. Umweltschützer hingegen sehen die Glaubwürdigkeit der Taxonomie in Gefahr.

Wie wirkt sich das aus?

"Die EU will über den Umweg der Finanzwirtschaft die Realwirtschaft dazu animieren, nachhaltig zu werden", erklärt Alexander Osojnik, ESG-Analyst bei der Erste Asset Management. Unternehmen mit schlechten Nachhaltigkeitsrankings hätten einen Nachteil bei Anlegern und würden deshalb nicht so günstig an Kapital kommen wie ihre nachhaltigen Konkurrenten. "Es geht darum, Druck aufzubauen", so Osojnik.

Die meisten Expertinnen und Experten sind sich einig: Ist die Taxonomie erst einmal in allen Bereichen umgesetzt, wird sie große Auswirkungen auf die gesamte Finanz- und Wirtschaftswelt haben. Großanleger wie Pensionsfonds und Versicherungen, die Milliardenbeträge investieren, könnten sich dann stärker an nachhaltigen Kriterien orientieren, ebenso wie die größten Unternehmen und indirekt über deren Lieferkette auch die meisten kleineren Unternehmen, die den neuen Druck aus dem Finanzsektor spüren.

Was heißt das für mich?

Erst einmal wenig. Wer will, kann zwar weiterhin in Öl und Kohle investieren, nachhaltig orientierte Anleger werden es aber leichter haben, jene Unternehmen oder Fonds auszusuchen, die in ihr Anlageprofil passen.

Gewissermaßen will die EU private Anleger dazu bringen, sich mehr Gedanken über Nachhaltigkeit zu machen. Denn Bankberater müssen sie künftig nicht nur nach der Risikobereitschaft fragen, sondern auch danach, wie nachhaltig sie ihr Geld investieren wollen.

Dass übermäßig viel Geld dann in einige wenige Unternehmen mit den besten Ratings fließt, glaubt Erste-Analyst Osojnik indes nicht. "Die Taxonomie ist eine zusätzliche Lupe", sagt er. Am Ende müssen aber auch die ökonomischen Kennzahlen stimmen.

Gibt es Kritik?

Meinungsverschiedenheiten gibt es naturgemäß bei der Definition dessen, was als nachhaltig gilt. "Erdgas in die Taxonomie zu integrieren ist vor allem politisch motiviert und wird von der Erdgaslobby vorangetrieben", sagt etwa Erika Singer, Finanzexpertin beim WWF Österreich, dem STANDARD. Bei der hohen Anzahl an Kohlekraftwerken, die in einigen Region Europas in den nächsten Jahren abgeschaltet werden, bestehe die Gefahr, dass alle neuen Gasanlagen, die bis Ende 2025 gebaut werden, als "grün" eingestuft werden.

NGOs wie das Südwind-Institut wiederum kritisieren, dass die EU-Taxonomie soziale Standards vernachlässigt. Ein Beraterteam der EU-Kommission hat bereits in Ansätzen ausgearbeitet, wie die Taxonomie auf soziale Aspekte – etwa die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum oder Ausbildungsplätzen – ausgeweitet werden kann. Sie sagt aber auch: Messen lässt sich das alles viel weniger gut als Tonnen CO2 aus Fabrikschloten. (Philip Pramer, Jakob Pallinger, 1.11.2021)