Den Schaukelstuhl produzierte Pauly & Cie als Modell Nr. 3020.

Foto: Dorotheum

Betritt man dieser Tage das Palais Dorotheum in der Wiener Innenstadt, dann fällt einem sofort die im Foyer platzierte Gruppe skurriler Möbel ins Auge: Die geschnitzten Sitzflächen und Rückenlehnen ahmen die Schale einer großen Muschel nach, die Sesselbeine erinnern an monströse Meeresschnecken, denen die Gattung Tritonshorn Pate gestanden haben muss.

Als Armlehnen oder auch als Beine eines Salon- sowie eines Konsolentisches fungieren delfinartige Seeungeheuer, während Seepferdchen die Sitzfläche eines Schaukelstuhls tragen. Die originale silberfarbene und teils ins Email changierende Fassung ist bei diesen Exemplaren nur mehr fragmentarisch oder gar nicht mehr erhalten.

Made in Italy

1904 publizierte Pauly & Cie einen Verkaufskatalog für den französischen Markt. Zu den dort gelisteten Modellen gehörte der Salontisch mit der Modellnummer 3018, der am 4. November im Dorotheum versteigert wird (Schätzwert 1800-2200 Euro).
Foto: Mak, Dorotheum

Der Zustand des Mobiliars ist insgesamt nicht sonderlich, bedingt durch das Alter oder auch durch Wurmfraß. Laut Dorotheum, wo dieses sogenannte Grottenmobiliar und ein zugehöriger Spiegel am 4. November in der Sparte Antiquitäten versteigert werden, datieren die Objekte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurden in Italien gefertigt.

Ein ungewöhnlicher Möbeltyp, der sporadisch auch in der bildenden Kunst dokumentiert wurde: in Gemälden von Henri Matisse, Otto Dix oder auch Alfred Wickenburg. Letzterer hatte sich einen solchen exotischen Armlehnstuhl von einem lokalen Antiquitätenhändler geliehen und 1935 porträtiert: Der goldene Sessel heißt das seit seiner Versteigerung 2016 ("im Kinsky", 45.000 Euro netto) in der Sammlung Liaunig beheimatete Werk.

Lohnender Bibliotheksbesuch

Die Herkunft und die Datierung solcher Grottenmöbel, die sich vereinzelt auch in Beständen europäischer Museen erhalten haben, gaben der Forschung bis in die 1980er-Jahre eher Rätsel auf. Die Katalogisierung des Auktionshauses liefert dazu keine Hinweise.

Wer die Mühen eines Bibliotheksbesuches nicht scheut, wird im Museum für angewandte Kunst (Mak) fündig: 1983 schrieb der deutsche "Möbelpapst" Georg Himmelheber im Magazin Weltkunst zwei Artikel zu diesem Thema. Zusammengefasst widerlegte er die aufgrund der "barocken Freude am Übersteigerten und Grotesken" plausibel erscheinende Datierung in das 18. Jahrhundert.

Die Schnitzerei der Sitzfläche und der Rückenlehnen ahmen große Muschelschalen nach: Eine solche Konversationssitzbank (Modell-Nr. 3017), auch Confident genannt, sucht nun einen neuen Be-Sitzer (Schätzwert 2500-3500 Euro).
Foto: Mak, Dorotheum

Er ordnete sie zeitlich dem 19. Jahrhundert zu. Den entscheidenden Hinweis dazu hatte Christian Witt-Dörring, damals Mak-Möbelkustos, beigesteuert.

Denn im Bestand der Bibliothek hat sich ein Verkaufskatalog aus dem Jahr 1904 eines auf Kunstmöbel spezialisierten Unternehmens erhalten: Pauly & Cie, angesiedelt in Venedig, das nicht nur ein umfangreiches Repertoire an Mobiliar des Historismus offerierte, sondern auch genau solche Grottenmöbel produzierte.

Verkaufskatalog von 1904

Von den acht in diesem Katalog publizierten Modellen (Genre coquille) stimmen sechs mit solchen überein, die jetzt im Dorotheum angeboten werden: Darunter die auch als Confident bezeichnete Konversationssitzbank (Schätzwert 2500 bis 3500 Euro), die als Modell Nr. 3015 (vis-à-vis) identifizierbar ist, oder auch der Schaukelstuhl mit der Modell-Nr. 3020 (Fauteuil balançoire).

Eine Firma Pauly existiert in Venedig bis heute, hat sich jedoch auf Glasprodukte spezialisiert. Die einstige Möbelproduktion dürfte sie, laut Georg Himmelheber, von 1890 bis etwa 1930 betrieben und sodann eingestellt haben.

Mit den extravaganten Grottenmöbeln bediente man eine internationale Klientel, die damit ihre Wintergärten, durchaus fantasievoll gestalteten Salons oder künstlich angelegten Grotten auszustatten pflegte. (Olga Kronsteiner, 31.10.2021)