Norbert Walter-Borjans geht, wenn's am schönsten ist.

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Rücktritt – das klingt gemeinhin nach Scheitern, nach Niederlage oder auch Wahldebakel. Doch wenn nun in Deutschland Norbert Walter-Borjans erklärt, er werde im Dezember, beim Parteitag, nicht mehr als SPD-Chef kandidieren, dann ist seine Motivation eine ganz andere, eine ungleich positivere.

Der 69-Jährige will nicht mehr antreten, weil er Jüngeren den Platz überlassen möchte. Es ist das Gegenteil von Sesselkleben, und das ist auch gut so. "NoWaBo", wie er genannt wird, hat die Partei, gemeinsam mit Saskia Esken, vor zwei Jahren übernommen. Damals war sie in desolatem Zustand: Die Umfragewerte lagen im Keller, die einst so stolze Sozialdemokratie stand seit Jahren im Schatten der Union und auch in jenem von Kanzlerin Angela Merkel. Sie schaffte es nicht aus dem Tief. Man traute es auch dem Duo NoWaBo/Esken nicht wirklich zu, diesen Zustand zu ändern.

Reihen geschlossen

Doch es gelang, wobei die Parteispitze dabei eine eher untergeordnete Rolle spielte. Immerhin schafften es die beiden Chefs, im Bundestagswahljahr die Reihen zu schließen, Querschüsse wie in der Union waren nicht zu vernehmen.

Doch die Eltern des Wahlsiegs, der nun in absehbarer Zeit einem Sozialdemokraten die Rückkehr ins Kanzleramt ermöglichen wird, sind nicht Esken und Walter-Borjans alleine. Vielmehr hat sich Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit einer Ausdauer an die Spitze gekämpft, die man noch vor einem halben Jahr nicht für möglich gehalten hatte. In die Hände spielte der SPD auch der desolate Zustand der zerrissenen Union und deren schlechter Wahlkampf.

Man soll gehen, wenn's am schönsten ist, sagt der Volksmund. Walter-Borjans beherzigt dies. Es ist der richtige Zeitpunkt, um die SPD-Spitze neu aufzustellen und zu verjüngen. Sie muss, wenn es zur Ampelkoalition kommt, zu einem Machtzentrum außerhalb der Regierung werden, um ihre Position zu verteidigen. Vielleicht nimmt Walter-Borjans auch seine bisherige Co-Chefin Esken mit in den Ruhestand, um einen kompletten Neustart zu ermöglichen. Es wäre nicht die schlechteste Idee. (Birgit Baumann, 29.10.2021)