Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm fordert rasche Maßnahmen gegen den Personalmangel im Pflegebereich.

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Wien – Rasche Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege fordern Trägerorganisationen sowie Berufs-, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. "Kern der Pflegereform muss eine Personaloffensive sein", betonte Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm bei einer Pressekonferenz am Freitag. "Ohne Pflegepersonen keine Pflege." Nötig seien unter anderem die Rückgewinnung ausgeschiedener Pflegekräfte, eine Ausbildungsoffensive sowie Unterstützung bei der Höherqualifizierung.

Personalmangel

Bereits im Sommer haben sich die Organisationen in einem offenen Brief an die Regierung gewandt. "Verstehen Sie es als neuerlichen Weckruf, aber auch als Hilferuf im Namen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", sagte Michael Opriesnig, Generalsekretär des Roten Kreuzes. Bis 2030 würden 100.000 Pflegekräfte fehlen.

Allein im Bereich der Langzeitpflege mangle es der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) aus Caritas, Volkshilfe, Diakonie, Rotem Kreuz und Hilfswerk mit Stand Oktober an 1.400 Pflegepersonen. Folge: "Es gibt Wartelisten, es kommt zu Situationen, denen unsere Kollegen ausgesetzt sind, die sie nicht gewohnt sind – verzweifelte Angehörige, Wutausbrüche." Außerdem, so hieß von der Präsidentin des Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, Elisabeth Potzmann, sei seit Pandemiebeginn ein Viertel der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Langzeitpflege positiv getestet worden; Quarantäne- und Kontaktpersonenregeln hätten die Situation also weiter verschärft.

Geburtenstarke Jahrgänge

Die Gründe für den Personalmangel seien vielfältig, schilderte der Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich, Walter Marschitz. Einerseits habe es einen Geburtenpeak Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre gegeben. Diese Personen seien beziehungsweise würden nun pflegebedürftig. Schlechte Nachricht für die nähere Zukunft: Auch die Jahre bis zum Höhepunkt des Babybooms 1963 seien noch verhältnismäßig geburtenstark gewesen.

Dazu komme, dass mit Einführung des Pflegegelds Anfang der 1990er-Jahre die Zahl der Arbeitskräfte in diesem Bereich stark gestiegen sei, diese kämen nun langsam ins Pensionsalter. "Wir reden seit Jahren davon, dass die Versorgungskrise kommt, jetzt ist sie da", sagte Marschitz.

Hoffen auf Comebacks

Als kurzfristig wirkungsvollste Maßnahme nannte die ehemalige Wiener Gesundheitsstadträtin und nunmehrige Geschäftsführerin des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen, Sandra Frauenberger, dass man jene Menschen zurückgewinne, die der Pflege den Rücken gekehrt haben.

Dazu brauche es auch eine Ausbildungsoffensive in allen Bereichen, meinte der Vorsitzende der Gesundheitsgewerkschaft, Reinhard Waldhör. Einerseits müssten die Plätze an Fachhochschulen ausgebaut und die Pilotversuche an berufsbildenden höheren Schulen ins Regelschulwesen überführt werden. Außerdem benötige man mehr Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege und eine Modularisierung der Ausbildungen. Dann könnten auch Abbrecher mit einem Abschluss aussteigen. Problematisch sei die Situation auf dem Land: Junge Menschen würde zwar das Studium angehen, dann aber nicht mehr in die Peripherie zurückkehren.

Runder Tisch am 26. November

Darüber hinaus nötig wären die Übernahme der Ausbildungskosten durch die öffentliche Hand sowie die Sicherung der Existenzgrundlage etwa durch Stipendien, so Diakonie-Sozialexpertin Anja Eberharter: "Es ist nicht möglich, mit Familie und Mietverpflichtungen von 800 oder 100 Euro zu leben." Das müsse nicht nur, wie beim Fachkräftestipendium, für Arbeitslose gelten, sondern auch für Personen, die sich beruflich umorientieren wollen. Schließlich müsse sich Pflegepersonal auch berufsbegleitend höher qualifizieren können – etwa über ein analog dem Fachkräftestipendium gestaltetes Qualifizierungsstipendium, meinte Karin Abram von der Caritas. Für den 26. November sind die Organisationen von der Regierung zu einem runden Tisch geladen worden. (APA, red, 29.10.2021)