Manchmal will man sich nur mehr verstecken: Kränkungen tun weh. Was hilft dagegen?

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Das Verständnis für psychische Traumatisierungen ist erstaunlich jung. Von den "Kriegszitterern" im Ersten Weltkrieg nahm man noch an, dass die Störung durch mechanische Ursachen, nämlich die Druckwellen explodierender Granaten, bedingt sei, wenn man ihnen nicht sogar unterstellte, dass sie simulieren, um nicht mehr an die Front zu müssen.

Auch bei den Holocaust-Überlebenden war sich die Fachwelt noch nicht einig – während hier von den einen langanhaltende Folgen psychischer Traumatisierung thematisiert wurden, argumentierten andere, dass das Überleben von Extremsituationen sogar einen stärkenden Einfluss habe – frei nach Nietzsche: "Was uns nicht umbringt, macht uns stärker."

Erst die massiven Symptome vieler Vietnamkriegsveteranen führten zu einem umfassenden Verständnis der Folgewirkungen psychischer Extremsituationen. Seit 1980 ist daher die Posttraumatische Belastungsstörung als psychiatrische Diagnose offiziell anerkannt.

Kränkung macht krank

In den vergangenen zehn Jahren kam es allerdings zu einer extremen Ausweitung des Traumabegriffs: Immer öfter werden nicht nur Ereignisse katastrophalen Ausmaßes, sondern auch Kränkungen, Zurücksetzungen und Beschämungen als Traumatisierungen bezeichnet. Dies fördert die Annahme, dass alles psychische Leid posttraumatisch bedingt sei.

Wegbereiter dieser Einschätzung war der österreichische Psychiater Erwin Ringel mit seiner vielzitierten Aussage: "Was kränkt, macht krank." Auch aktuelle Sachbücher wie Reinhard Hallers Die Macht der Kränkung verweisen auf die Gefährdung der psychischen Gesundheit durch Kränkung.

Was in der Rezeption häufig zu kurz kommt, ist das Bewusstsein dafür, dass Kränkungen ein unvermeidbarer Bestandteil des Lebens sind. Da es kein einklagbares Recht und keine realistische Hoffnung auf ein kränkungsfreies Leben gibt, ist die Fähigkeit, Kränkungen konstruktiv zu verarbeiten, unerlässliche Bedingung für psychische Gesundheit.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass von der Kränkung des einen nicht auf die Schuld des anderen zu schließen ist. Wenn eine Person sich kränkt, heißt das nicht zwingend, dass eine andere schuldhaft gehandelt hat. Vielleicht ist die gekränkte Person auch nur besonders empfindlich oder hat überhöhte Ansprüche nach Anerkennung. Immerhin sind gerade Narzissten besonders kränkbar.

Selbstreflexion

Die Überzeugung "Wer sich kränkt, hat recht" ist daher eine unzutreffende Schlussfolgerung. Sie führt in Teams und Gruppen oft dazu, dass das empfindlichste Mitglied bestimmt, was geäußert werden darf und offene, auch angemessen kritische Rückmeldungen unwahrscheinlicher werden.

Ein achtsamer Umgang mit anderen hilft dabei, Kränkungen zu vermeiden, die selbstreflexive Betrachtung "Was macht mich hier so empfindlich, wie könnte ich die verspürte Kränkung oder Zurücksetzung konstruktiv verarbeiten" verliert damit aber nicht an Bedeutung.

So wertvoll Achtsamkeit als Prinzip des Miteinanders ist, so problematisch ist die Kultivierung der Empfindlichkeit, weil sie letztlich zu einer Schwächung der Resilienz führt. (Elisabeth Wagner, 2.11.2021)