Die derzeitige Identitäts-Hipness bewirkt, dass die Wiener Tanz-Presenter Brut, Wuk, zum Teil Impulstanz und eben das TQW seit einigen Jahren sehr ähnlich programmieren.

Foto: studio VIE /100 Beste Plakate

Sie brachte einen neuen Stil ans Haus, der konsequent auf Körperdiversität und Queer Culture, die Auseinandersetzung mit nichtnormativer Körperlichkeit und Partygefühl setzt. Im Jänner 2018 wurde Bettina Kogler zur Intendantin des 2001 gegründeten Tanzquartiers Wien (TQW) ernannt. Zu Beginn ihres dritten Jahres kam Corona, und Koglers Vierjahresvertrag wurde bis 2025 verlängert.

Für die Programmatik ihres Hauses hat Kogler Impulse aufgenommen, die sie selbst erst als Leiterin des Imagetanz-Festivals im Brut und dann der Theater-Tanz-Abteilung im Wuk gesetzt hatte. Was heute Mainstream bei Performance und Tanz ist, wurde dort im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erst getestet. Die derzeitige Identitäts-Hipness bewirkt, dass die Wiener Tanz-Presenter Brut, Wuk, zum Teil Impulstanz und eben das TQW seit einigen Jahren sehr ähnlich programmieren. Geben wir’s zu: Wie andere Kunstsparten hat auch der Tanz die Folgen der digitalen Revolution für das Verständnis vom menschlichen Körper größtenteils verschlafen – genauso wie die Zusammenhänge zwischen Körper, Konsum, Gesellschaft und Klima.

Dieses Manko soll die Verdienste von Koglers zusammen mit Christa Spatt geleisteter hedonistischer Aufklärungsarbeit nicht schmälern. Denn auch nach 20 Jahren ist das TQW noch ein vernehmliches Echo jenes Laboratoriums für zeitgenössische Choreografie, als das es im Oktober 2001 eröffnet wurde. Mittlerweile hat es mit Bettina Kogler nach Sigrid Gareis und Walter Heun seine dritte künstlerische Leiterin.

Sechzig Meerschweinchen

Für Aufsehen hatte Ende Juni 2001 eine Voreröffnung des TQW mit der Installation Europa tanzt. 48Stunden Wiener Kongress für Meerschweinchen gesorgt. Die Stars dieses "sozialen Experiments" der Gruppe Hygiene heute – Stefan Kaegi und Bernd Ernst – waren sechzig entzückende Tierchen aus Birgit Eitelbergers Meerschweinchenranch in Wulkaprodersdorf.

Auch sonst war für Diskussionsstoff gesorgt. Die damaligen Big Player der Wiener Tanzszene, unter anderen Sebastian Prantl, Liz King und das Tanztheater Homunculus, hätten das Haus gerne in Selbstverwaltung geführt. Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Am herbstlichen Eröffnungsprogramm waren trotzdem namhafte Wiener Tanzschaffende beteiligt.

Lokale Querelen

Gründungsintendantin Sigrid Gareis gelang es binnen kürzester Zeit, eine europaweit bewunderte Modellinstitution zu etablieren, in der Training, Theorie, Forschung, gesellschaftspolitische Diskussionen und lokale wie internationale Tanz- beziehungsweise Performance-Aufführungen ineinandergriffen.

Und weil die Wiener Festwochen im Mai und Juni die Museumsquartier-Hallen G und E besetzten, veranstaltete Gareis in diesen beiden Monaten eine "Factory Season" im öffentlichen Raum. Trotz ihrer Erfolge wurde die streitbare Gründungsintendantin lokale Querelen nicht los.

Diplomatisch unter Heun

Ihr Nachfolger ab 2009, Walter Heun, war diplomatischer und führte das TQW mit einem anspruchsvollen, weniger kontroversiellen Programm in ruhigere Wasser. Er sorgte mit festivalähnlichen Mischprogrammen aus Performances und Theorie für saisonale Höhepunkte. Doch in Heuns Jahren bis 2017 kam dem Tanzquartier sein internationaler Ruf als Hochburg gewagter Experimente etwas abhanden.

Die neue thematische Enge unter Bettina Kogler hat dem TQW nicht wirklich genützt. Aber das Haus bleibt auch weiterhin ein Experiment und ist nicht zu einer bloßen "Abspielhütte" geworden. Für die Zukunft ist ihm entsprechend den heutigen komplexen Wirklichkeiten noch mehr Vielfalt und Weitsicht zu wünschen. (Helmut Ploebst, 30.10.2021)