Die WKStA sieht sich heftiger Kritik der Rechtsschutzbeauftragten ausgesetzt.

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In einer scharf formulierten Beschwerde hat die Rechtsschutzbeauftragte Gabriele Aicher die Ermittlungsmaßnahmen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in der Causa Umfrage- und Inseratenkorruption kritisiert. Die ÖVP nahm das dankbar auf: Klubobmann August Wöginger forderte "Aufklärung", das parteinahe Medium "Exxpress" schrieb sogar davon, dass die "Razzia bei ‘Österreich’ rechtswidrig war". Ganz so einfach ist die Angelegenheit allerdings nicht.

Frage: Wer ist Gabriele Aicher?

Antwort: Aicher ist erst seit etwas mehr als einem halben Jahr Rechtsschutzbeauftragte der Justiz. Davor war sie bei der Finanzprokuratur, Staatsanwältin und danach jahrzehntelang in der Generalprokuratur tätig. Sie kennt das Justizsystem also sehr gut; erhielt für ihre Tätigkeiten auch den Berufstitel Professorin verliehen. Schon bei ihrem Amtsantritt als Rechtsschutzbeauftragte kündigte sie in Interviews an, diese Aufgabe aktiver anzulegen. Damals kritisierte sie die WKStA für deren Agieren in der BVT-Affäre und zeigte ihren Unmut darüber, dass neue Ermittlungen durch "Zufallsfunde" auf sichergestellten Smartphones ausgelöst werden.

Frage: Was ist Aichers Aufgabe?

Antwort: Prinzipiell prüft die Rechtsschutzbeauftragte zwei Dinge: Erstens vertritt sie in bestimmten Fällen die Rechte von Betroffenen, wenn Maßnahmen gesetzt werden, von denen diese nichts wissen dürfen. Also etwa Telefonüberwachungen oder der Einsatz von verdeckten Ermittlern. Dagegen können sich Betroffene logischerweise nicht akut wehren, da die Maßnahme ja ohne deren Wissen erfolgen muss. Zweitens prüft sie, ob in bestimmten Fällen eingestellte Ermittlungen fortgeführt werden sollen.

Frage: Was stört Aicher an den Maßnahmen zur Umfrage- und Inseratekorruption?

Antwort: Bei Hausdurchsuchungen ordnet die Justiz im Regelfall die Peilung von Smartphones betroffener Personen an. Das dient dazu, festzustellen, ob sie sich überhaupt am geplanten Ort der Durchsuchung aufhalten – man will Überraschungen vermeiden. Das plante die WKStA auch vor den großflächigen Razzien in Kanzleramt, ÖVP-Zentrale und der Mediengruppe "Österreich". Allerdings genießt zumindest Wolfgang Fellner als Journalist besonderen Schutz; er ist ein sogenannter Berufsgeheimnisträger. Daher hätte die Rechtsschutzbeauftragte die Peilung seines Smartphones ermächtigen müssen.

Frage: Warum ist das nicht erfolgt?

Antwort: Die WKStA hat offenbar vergessen, die Rechtsschutzbeauftragte zu kontaktieren. Dieser "Irrtum", wie die WKStA es nennt, wurde allerdings so früh festgestellt, dass gar keine Peilung erfolgte. Trotzdem muss Aicher diesen Vorgang aufzeigen – und sie geht sogar noch weiter: In ihrer Beschwerde argumentiert sie, dass sie die Ermächtigung auch nicht erteilt hätte, wäre sie fristgerecht eingebunden worden. Denn sie sieht keinen "dringenden Tatverdacht" gegen Fellner.

Frage: Warum beurteilt die Rechtsschutzbeauftrage die Verdachtslage gegen Fellner so?

Antwort: Aicher sieht in den ihr übermittelten Akten zwar einen Tatverdacht gegen Fellner, allerdings keinen "dringenden". Das betrifft lediglich die Verdachtslage gegen Fellner, die anderen Beschuldigten wie Altkanzler Sebastian Kurz oder Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid jedoch nicht. Für Aicher geht aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen nicht eindeutig genug hervor, wie Wolfgang Fellner und sein Bruder Helmuth Fellner am "Tatplan" beteiligt gewesen sein sollen. Es geht bekanntlich um zwei Dinge: Einerseits um Bestechung und Bestechlichkeit, weil Fellner das Finanzministerium mit positiver Berichterstattung bestochen haben soll, um als "Vorteil" einen Inseraten- und Medienkooperationsdeal um 1,3 Millionen Euro zu erhalten. Andererseits geht es um "Untreue", weil die Meinungsforscherin Sabine B. Scheinrechnungen an das Finanzministerium legte, um dann teils manipulierte Umfragen zu erstellen, die in "Österreich" erschienen. Für Aicher sind hier die Indizien gegen Fellner zu wenig konkret; bekannt sind bisher ja Kalendereinträge zwischen anderen Beschuldigten und Fellner; Chats über Fellner sowie einige wenige Nachrichten mit Fellner, in denen dieser allerdings mutmaßlich verspricht, redaktionelle Berichterstattung nach Wunsch des Team Kurz zu gestalten.

Frage: Heißt das nun, dass die Hausdurchsuchung gegen Fellner rechtswidrig war?

Antwort: Nein, derzeit nicht. Die Rechtsschutzbeauftragte kann das nicht entscheiden. Aus ihrer Sicht reichte die Verdachtslage nicht aus, um die einmalige Peilung des Fellner-Handys – die ohnehin nie erfolgte – zu rechtfertigen. Ob die Razzia an sich rechtswidrig war, muss das Oberlandesgericht (OLG) Wien prüfen. Es könnte jedoch der Argumentation Aichers folgen, denn auch für eine Hausdurchsuchung bei Journalisten ist ein dringender Verdacht notwendig.

Frage: Welche Punkte kritisiert Aicher noch?

Antwort: In ihrer Beschwerde geht Aicher weit über ihre eigentliche Zuständigkeit hinaus. Von der fehlenden Peilung geht sie zu einer allgemeinen Kritik an der WKStA über. Sie bemängelt beispielsweise, dass die Ermittlungen Teil eines Großverfahrens sind, das vom Ibiza-Video über den Verdacht auf Falschaussage bis hin zur Inserate- und Umfrageaffäre viele Verfahrensstränge beinhaltet. Das führt wiederum dazu, dass Anordnungen immer vom selben Richter getroffen werden – es handelt sich dabei um jenen Haft- und Rechtsschutzrichter, der auch Altkanzler Kurz einvernommen hat. Das sei unfair, argumentiert Aicher vereinfacht formuliert, weil der Richter dadurch ein "Vertrauen" in die Anordnungen der WKStA aufbaue und so leichter Mängel übersehe – etwa die nicht eingeholte Ermächtigung zur Peilung.

Frage: Was stört die Rechtsschutzbeauftragte an Großverfahren?

Antwort: Aicher meint weiters , dass eine Trennung des Akts in einzelne Verfahren "geboten" wäre – das ist aber nicht ihre Entscheidung. Tatsächlich wird die Frage der Großverfahren innerhalb der Justiz diskutiert; wobei einige Dinge für und gegen ein solches Vorgehen sprechen. Es lässt sich argumentieren, dass alle Sachverhalte im "Casinos"-Akt auf die eine oder andere Weise zusammenhängen: Das Faktum Österreichische Staatsholding mit dem Ibiza-Video, weil womöglich die Neubestellung des Casinos-Vorstands mit den Postenbesetzungen in der Staatsholding zu tun hatte; das Faktum Falschaussage, weil der Verdacht besteht, dass darüber die Unwahrheit gesagt wurde – und so weiter und so fort. Die Beschuldigten erhalten durch das Großverfahren Einsicht in alle dazugehörigen Akten und können so Entlastendes entdecken und sehen, welche Vorwürfe gegen sie existieren. Dagegen spricht, dass der Akt nun sehr viele Beschuldigte hat, die eben allesamt über Akteneinsicht auf Dokumente zugreifen dürfen – was auch dazu führt, dass viele Akten rasch an Medien gelangen, wie Aicher konstatiert.

Frage: Wie ist die Kritik der Rechtsschutzbeauftragten einzuschätzen?

Antwort: Grundsätzlich macht Aicher ihren Job, wenn sie wegen der fehlenden Ermächtigung zur Handypeilung eine Beschwerde einlegt. Allerdings sei die Kritik an der WKStA "etwas scharf formuliert", wie Verfassungsrichter Michael Rami in der "Zib 2" sagte.

Verfassungsrichter und Strafrechtsexperte Michael Rami in der "ZiB 2" von Freitag.
ORF

Merkwürdig ist allerdings, mit welchen drastischen Worten sich Aicher am Freitag gegenüber Medien zu Wort meldete. Sie sprach davon, dass "rote Linien überschritten" worden seien und sagte der "Krone", sie sei in Sorge, "weil ich wahrnehme, wie fortlaufend versucht wird, Grenzen zu verschieben und das beunruhigt mich zutiefst." Sie zog auch Vergleiche zur BVT-Affäre und ermahnte die WKStA: "Wer den Rechtsstaat vertritt, hat sich selbst an die Vorgaben des Rechtsstaates zu halten." Damit hat Aicher die aufgeheizte Stimmung weiter befeuert, statt nur auf den Rechtsweg innerhalb der Justiz zu setzen. (Fabian Schmid, 30.10.2021)