Münzwurf: In der Runde der führenden Staats- und Regierungschefs der Welt fehlten Wladimir Putin aus Russland und Chinas Regierungschef Xi Jinping.

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Bevor sie ihre Beratungen am Sonntagmorgen erneut aufnahmen, haben sich die Mächtigen der Erde vor dem Trevi-Brunnen in der Römer Altstadt versammelt, zum Fototermin vor imposanter Kulisse und zum traditionellen Wurf einer Münze rückwärts über die Schulter. Der Legende nach wird man dank dem Ritual irgendwann einmal wieder in die Ewige Stadt zurückkehren.

Die reale Wirksamkeit des Münzenwurfs ist indessen fraglich – genauso fraglich wie die Effizienz der Maßnahmen zum Klimaschutz, zu denen sich die zwanzig wichtigsten Industrienationen und Schwellenländer des Planeten in ihrer Abschlusserklärung verpflichtet haben. Auch sie könnten sich als Illusion, als Rückschritt erweisen. Umweltschutzorganisationen sprachen gestern bereits von einem "Gipfel der verpassten Chancen".

Die Verhandlungen über konkrete und rasche Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen sind beim Gipfel von Rom von Anfang an unter einem ungünstigen Stern gestanden: Chinas Regierungschef Xi Jinping und Russlands Staatschef Wladimir Putin sind zum G20-Treffen schon gar nicht erst angereist. Ohne die beiden Länder sind die internationalen Bemühungen, die Klimakrise zu bewältigen, in Frage gestellt: Mit 27,9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ist China der mit Abstand größte Verursacher von Treibhausgasen; Russland wiederum zählt zu den wichtigsten Produzenten von Erdgas und Erdöl und ist wirtschaftlich von diesen fossilen Energieträgern abhängig. Xi und Putin werden auch an der Klimakonferenz in Glasgow nicht teilnehmen.

Abschwächungen

Die beiden großen Abwesenden begründeten ihr Fernbleiben in Rom und Glasgow mit der Covid-Pandemie. In Rom haben sie sich immerhin per Video kurz zugeschaltet, und voraussichtlich werden sie dies auch bei der Klimakonferenz tun. Ihre Botschaft ist indessen klar: Wegen der Pandemie, die insbesondere in Russland weiterhin auf verheerende Weise wütet und die wirtschaftliche Erholung gefährdet, könnten ihre Länder die großen Kosten einer Energiewende im Moment nicht stemmen. Vielmehr erwarte man von den reichen und hochentwickelten Ländern wie den USA und den EU-Staaten, dass sie mit dem guten Beispiel vorangehen – ihre Pro-Kopf-Emissionen lägen ohnehin nach wie vor höher. Ähnlich argumentierte in Rom auch der indische Premierminister Narendra Modi.

Zwar haben sich die Gipfelteilnehmer in der Abschlusserklärung in allgemeiner Form zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens bekannt; die G20-Staaten, die allein für 80 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, bekräftigten das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Aber in Rom ist der ursprüngliche Entwurf der italienischen G20-Präsidentschaft an entscheidenden Stellen abgeschwächt worden: In der Erklärung konnte man sich nicht einmal mehr auf ein "sofortiges Handeln" einigen. Stattdessen ist von "bedeutungsvollem und wirksamen Handeln" die Rede. Im Schlussdokument sollte zunächst – wie im Pariser Klimaschutzabkommen – auch ein Datum für das Erreichen von Netto-Null-Emissionen festgeschrieben werden: bis 2050. Doch dort findet sich nur noch die gewollt elastische Formulierung, dass das Ziel "bis oder um die Mitte des Jahrhunderts" erreicht werden soll.

Die Abschwächung erfolgte auf Druck von China und Indien: China stellt Null-Emissionen frühestens für 2060 in Aussicht, Indien will sich überhaupt nicht auf eine bestimmte Jahreszahl festlegen. Immerhin versprechen die G20-Staaten nun, ab dem kommenden Jahr im Ausland den Bau von Kohlekraftwerke nicht mehr mit staatlichen Mitteln zu fördern. Im Inland will aber insbesondere China die Energiegewinnung aus Kohle noch kräftig ausbauen. Die G20-Teilnehmer haben sich in der Erklärung außerdem noch einmal zu dem eigentlich schon bis 2020 angestrebten Ziel bekannt, armen Ländern rund 100 Milliarden US-Dollar jährlich an Hilfe für die ökologische Energiewende zuzusagen. Im Kommuniqué heißt es jetzt, dass die Summe 2023 erreicht werde. Umweltorganisationen wie Greenpeace bezeichneten die Schlusserklärung als "schwach, ohne Ehrgeiz und Vision".

Biden selbst enttäuscht

US-Präsident Joe Biden hat China und Russland die Schuld für die Enttäuschung vieler Klimaschützer über die Beschlüsse des Gipfels gegeben. Die Enttäuschung habe damit zu, dass die beiden Länder keine Bereitschaft zu irgendwelchen Verpflichtungen in Sachen Klimaschutz gezeigt hätten, sagte Biden. "Es gibt einen Grund für die Leute, enttäuscht zu sein. Ich fand das selbst enttäuschend."

Trotzdem habe die Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte mit Blick auf die Klimakonferenz in Glasgow "deutliche Fortschritte" gemacht. Es müsse aber noch mehr passieren. Aber man müsse sich vor allem ansehen, "was China nicht macht, was Russland nicht macht und was Saudi-Arabien nicht macht".

70 vs. drei Prozent Immunisierung

Fortschritte verzeichnete der Gipfel dagegen bei der Bekämpfung der Pandemie: In der Abschlusserklärung verpflichten sich die Teilnehmer zum Ziel, bis Ende des laufenden Jahres weltweit eine Durchimpfung von 40 Prozent und bis Ende Juni 2022 von 70 Prozent zu erreichen. Damit bekräftigen sie das Ziel der WHO, die die gleichen Zahlen anstrebt. Gastgeber Mario Draghi hatte in seiner Eröffnungsrede am Samstag daran erinnert, dass derzeit in den reichsten Ländern der Welt 70 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten habe (in Italien sind es 86 Prozent), während in den ärmsten Länder gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung immunisiert worden sei. "Das ist moralisch nicht akzeptabel", betonte Draghi.

Vertreter von Hilfsorganisationen kritisieren indessen, dass illusorisch sei, in den armen Ländern in nur zwei Monaten von praktisch null auf eine Impfquote von 40 Prozent zu kommen. Und außerdem sei es auch ziemlich schleierhaft, wann und mit welchen Maßnahmen die Quote von 70 Prozent erreicht werden solle.

Jörn Kalinski von der Entwicklungsorganisation Oxfam forderte die in Rom versammelten Staats- und Regierungschefs auf, "nachzulegen und einen Aktionsplan zu präsentieren". Bis heute seien nämlich "alle Versprechen der G20 für globalen Zugang zu Impfstoffen gebrochen worden". Auch Friederike Röder von Global Citizen forderte einen "konkreten Fahrplan" und mahnte: "Wir haben keine Zeit mehr für Absichtserklärungen."

Globale Mindeststeuer

Das konkreteste Ergebnis des Römer G20-Gipfels ist denn auch jenes, von dem am wenigsten geredet wird: Die Teilnehmer haben sich auf die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent für international tätige Großunternehmen geeinigt. Die Reform war freilich nicht von den G20-Staaten, sondern von der OECD unter der Federführung von der früheren US-Notenbankchefin und heutigen US-Finanzministerin Janet Yellen vorangetrieben worden; inzwischen haben sich unter dem Dach der OECD 136 von 140 Staaten auf die Einführung einer solchen Steuer geeinigt.

Auch die Finanzminister und Notenbankschefs der G20 hatten sich im Juli in Venedig bereits für die globale Steuer, die 2023 in Kraft treten soll, ausgesprochen. Das Ziel der Reform ist es, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. (Dominik Straub aus Rom, 31.10.2021)