Premierminister Fumio Kishida verteidigte zwar den ersten Platz, musste aber Verluste hinnehmen.

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Bei Japans erster Parlamentswahl in vier Jahren hat Premier Fumio Kishida, der seit Anfang Oktober amtiert, weniger Federn lassen müssen als erwartet. Die Koalition aus seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) und der buddhistischen Komei-Partei, die Japan seit Ende 2012 regiert, verlor nur zwölf ihrer 305 Mandate. Damit erreichte der 64-Jährige sein Minimalziel des Machterhalts. Zugleich erhielt die LDP eine komfortable eigene Mehrheit von 261 Sitzen, könnte also auch alleine regieren. Doch durch den Verlust von 15 Sitzen stellt die LDP weniger als 60 Prozent der Abgeordneten und verzeichnete damit ihr schlechtestes Ergebnis seit zehn Jahren.

Dabei wirkte sich in erster Linie die verbreitete Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik der "Abenomics" von Expremier Shinzo Abe aus. Die aggressive Geld- und Fiskalpolitik hat auch nach fast neun Jahren weder Wachstum noch Einkommen erhöht. Nur die obersten zehn Prozent der Japaner profitierten von gestiegenen Aktien- und Immobilienpreisen. Wirtschaftliche Folgen der Pandemie verschärften soziale Gegensätze, da fast 40 Prozent der Erwerbstätigen keinen festen Job haben.

Risikoscheue Wählerschaft

Doch von der negativen Stimmung konnte die Konstitutionelle Demokratische Partei (CDP) als größte Oppositionspartei überraschend nicht profitieren. Im Gegenteil: Sie verlor 14 ihrer 110 Mandate, obwohl sie mit drei anderen Oppositionsgruppen, darunter erstmals den Kommunisten, ihre Kandidaten koordiniert hatte, um die Stimmen der LDP-Gegner zu sammeln. Doch viele Protestwähler entschieden sich für die neoliberal-konservative Restaurationspartei Japans (Nippon Ishin no Kai). Die Regionalpartei aus Osaka, die sich als Alternative rechts der LDP verkauft, trat erstmals auch außerhalb Westjapans an.

Der Wahlausgang unterstreicht, wie konservativ und risikoscheu die japanische Wählerschaft ist. Zum Großteil verlässt sie sich darauf, dass die LDP ordentlich regiert. Nur wenn dies erkennbar nicht der Fall ist, erhält diese einen Denkzettel. Auf die treuen Stammwähler und Unterstützung der Wirtschaft kann sich die Volkspartei, die ein breites politisches Spektrum abdeckt, verlassen. "Linksliberale Parteien wie die CDP, die sich bei dieser Wahl für die Einführung der Ehe für alle und mehr Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt hat, haben es weiterhin schwer", sagt der Japan-Experte Axel Klein von der Universität Duisburg-Essen.

Wie zur Bestätigung erreichte die LDP ihren höchsten Anteil von rund 40 Prozent ausgerechnet in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen Japanerinnen und Japaner. In dieses Bild passt, dass es keine nennenswerte Fridays-for-Future- oder Umweltbewegung in Nippon gibt. Dagegen standen die vermeintlich konservativen 60- bis 70-Jährigen am wenigsten hinter der LDP. "Die konservative Einstellung und generell der Trend zum Apolitischen bei jungen Menschen ist vor allem auf die fehlende politische Bildung an den Schulen zurückzuführen", analysiert dazu die Japanwissenschafterin Barbara Holthus.

Patzen ist verboten

Premier Kishida muss sich nun entscheiden. Nimmt er den Dämpfer ernst, korrigiert er die neoliberale Wirtschaftspolitik und achtet stärker auf soziale Gerechtigkeit. "Ein starkes Mandat der Wählerschaft für ein ‚Weiter so!‘ kann man aus dem Ergebnis sicher nicht herauslesen", meint Analyst Klein – auch wenn sich die Unzufriedenheit kaum in Sitzen niederschlug.

Doch Kishida will offenbar eine Gratwanderung zwischen beiden Polen versuchen. Einerseits kündigte er am Montag in klassischer Abenomics-Manier ein großes Konjunkturpaket an. Andererseits soll es auch eine Barzahlung an pandemiegeschädigte Japaner enthalten.

Offenbar will Kishida die Unterstützung des noch immer mächtigen Abenomics-Namengebers nicht verlieren. Auf jeden Fall fühlt sich der Premier unter Zeitdruck: Bis zur Oberhauswahl im Sommer 2022 bleiben nur wenige Monate. Sollte er patzen, drohen Machtkämpfe in der LDP wieder auszubrechen – und seine Tage an der Spitze zu enden. (Martin Fritz aus Tokio, 1.11.2021)