Ich war wieder auf Urlaub. Diesmal nicht in Ungarn, sondern in Italien, in der Nähe von Modena, eine Woche lang. Ich war unter anderem in Venedig und Florenz, in beiden Städten sind (fast) so viele Menschen wie immer und fast alle tragen, auch im Freien, Masken. Ich war in Cafés und Pizzerias und bei einem der besten und bekanntesten Köche der Welt, Massimo Bottura, der im Lockdown begonnen hatte, Instagram-Videos mit Home-Kitchen-Kochvideos online zu stellen, um die Menschen zu animieren, zu Hause zu bleiben und selbst zu kochen.

Ich werde mich ein Leben lang an den Inbegriff eines perfekten Mittagessens erinnern, den ich nun nach mehrjähriger Wartezeit dank dieses Kochs erleben durfte, aber auch an die vielen Museenbesuche, die Kaffees, das Flanieren - Italien halt. Italien, allerdings, in der Pandemie.

Im kleinsten Kaffee war es genau wie in jedem Museum und teuersten Luxusrestaurant: Rein kam nur, wer spätestens an der Tür seinen 3G-Status nachwies, ohne Ausnahme. Geht man in der Osteria Francescana  essen, bekommt man wenige Tage vor dem Ereignis per E-Mail eine einfache Regel mitgeteilt, die man besser ernst nimmt: Wer eine Reservierung hat und am Eingang einen gültigen 3G-Nachweis vorweist, ist willkommen, wer nicht, der bleibt draußen, muss aber trotzdem das komplette Menü bezahlen (ohne Weinbegleitung, immerhin).

Ich (doppelt geimpft, keine Risikogruppe) fand es ausgesprochen angenehm, in einem Restaurant zu sitzen, eine Kirche zu besichtigen, durch ein Museum zu gehen oder einen Stehimbiss zu besuchen, immer mit dem Wissen, dass auch bei den anderen, auf die ich dort traf, unterschiedslos geprüft worden war, dass sie (wahrscheinlich) nicht ansteckend sind.

Wie schön das war, fiel mir sofort auf, als ich, wieder über der Grenze zurück in Österreich, eine österreichische Raststation betrat: Horden von Menschen, keinerlei Überprüfung beim Eingang, so gut wie keine Masken im ungelüfteten Innenraum. Das hatte nichts mit Datenschutz, Bürgerrechten und Freiheit zu tun, sondern viel mit Rücksichtslosigkeit, Ignoranz und Wurschtigkeit.

Es ist halt auch in Österreich Pandemie und vierte Welle. Die nunmehr Dritte Covid-19 Maßnahmenverordnung verpflichtet trotzdem in der Mehrzahl weiterhin nicht zur Überprüfung des 3G-Status (am Eingang). In § 1 Abs. 5 der Verordnung heißt es weiterhin: "Der Inhaber einer Betriebsstätte, der Verantwortliche für einen bestimmten Ort oder der für eine Zusammenkunft Verantwortliche ist zur Ermittlung folgender personenbezogener Daten der betroffenen Person ermächtigt [...]. Darüber hinaus ist er berechtigt, Daten zur Identitätsfeststellung zu ermitteln." Heißt auf Österreichisch: Is eh wurscht.

Foto: Nikolaus Forgó

Selbst dort, wo ein 3G-Nachweis vorgewiesen werden muss, zum Beispiel zumeist im Gastgewerbe (§ 5 Abs. 1 der Verordnung), gilt hierzulande fast immer: Is eh wurscht, weil weiterhin so gut wie nirgends richtig überprüft wird. In den wenigen Fällen, in denen "kontrolliert" wird, beschränkt sich diese Kontrolle auf ein (mehr oder weniger gelangweiltes) Stieren auf ein Formular, auf dem irgendetwas stehen kann. Ich kann berichten, dass man wochenlang durch Wien mit einem ungültigen Zertifikat völlig unbeanstandet laufen konnte (kann?). Ich habe ebendieses nämlich über Monate, unter anderem in Dutzenden Lokalen, getan: Ich zeigte wochenlang in den wenigen Fällen, in denen ich gefragt wurde, irrtümlich einen Screenshot samt QR-Code eines durch Zeitablauf nach Erstimpfung längst ungültig gewordenen Zertifikats vor - der Fehler fiel mir nur durch Zufall nach Wochen auf.

Diese Laxheit in der Kontrolle der Einhaltung der Maßnahmen ist kein Zufall und sie setzt sich fort. Schon im Sommer ist ein grotesker Streit darüber ausgebrochen, wer eigentlich die (damalige) Maskenpflicht im Handel kontrollieren müsse: nicht der Handel, sagte vorsorglich sogleich die für die Interpretation der Norm gleich doppelt unzuständige Wirtschaftsministerin.

"Nur ned hudeln" stand dazu auch in der Begründung der damaligen Verordnung: "Was die Kontrolle der Einhaltung von Auflagen [...] betrifft, ist festzuhalten, dass das Ausmaß der Sorgetragungspflicht der Betreiber nicht überspannt werden darf."

Der Streit und auch die abgesteckten Claims wiederholen sich nun, im Herbst, in der vierten Welle, anlässlich der (endlich) eingeführten 3G-Pflicht am Arbeitsplatz. Wieder ist es nicht so, dass (einigermaßen) flächendeckend kontrolliert werden wird, ob eingehalten wird, was vorgeschrieben ist: "Flächendeckende Zutritts- oder sonstige Kontrollen sieht die Verordnung nicht vor", schrieb DER STANDARD. "Kein Arbeitgeber kann von sich aus ständige Kontrollmechanismen einfach einführen", schrieb der ÖGB. Und Strafen bei Verstoß dürften in der Regel auch keine verhängt werden dürfen, und wenn doch, dann frühestens nach einer 14-tägigen Übergangsfrist zum 15. November 2021.

Foto: Nikolaus Forgó
Foto: Nikolaus Forgó

Und auch die nächste Runde in diesem "Is eh wurscht"-Spiel ist schon am Horizont erkennbar. Bekanntlich hat der Gesundheitsminister angekündigt - irgendeinen juristisch belastbaren Text dazu gibt es meines Wissens weiterhin nicht -, dass bei Erreichen einer weiteren "kritischen Schwelle" in der Auslastung der Intensivstationen durch Covid-19 ein "Lockdown für Ungeimpfte" eingeführt werden würde. Ich habe zwar noch niemanden getroffen, der/die mir erklären konnte, wie dies faktisch und rechtlich funktionieren soll. Das hindert aber ranghohe Interessensvertreter der Polizei schon mal nicht daran, anzukündigen "Mit uns nicht", weil "Wir haben was Anderes zu tun". Ein Polizeigewerkschafter wird mit dem nicht nur sprachlich eigenartigen Satz "Die Personalsituation bei der Polizei lasst sicher nicht Kontrollen zu, dass es auch Sinn machen würde" zum Thema zitiert. Und auch Stichproben, so lernen wir vorsorglich, sind keine gute Idee, denn „wenn etwa auf dem Parkplatz eines Baumarktes 150 Autos stehen und einige der rund 300 Leute nach dem Zufallsprinzip überprüft werden sollten, so würde dieser willkürliche Test durch die Kollegen rein gar nichts bringen.“

Ist es nicht Kennzeichen eines Staats, der in seinen Systemen kaputt ist, wenn in einer Pandemie andauernd Normen eingeführt werden, deren Einhaltung niemand, auch die Polizei nicht, kontrollieren kann und will?

Das bringt mich zurück nach Italien. Dort funktioniert die Kontrolle nicht nur deshalb sehr gut und ganz natürlich, weil (vermutlich) klar ist, wer dafür zuständig ist und weil (vermutlich) die Menschen die Regeln auch als sinnvoll akzeptieren, sondern auch aus einem weiteren, sehr trivialen Grund: dem so gut wie flächendeckenden Einsatz von Apps und QR-Codes. Damit ist die Kontrolle kinderleicht, dauert wenig Augenblicke und ist auf beiden Seiten sehr rasch sehr gut eingeübt.

Man muss vorsichtig sein: Es ist wahrlich nicht so, dass die überstürzte Einführung der digitalen Covid-Zertifikate im Frühjahr 2021 eine unumstrittene Idee war.

Department of Innovation and Digitalisation in Law

Es zeigt sich nun auch leider, gerade in Italien, dass einige der damals geäußerten Datenschutz- und Datensicherheitsbedenken berechtigt waren: Vor wenigen Tagen sind in Italien gefälschte Zertifikate, unter anderem für "Adolf Hitler", aufgetaucht und es wird spannend, weiter zu beobachten, was hier warum schiefgegangen ist und welche Auswirkungen das auf die bereits ausgestellten Zertifikate hat. Es wäre sicher wünschenswert gewesen, dieses Szenario, an dessen Ende der Widerruf zahlreicher Zertifikate, deren Besitzer man nicht erreichen kann, stehen könnte, schon im Rahmen einer Datenschutzfolgenabschätzung durchzuspielen, die leider aus Zeitgründen unterlassen wurde.

Man kann an digitalen Zertifikaten noch mehr kritisieren: Mangelnde globale Interoperabilität beispielsweise ist ein entscheidender Faktor zur Beantwortung der vom "Economist" erst kürzlich gestellten Frage "Why vaccine passports are causing chaos". Und, wie schon seit Längerem bemerkt, können digitale Zertifikate diskriminierende Effekte haben.

Department of Innovation and Digitalisation in Law

All diese Kritikpunkte lassen sich hören und sind bedenkenswert. Aber: Auch diese Diskussion fand in Österreich nicht statt. App und QR-Code wurden und werden hierzulande nicht aufgrund dieser Argumente im Alltag verworfen. Vielmehr hat sich die Diskussion um die App (mal wieder, wie schon bei der Rot-Kreuz-App) durch Nichtstun erledigt, weil niemand sich darum bemüht (hat), die Nutzung der Zertifikate und Codes im Alltag - im Restaurant, am Arbeitsplatz, im Museum, et cetera - voranzutreiben.

Digitalisierung durch Nichtstun funktioniert nicht. Es bewahrheitet sich auch in der vierten Welle diese Trivialität. Wenn "man" daran etwas ändern will, muss "man" dafür etwas tun.

Auf der Heimfahrt, auf der Autobahn bei Udine, hörte ich, nicht ganz zufällig, mal wieder Rainhard Fendrichs "Strada del Sole"; ich bin alt genug, dass ich mich an das Lied und seine Entstehungszeit erinnern kann.

Mir fiel auf, dass man Fendrichs Text auch als eine Allegorie auf Österreich und auf "den Österreicher" im Umgang mit dieser Pandemie lesen kann: "Er hot's mitn Schmäh packt auf dolce far niente, mmm... Net sehr vül im Hirn, ober molto potente, dem hau i die Zähnt ei!".

Wenn wir nicht wollen, dass uns die Pandemie weiter die Zähne einhaut (und nicht nur diese), werden wir uns anstrengen müssen. Beim Impfen genauso wie beim Maskentragen, beim Einhalten von Hygieneregeln und  beim Nutzen und Überprüfen der 3G-Zertifikate. (Nikolaus Forgó, 4.11.2021)

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