Die Impfung schützt uns vor schweren Verläufen, die Corona-Intensivbetten sind zum Großteil von Ungeimpften belegt. Die Fakten, die für eine Impfung sprechen, liegen auf dem Tisch. Aber: Eine kleine, radikale und laute Minderheit sitzt am Nebentisch, FPÖ-Chef Herbert Kickl verteilt dort Flyer über Entwurmungsmittel und Bitterstoffe und gemeinsam macht man sich schenkelklopfend über Fakten und die Wissenschaft lustig. Die interimistische Chefin der FPÖ Graz, Astrid Schleicher, hält ein Impulsreferat zu Meditationen gegen Viren. Auch wenn sich mit der 2G-Regel nunmehr mehr Leute impfen lassen, die Impfdisziplin in Österreich war bisher peinlich niedrig. Wer ausschließlich dem motivierten Seuchenfreund Kickl und dem Querfunk politischer Freaks an den Narrensäumen der FPÖ und der neuen Partei MFG die Schuld daran gibt, der vergisst, dass viele, auf die wir heute in Sachen Impfung hören sollten, Humbug jahrzehntelang hofiert und die Wissenschaft verhöhnt haben: Politik, Ärzte, Kliniken und Apotheken. Ein Rant als Rundblick mit Einblicken in Abgründe.

"Belebtes Wasser" - geadelt durch die Republik

Irgendwann in den 70er-Jahren hatte der Tiroler Tankwart Johann Grander eine Idee. Man könnte Trinkwasser als "belebtes Wasser" etikettieren und teuer verkaufen. Das reicht zwar nicht für einen Nobelpreis, ein Ehrenkreuz für Wissenschaft der Republik Österreich geht sich damit aber aus, es wurde dem Entdecker der "Wasserbelebung" im Jahr 2001 verliehen. Der Wasser-Schabernack schaffte es auch in öffentliche Gesundheitseinrichtungen. Einige oberösterreichische Landeskliniken warben bis vor wenigen Jahren damit, dass sich der Patient im Spital an "gesundem Granderwasser mit der Qualität von Quellwasser" aus der Leitung laben könne. Granderwasser hat erst in den letzten Jahren etwas von seinem Nimbus verloren. Mittlerweile genieren sich viele Einrichtungen und Unternehmen, dem Grandervertrieb einst auf den Leim gegangen zu sein. Zumindest öffentliche Einrichtungen legen offenkundig Wert darauf, von den Tiroler Wasserhexern nicht mehr als Referenz geführt zu werden. Eine Ausnahme ist das Landespflegeheim Frohsinn in Zwettl. Granderwasser passe zum Pflegekonzept des Hauses, wird Andreas G. zitiert. Der Direktor des Hauses schätze das belebte Wasser auch privat. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Grander belebt mit seiner geheimnisvollen Technologie Wasser nicht besser als Sie, Herr Direktor, wenn sie den Ratschlag der Stiftung Gurutest befolgen und ein dünnes Stück Bauchspeck rund um die Wasserleitung im Landespflegeheim wickeln und dabei Hulapalu singen.

Magisches Wellblech in der Klinik - beworben vom Primarius

In einigen Salzburger Landeskliniken schmückten vor einem Jahrzehnt "Geowaves" die Decken der Ambulanzen. Sie sahen ein wenig aus wie überdimensionale Spiegeleier auf Wellblech und hatten mit Sicherheit weniger heilsame Kraft als Spiegeleier in der Pfanne. Dennoch: In einem Folder des Herstellers lasen wir eine Wortspende für die vermeintlich entstörende Kramuri, die verstört. Weil sie vom ehemaligen Primar der Landesklinik Salzburg: "In den Salzburger Landeskliniken wurden zur Verminderung von Einflüssen stressender Zonen und für ein besseres Wohlbefinden unserer Patienten über 150 GeoWave-Wellen montiert." Die Kliniken entsorgen heute die Teile längst und schamhaft als Müll. Darf der längst pensionierte Primar als Einzelfall abgehakt werden? Wir wollen es hoffen und müssen dennoch festhalten: Auch Spitzenkliniken des Landes, denen wir in Tagen wie diesen fast täglich Gehör schenken, sind nicht immun gegen esoterische Flausen.

Homöopathie -  bestens etabliert im Lande

An der MedUni Wien hielt Michael Frass jahrelang Vorlesungen zur Homöopathie. Die Absurdität dieser Lehre erklärt der Mediziner in verblüffender Offenheit auf seiner privaten Webseite: „Wenn ein Chemiker die homöopathische Arznei untersucht, findet er nur Wasser und Alkohol; wenn er eine Diskette untersucht, nur Eisenoxid und Vinyl. Beide können jedoch jede Menge Informationen bergen." Erst im Jahr 2018 wurden die Homöopathie-Referate vom Rektor aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Im Bereich der niedergelassenen Ärzte sieht es anders aus. Nach wie vor vergibt die Ärztekammer Fortbildungspunkte für Homöopathie. Der Zuckerkugel-Kult, der Regentänzen in Papua-Neuguinea in Sachen Evidenz kaum das Wasser reichen kann, ist anerkannt. Die homöopathischen Ärzte sind gut in der Kammer im Windschatten des Referats für komplementäre Medizin aufgestellt. Was dürfen wir erwarten von Patienten, wenn Ärzte ihnen jahraus, jahrein inhaltslose Zuckerkugeln verschreiben dürfen. Dass sie jetzt sagen: "Oh, die Datenlage und medizinische Evidenz deutet ganz klar darauf hin, dass eine Impfung Sinn macht"?  

Apotheken oder Ärzte, die Impfausleitungen anbieten - sie alle treiben die Impfskepsis im Land an.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Ärzte ohne Schamgrenzen - und ohne Disziplinarverfahren

Die Ärztekammer schießt derzeit scharf gegen Kickl und dessen krude, intellektuell mediokre und ideologisch durchschaubaren Impfexpertisen. Aber wir sehen auch das: Eine Wiener Ärztin, die Aurachirurgie anbietet; ein Kinderarzt, der Fläschchen mit Informationsmedizin verkauft, die man sich gegen Viren auf die Brust legen (!) soll, damit der heilsame Funke überspringt; einen Arzt aus dem Zillertal, der empfiehlt, sich mit Heilzahlen- und -Symbolen, die man auf einen Zettel malt, gegen Corona zu wappnen. Dutzende Ärzte im Land bieten "Bioresonanz"-Behandlungen an. Dieser Humbug wurde einst von Scientologen in die Welt gesetzt. Die dazu nötigen Geräte taugen zur Diagnose oder Therapie nicht besser als der Geschwindigkeitsregler der Carrera-Bahn im Kinderzimmer. Großartige Maßregelungen durch die Ärztekammer gegen all diese Ärzte ohne Schamgrenzen sind mir nicht bekannt. Die Ärzte sind fein raus. Sie verweisen in Disclaimern diskret darauf, dass "die Schulmedizin" das jeweilige Angebot "leider noch nicht anerkenne". Der Kfz-Meister, der mir heiße Luft anstelle von Bremsflüssigkeit in die Leitung füllt, der wäre dran. Dem hilft auch kein Disclaimer, wonach heiße Bremsluft "leider vom westlichen Schulmechanikertum noch nicht anerkannt" sei. 

Apotheken als Handlanger esoterische Manufakturen

Wir kommen zu den Apotheken - eine Baustelle, vornehm ausgedrückt. Klassische "hochpotenzierte" Homöopathika, die in Apotheken feilgebotenen und von Pharmaunternehmen hergestellt werden sind wirkstoff- und wirkungslos. Aber sie scheinen fast seriös im Vergleich zu dem Schrott esoterischer Manufakturen, der dort ebenso feilgeboten wird. Die Apotheke der Präsidentin der Apothekerkammer, Ulrike Mursch-Edlmayr, empfahl vor kurzem "quantenphysikalisch informierte" Salzlösungen des Unternehmens Top Drop zur Ausleitung von Impfstoffen. Drei Fragen dazu drängen sich auf: 1. Müssen wir der Präsidentin einer der Naturwissenschaft verpflichteten Kammer erklären, dass man Impfstoffe oder deren Bestandteile weder ausleiten kann noch ausleiten muss? 2. Wer erklärt der Präsidentin, dass man Salztropferln nicht "quantenphysikalisch" informieren kann und 3. Ist sie die Richtige, um der Bevölkerung die Bedeutung von Impfungen zu erklären? Das Ansinnen der Apothekerkammer, Impfungen gegen Corona durchführen zu dürfen, hat somit ein Geschmäckle. So nebenbei könnte dabei - so unsere Vermutung -  dem verunsicherten Kunden nach dem Jaukerl noch etwas zur "Ausleitung" über den Tresen geschoben werden - und seien es Fantasietropfen eines findigen Abfüllers von Salzwasser oder Industriealkohol. Gibt es eine schönere Doppelmühle?

Homöopathischer Impfersatz - erst da reicht es der Kammer

Immerhin: Der Disziplinaranwalt der Kammer sieht sich die Sache seiner eigenen Präsidentin genauer an. Am 10. November bin ich zu gleich zwei ähnlichen Fällen als Zeuge zu Verhandlungen geladen: Gegen zwei Apotheken, die zumindest indirekt andeuten, dass es homöopathische oder energetische Alternativen zu Impfungen gibt. In einem Fall geht es um eine Wiener Apotheke, die in einem Newsletter homöopathische "Biontech/Pfizer-Impfstoffnosoden" bewarb, im zweiten Fall um eine Apotheke, die einen "Corona Impf-Komplex" verkauft - wahlweise mit und ohne Impfung. Diese Globuli werden von einem Unternehmen hergestellt, das auf "elektronische Homöopathie" spezialisiert ist und die Kügelchen mit Zahlencodes aktiviert. Ich werde zur Verhandlung mit einer Essenz des Engels Jophiel anreisen, der verspricht "innere Sicherheit". Sie werden es aber nicht erraten, woher ich 100 Milliliter der Essenzen meines gefiederten Freundes Jophiel um 24,50 Euro beziehe. Doch sicher nicht von einer geschützten Einrichtung, die mich auch zum Thema Impfungen beraten und Immunisierungen durchführen will, oder? Nebenbei: Dem ORF wurde die Drehgenehmigung in den Kammerräumlichkeiten rund um die Disziplinarsache verweigert.

Ist Kickl wirklich peinlicher als viele Ärzte und Apotheken?

Die Impfskepsis im Land ist kein Zufall, sie ist eine Konsequenz des schlampigen Umgangs eines Teils von Politik, Ärzten und Apotheken mit Scharlatanerie. Granderwasser, Bioresonanztherapien, Aurachirurgie, Zuckerkugeln und quantenphysikalische Impfausleitungen sind keine exklusive Domäne selbsternannter und zugekiffter Schamanen, die im Vierkanter für ein Körberlgeld praktizieren. Der Humbug ist tief in Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken vorgedrungen, gedeckt von Politik und Kammern. Homöopathie, Heilzahlen, belebtes Wasser und dergleichen und die Naivität der Anwender, das mag uns zu gewöhnlichen Zeiten zum Schmunzeln bringen. Jetzt, wo es ernst ist, fliegt uns die Nonchalance gegenüber esoterischem Ganoventum um die Ohren - oder zumindest den Ärzten und Pflegern in den Krankenhäusern. Sie wissen, bei wem sie sich bedanken dürfen. Wer Kickl kritisiert, der muss auch diese Frage stellen. Ist dessen Kreuzzug gegen die Impfungen und dessen Faible für Entwurmungsmittel und Bitterstoffe als Impfersatz wirklich peinlicher als das, was sich manche Ärzte und Apotheken seit jeher erlauben dürfen? (Christian Kreil, 9.11.2021)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch "Fakemedizin".

Weitere Beiträge des Bloggers