Der Cup-Foods-Laden, vor dem George Floyd ermordet wurde, ist zu einem Mahnmal geworden.

Foto: Reutes / Nicole Neri

Minneapolis – Wirklich populär war sie nicht, mittlerweile gilt sie wieder als politisches Gift: die Forderung nach Abschaffung der Polizei oder zumindest – etwas zahmer – nach dem Entzug ihrer Finanzmittel. "Defund the Police", so der englischsprachige Slogan, hatte im Juni 2020 immerhin eine Zustimmung von 25 Prozent der Befragten, mittlerweile sind nur noch 15 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner mit der Forderung einverstanden, wie der "Economist" jüngst berichtete. Allerdings: In der Stadt, in der sich jener Fall zutrug, der der Forderung im Vorjahr ihre Vehemenz verlieh, wird nun trotzdem über die praktische Umsetzung abgestimmt.

Am Dienstagabend, rund eineinhalb Jahre nach der Tötung des Afroamerikaner George Floyd steht in Minneapolis die Abschaffung der Polizeibehörde und deren Ersatz durch ein "Amt für öffentliche Sicherheit" auf dem Wahlzettel. Für Floyds Tod wurde in der Zwischenzeit der Polizist Derek Chauvin verurteilt. Ihm wurde unter anderem Mord zweiten Grades zur Last gelegt – ein Delikt aus der Rechtsordnung von Minneapolis, das in Österreich etwa dem Totschlag entspricht.

Die Abschaffung der Polizeibehörde würde eine Umsetzung jener Kernforderung bedeuten, die Aktivistinnen und Aktivisten – nicht nur aus der Black-Lives-Matter-Bewegung – zuletzt immer wieder erhoben hatten: mehr Geld für Sozialdienste, weniger für die Bewaffnung der Cops. Polizisten gäbe es weiterhin, aber sie würden einer anderen Organisation unterstehen.

Und nicht immer solle die Folge eines Notrufs sein, dass gleich die Polizei erscheine – manchmal seien Sanitäter, Menschen aus der Sozialarbeit, Expertinnen und Experten für Suchtbekämpfung sinnvoller. Die meisten Polizeibeamten würden freilich auch in dem neuen Amt angestellt bleiben. Wie genau, das bleibt offen. Es fehlen viele Details.

Bürgermeister dagegen

Geändert haben sich allerdings die Fronten. Bürgermeister Jacob Frey, der sich am Dienstag zugleich der Wiederwahl stellen muss, ist nun gegen die Initiative. So wie viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den USA hat er in den vergangenen Monaten ein Aufflammen verbrecherischer Gewalt beobachtet. Ihm angeschlossen hat sich auch der demokratische Gouverneur des Bundesstaats, Tim Waltz.

Er argumentiert so wie viele Gegnerinnen und Gegner der Maßnahme: Reformen in der Polizei, ja, die müsse es natürlich geben. Aber nein, nicht ausgerechnet jetzt weniger Polizistinnen und Polizisten. Das sei eine schlechte Idee. In Minneapolis ist die Mordrate im Jahresvergleich um 17 Prozent gestiegen, auch andere Gewaltverbrechen haben zugenommen. Das ist zum Teil, aber längst nicht zur Gänze dadurch erklärbar, dass die Raten im vergangenen Jahr durch Covid und die Lockdowns geringer waren.

Mehr Geld für die Polizeigegner

Mehr finanzielle Unterstützung als die Gegenseite hat laut der Plattform Ballotpedia aber die Kampagne für die Abschaffung gesammelt. Knapp drei Millionen US-Dollar sammelte diese, vor allem von progressiven Organisationen wie Move On, aber auch dem Open Society Center unter der Schirmherrschaft des oft angegriffenen Milliardärs und Philanthropen George Soros. 1,6 Millionen US-Dollar nahm die Gegenseite für ihre Wahlwerbung ein.

Unbezahlte Unterstützung erhielt deren Kampagne gegen die Abschaffung allerdings von der Zeitung "Star Tribune", dem wichtigsten Lokalblatt in Minneapolis. Das Blatt hat auch die einzige Umfrage zur Volksabstimmung veröffentlicht, und diese legt nahe, dass der "Star Tribune" seine Leser nicht überzeugen konnte. 49 Prozent der repräsentativ Befragten in der Stadt wollten demnach am Dienstag für die Abschaffung der Polizei stimmen, 41 Prozent dagegen. Allerdings hat sich das politische Klima seit der Durchführung Anfang September verschärft. Es wird daher mit einem engen Rennen gerechnet. (Manuel Escher, 2.11.2021)