Am 8. und 9. Oktober wählten die Tschechen ein neues Parlament. Der Koalitionsvertrag der künftigen Regierung ist bereits unterzeichnet. Unabhängig davon, wie sich die Lage um den tschechischen Präsidenten Miloš Zeman entwickelt, der derzeit auf der Intensivstation liegt und seinen Amtspflichten nicht nachkommen kann, stehen zwei Dinge fest: Zum einen wird die tschechische Regierung für die nächste vierjährige Amtszeit aus einer Fünf-Parteien-Koalition von zwei sogenannten demokratischen Blöcken – SPOLU und Piraten/Bürgermeister¹ – bestehen; zweitens wird Andrej Babiš und seine Partei ANO die Rolle der Opposition im künftigen Parlament einnehmen. Die Pflicht des tschechischen Präsidenten, eine Person mit der künftigen Regierungsbildung zu betrauen, blieb aufgrund seines verschlechterten Gesundheitszustandes unerfüllt und hinterließ die Nachwahlverhandlungen gewissermaßen in einem politischen Vakuum. Trotzdem diskutierten die Koalitionen SPOLU und Piraten/Bürgermeister weiterhin über ihre künftige Regierungskooperation.

Tschechiens künftige Führung steht schon zu Beginn auf wackligen Beinen: Nach dem knappen Sieg des SPOLU-Blocks verfügen diese gemeinsam mit den Piraten/Bürgermeister zwar über eine klare Mehrheit. Die jüngste Änderung im Wahlsystem Tschechiens führt aber zu einer paradoxen Situation im Abgeordnetenhaus: So konnte SPOLU mit nur wenigen Zehntelprozent die Wahl gewinnen, hinsichtlich der Mandate liegt ANO jedoch mit einer Stimme vor der Koalition. Die Abgeordneten werden nach dem Wahlergebnis in den jeweiligen Regionen ermittelt, Babiš' Partei erzielte in den bevölkerungsreicheren, wie zum Beispiel in Mähren-Schlesien, mehr Stimmen. Dies verdeutlichte auch, wie stark die populistischen und nationalistischen Parteien im Land weiterhin unterstützt werden. Zudem stellt sich die Frage, wie stabil eine Fünf-Parteien-Koalition sein wird. Auch ist es unklar, ob die neue Regierung fähig sein wird, nicht nur die innenpolitischen Fragen zu lösen, sondern vor allem auch regionale und globale Herausforderungen innerhalb Europas gemeinsam anzugehen.

Wahlergebnis 2021: Sieg der Koalitionen, Niederlage der Linken

Zum ersten Mal seit der Gründung der unabhängigen Tschechischen Republik im Jahr 1993 haben die traditionellen, etablierten linken Parteien, die Tschechische Sozialdemokratische Partei (ČSSD, 4,65 Prozent) und die Kommunistische Partei Tschechiens und Mährens (KSČM, 3,60 Prozent), die Prozenthürde nicht überschritten und fliegen damit aus dem Parlament. Das schlechte Abschneiden dieser Parteien führte zum Rücktritt ihrer beiden Vorsitzenden.² Die Gründe für das Scheitern der traditionellen Linken liegen zum einen im Rückgang der kommunistischen Wählerschaft. Diese wird vorwiegend von der älteren Generation mit emotionaler und nostalgischer Bindung an das kommunistische Regime vor 1989 getragen. Zum anderen verzeichnet die ČSSD durch ihre gescheiterte Wahlkampagne und politische Kommunikation einen Abfluss linker Wähler zu den Piraten und ANO. Letztere hatte sich trotz ihrer Mitte-Rechts-Ausrichtung durch ihre Sozialpolitik während der letzten Jahre hervorgetan.

Schließlich erreichten die neu gegründete Schwur-Partei (Přísaha, 4,68 Prozent) und die Trikolore-Koalition (TSS, 2,76 Prozent) trotz ihrer Catch-all-Strategie nicht die entsprechende Stimmenzahl und bleiben beide außerhalb des Parlaments. Ein positives Wahlergebnis ist die künftige Vertretung von Frauen im Abgeordnetenhaus, in der Politikerinnen 50 Mandate (Viertel der Sitze) einnehmen werden. Zu diesem höchsten Frauenanteil in der Geschichte des tschechischen Parlaments trug vor allem das neue System der Vorzugsstimmen bei.

Die Wahlergebnisse in Prozent.
Grafik: Daniel Martínek

Fünf-Parteien-Koalition: (In)stabile Partnerschaft?

In einem gemeinsamen Memorandum einigten sich SPOLU und die Piraten/Bürgermeister-Koalition darauf, dass die neue Regierung nur aus diesen beiden Blöcken ohne Beteiligung anderer politischer Gruppen gebildet wird. Babiš versicherte zwar mehrfach, dass er nach einer Wahlniederlage aus der Politik ausscheiden würde, doch ein Ende seiner politischen Karriere ist nicht in Sicht. Vielmehr wird er als Teil einer starken Opposition im Abgeordnetenhaus bleiben und möglicherweise auch eine Präsidentschaftskandidatur 2023 vorbereiten.

Die Nachwahlverhandlungen deuten darauf hin, dass die einzelnen Koalitionsparteien eine gemeinsame Basis im Hinblick auf eine Regierungsbildung finden werden. Ob die Fünf-Parteien-Partnerschaft allerdings die gesamte vierjährige Periode überdauert, wird eine zentrale Frage sein und scheint auf den ersten Blick aufgrund der unterschiedlichen politischen Ausrichtungen wenig wahrscheinlich. ANO und SPD werden nicht nur ihre Oppositionsrolle voll ausschöpfen, sondern auch Zwietracht zwischen den progressiven, liberalen Piraten und dem konservativen Rest der Koalition säen und damit die Stabilität der Regierung bedrohen. So trübte bereits das Wahlergebnis die Beziehungen in der Koalition erheblich, da die Piraten aufgrund von Vorzugsstimmen die meisten ihrer bisherigen Mandate zugunsten der Bürgermeister abgeben mussten. Zwar wurde von Seite der Koalition dazu aufgerufen, keine Präferenzen abzugeben, dennoch haben die Wähler der Bürgermeister davon im Gegensatz zu denen der Piraten sehr viel mehr Gebrauch gemacht.

Innerer Zwist ist jedoch nicht der einzige Aspekt, der die Existenz der neuen Regierung in Frage stellen könnte. Die beispiellose Zahl von Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichten, hat dazu geführt, dass fast eine Million Wähler, also ein Fünftel der Wahlbevölkerung, nicht im Abgeordnetenhaus vertreten sein wird. Dies stellt die höchste parlamentarische Nicht-Repräsentation in der Geschichte der Tschechischen Republik dar. Eine grundlegende Aufgabe der neuen Regierung wird es daher sein, auch die Interessen dieser überwiegend linken Wählerschaft zu vertreten. Ansonsten riskiert sie eine Entwicklung wie in der Finanzkrise nach 2008, als die antisoziale Politik von ODS und TOP 09 einen fruchtbaren Boden für die Gründung von ANO und SPD geschaffen hatte.

Titelseiten tschechischer Zeitungen.
Foto: Daniel Martínek

Regionale und europäische Agenda der neuen Regierung

Die neu gebildete Regierung wird sich nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in regionalen und europäischen Strukturen einer Belastungsprobe unterziehen müssen. Aus regionaler Sicht wird die gern betonte enge Beziehung innerhalb der Visegrád-Staaten mit der neuen tschechischen Regierung einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Mit dem Ende der von Babiš unterstützten engen Verbindungen zu den nationalen Regierungen in Polen und Ungarn, entstehen zwei Lager innerhalb der Visegrád-Gruppe: Die überwiegend proeuropäischen Regierungsparteien Tschechiens und der Slowakei stünden den euroskeptischen Regierungen in Polen und Ungarn gegenüber. Auch wenn diese Entwicklung letztendlich die Isolation der Visegrád-Gruppe innerhalb der EU verhindern wird, könnte das Verhältnis der tschechischen Regierung zu den Visegrád-Partnern ein weiterer Reibungspunkt innerhalb der Regierungskoalition darstellen.

Noch größere Differenzen, begleitet von einer schwierigen Kompromisssuche, sind bei der Auseinandersetzung mit europäischen und globalen Themen wie Umweltschutz, grüner und digitaler Transformation oder Minderheitenrechten zu erwarten. Trotzdem zeigten die Nachwahlverhandlungen, dass Europapolitik von der Koalition ernstgenommen wird. Neben dem neuen Amt des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Innovation sowie für Gesetzgebung wurde auch die Schaffung eines Ministers für EU-Angelegenheiten vorgeschlagen. Gerade die steigende Energiepreise, die anhaltende Covid-19-Pandemie und wachsende internationale Sicherheitsbedenken deuten darauf hin, dass mit Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union zu rechnen ist, die auch die Stabilität der Koalition auf die Probe stellen könnten.

Darüber hinaus soll die Einsetzung des EU-Ministers nicht nur eine bessere Koordinierung der europäischen Angelegenheiten zwischen den Ministerien gewährleisten, sondern auch ausreichende personelle Kapazitäten für die bevorstehende tschechische EU-Ratspräsidentschaft ab Juli 2022 sichern. Eine wichtige Aufgabe der neuen Regierung ist es daher, die Prioritäten dieser Präsidentschaft festzulegen. Es bleibt zu hoffen, dass die Koalition verantwortungsvoll mit der Vorbereitung und Durchführung der Ratspräsidentschaft umgeht, um die Situation von 2009 nicht zu wiederholen, als die ODS-geführte Regierung im Zuge des Misstrauensvotums mitten in der ersten tschechischen EU-Ratspräsidentschaft zerbrach. (Daniel Martínek, 10.11.2021)

Daniel Martínek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) und Doktorand an der Westböhmischen Universität in Pilsen.

¹ SPOLU-Koalition: Demokratische Bürgerpartei (ODS), TOP 09, Christdemokraten (KDU-ČSL); Piraten/Bürgermeister-Koalition: Tschechische Piratenpartei, Bürgermeister und Unabhängige (STAN).

² Pressekonferenz der ČSSD nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse für das Abgeordnetenhaus des Parlaments der Tschechischen Republik; Der Vorsitzende der KSČM, Vojtěch Filip, und die gesamte KSČM-Führung sind von ihren Ämtern zurückgetreten.

Weitere Beiträge im Eastblog