Tausende Jahre im Einsatz für Menschen: Die mächtigen Eternals schützen uns nicht nur vor Bestien wie den Deviants, sondern helfen uns auch evolutionär auf die Sprünge.

Foto: Disney

Der Präsident der Marvel-Studios, Kevin Feige, weiß nur zu gut, dass sich ein Serienprinzip nur dann ertragreich weiterspinnen lässt, wenn man es mit dem Geschmack des Neuen versieht. Das filmische Universum seiner Superhelden und Raumfahrer erweitert sich deshalb nicht nur laufend in alle gesellschaftlichen Nischen – Stichwort: Diversität –, sondern benötigt auch kreativen Nachschub von der Regieseite. Für Eternals, der eine neue Etappe in der Saga initialisiert, hat das Studio die chinesisch-amerikanische Filmemacherin Chloé Zhao gewonnen – und zwar noch bevor sie heuer mit Nomadland zur Oscarpreisträgerin aufgestiegen ist.

Marvel Entertainment

Zhao ist nur auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wahl – sie hat sich sogar selbst ins Spiel gebracht. Obwohl sie stilistisch ganz anders orientiert war, hat sie ihre Neigung zur Popkultur immer betont. Auf die Frage, inwieweit sie sich in einem Blockbuster dieser Größe wiederfindet, antwortet sie im STANDARD-Gespräch noch affirmativer, als man vermutet hätte: "Eternals stellt noch viel kompletter als Nomadland das dar, was ich bin. Als ich in China aufwuchs, wollte ich zuerst Zeichnerin werden und Geschichten erzählen, die nicht notwendigerweise im Realismus fußen. In den allegorischen, mythologischen Wesen der Manga fand ich Frieden und Bedeutung."

Mythologisch ist man mit den Eternals im Marvel-Universum ganz oben angekommen. Jack Kirby hat sie in den 1970er-Jahren nämlich nach dem Vorbild griechischer Götter entworfen, die seit Tausenden von Jahren auf der Erde eine Art Beschützerrolle erfüllen. Sie tricksen manchmal in die Evolution der Menschen hinein, sind aber von ihrem Götterboss aufgefordert, nicht interventionistisch einzugreifen – dass dies zu moralischen Zwickmühlen führen kann, weiß man von vergleichbaren menschlichen Missionen.

Liebe zu den Erdwürmern

Die Eternals sind ein ziemlich unüberschaubarer Haufen an Figuren. Es gibt eine Thena (Angelina Jolie), einen Gilgamesh (Don Lee), den besonders mächtigen Ikaris (Richard Madden), die gehörlose, superflinke Makkari (Lauren Ridloff) oder den Gedankenkontroller Druig (Barry Keoghan) und die mütterliche Leiterin Ajak (Salma Hayek). Die himmlischen X-Men tragen im Lauf der Menschheitsgeschichte auch innere Dispute aus. Der Film springt in Rückblenden laufend zu einigen dieser historischen Schauplätze zurück. Vom Fall der Aztekenstadt Tenochtitlan bis zu Hiroshima wird dabei auch das Ausmaß menschlicher Destruktivität sichtbar.

Die Eternals entdecken allerdings auch, dass sie Teil eines übergeordneten Plans sind, in den sie nie zur Gänze eingeweiht wurden. Manche von ihnen beginnen, an ihrem Auftrag auf der Erde langsam zu zweifeln. Lohnt es sich überhaupt, die Erdwürmer zu erhalten? Wie hoch darf das Opfer für ein höheres Ziel sein? Wer lange genug unter Menschen weilt, weiß sie freilich zu schätzen. Die Götter haben längst eine Schwäche für uns. Sie gehen Beziehungen mit Menschen ein, eine davon ist die erste schwule Ehe im Marvel Cinematic Universe.

Kosmische Knoten

Zhao begreift die Marvel-Filme als moderne Versionen antiker Mythologie: "Das Genre fragt nach unserem Platz im Universum, aber natürlich mit einem modernen Dreh. Die Probleme sind nun mehr mit moderner Technologie verbunden, mit unserem Verständnis von Wissenschaft. Wir sind keine Diener unseres Planeten mehr und haben uns von der Natur entfernt."

In Eternals ist alles miteinander verbunden, ein kosmischer Knoten von Natur, göttlichem Wirken und Menschenwelt. Zhao, die schon in Nomadland eine Sensibilität für zyklische Zusammenhänge zeigte, ist für diesen etwas esoterischen Überbau eigentlich prädestiniert. Ihre Bilder von sonnendurchfluteten Steinwüsten, Eislandschaften und Wäldern sind weniger artifiziell, sinnlicher und greifbarer als jene anderer Marvel-Filme. Sogar das Thema Erderwärmung kehrt hier als ultimative Menschheitsgefahr, mythologisch gewendet, wieder.

Dass der Blick über die Widersacher, die monströsen, aber nicht sonderlich originell entworfenen Deviants, hinausgehen muss, ist eine der interessanteren Ideen des Films (auch wenn er sich die üblichen Comic-Kämpfe nicht verkneifen kann). Immerhin verwischen die Unterschiede zwischen Freund und Feind. Der Keim des Zwiespalts liegt im Gefüge der Eternals selbst.

Gespaltene Welten

"Ich bin mit östlichem Denken groß geworden", sagt Zhao, "im Buddhismus glaubt man nicht an das absolut Gute oder Böse, es gibt immer eine Mitte. Die Polarisierung zwischen richtig und falsch in unserer Gesellschaft ist äußerst schädlich." Es sei schwierig geworden, die andere Seite auch als menschliche zu betrachten, betont Zhao. Für ihren ersten Blockbuster hat sie sich die ganz großen Fragen gestellt: "Mittlerweile sind wir Menschen zu den Göttern im Universum aufgestiegen. Und die Art, wie wir unseren Planeten, die Tiere, bald vielleicht auch den Weltraum behandeln, ist für mich moralisch hinterfragbar." (Dominik Kamalzadeh, 3.11.2021)