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Mit heutigen Fluoreszenzmikroskopen lassen sich einzelne Proteine in Nervenzellen beobachten. Die Grundlagen dafür lieferte Stefan Hell.

Foto: Reuters/Kai Pfaffenbach

STANDARD: Sie sind 1978 als Jugendlicher mit Ihren Eltern aus dem kommunistischen Rumänien nach Deutschland gegangen. War das ein schwerer Neuanfang für Sie?

Hell: Nein, ich habe mich gefreut. Wir waren Teil der deutschsprachigen Minderheit, das nationalkommunistische Rumänien unter Ceaușescu war schwierig für uns. Ich habe mich als Kind nicht sehr wohlgefühlt in dieser Atmosphäre. Wegzugehen war für mich eine Befreiung. Wir sind mit dem Zug über Ungarn und Österreich ausgereist, ich werde nie vergessen, als wir über die ungarisch-österreichische Grenze gefahren sind – und dann kam Bruck an der Leitha. Das war unsere erste Station in Freiheit: Wir waren endlich raus, der Eiserne Vorhang lag hinter uns.

STANDARD: Hat Sie die Physik da schon interessiert?

Hell: Ja, die Physik hat mich schon als Schüler begeistert. Ich hatte in Rumänien einen tollen Physiklehrer, der Spaß vermittelt hat am Thema. Als ich mich vor unserer Ausreise von ihm verabschiedet habe, sagte er: Ich freue mich für dich, aber für unsere Schule ist es traurig: Du warst unser bester Physiker.

STANDARD: In Deutschland studierten Sie an der Universität Heidelberg Physik und wandten sich der Mikroskopie zu, obwohl Sie das Thema uninteressant fanden. Warum?

Hell: Eigentlich hatte ich gehofft, etwas zum grundlegenden Verständnis der physikalischen Zusammenhänge beitragen zu können. Im Studium wurde ich desillusioniert, mir wurde geraten, lieber etwas Angewandtes zu machen, um einen Job zu finden. Das hat mich beeinflusst. Meine Eltern mussten sich im Westen erst etablieren, und ich dachte, vielleicht muss ich einmal für sie sorgen – da mache ich lieber etwas, das mir einen sicheren Job gibt. Dann hat mich ein Professor angeheuert, der eine Firma für Lichtmikroskope gegründet hat. Ich fand die Arbeit furchtbar langweilig und stand während der Dissertation kurz davor, alles hinzuschmeißen.

STANDARD: Was hat Sie trotzdem in der Mikroskopie gehalten?

Hell: Ich habe nachgedacht, ob ich nicht doch noch etwas Grundsätzliches machen könnte – in diesem Bereich. Dann kam mir die Idee zu versuchen, die Auflösungsgrenze in der Lichtmikroskopie zu durchbrechen. Diese Grenze ist von Ernst Abbe 1873 gefunden worden, und man dachte, dass alles unter etwa 200 Nanometer nicht mehr sichtbar gemacht werden kann. Doch seit Abbe war so viel in der Physik passiert, dass ich dachte: Da muss man etwas tun können. Ich habe dann erste Ansätze entwickelt, das hat mich aufrechterhalten.

STANDARD: Wurden Sie dabei unterstützt?

Hell: Nein. Mein Doktorvater hat das nicht unterstützt, und ich bekam keine Fördermittel. Nach meiner Dissertation war es zunächst vorbei, ich war arbeitslos. Ich hätte mich in der Industrie bewerben können, aber ich fand das Thema so spannend, dass ich bereit war, dem auf eigene Faust nachzugehen.

STANDARD: Warum kam 100 Jahre lang niemand auf die Idee, sich die Auflösungsgrenze erneut anzuschauen?

Hell: Die Wissenschaft ist einer der wenigen Bereiche, wo man immer wieder geeicht wird durch die Fakten der Natur. Die Natur ist unerbittlich – sie hat ihre eigenen Regeln und Gesetze und kümmert sich sonst um nichts. Trotzdem darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass es keine Denkschemata gibt in der Wissenschaft, die wie Schablonen wirken. Ein Denkschema in der Lichtmikroskopie war, dass die Lichtwelle eine Grenze beinhaltet, die man nicht überwinden kann. Das war anerkannt, und damit war das Thema abgehakt.

STANDARD: Sie sahen das als Chance. Welchen Ansatz haben Sie verfolgt?

Hell: Abbes Theorie basiert darauf, dass das Objekt in Frequenzspektren zerlegt wird. Diese Frequenzspektren werden mit den Lichtwellen übertragen, am Ende tragen diese Wellen die Frequenzspektren wieder zusammen – und wir haben ein Bild. Weil aber die Linse ein bestimmtes Spektrum nicht mehr übertragen kann, ist da eine Grenze gegeben. Das Problem dabei ist: Man nimmt an, dass alles, was an Informationsübertragung stattfindet, über die Wellen erfolgen muss. Doch das ist fundamental zu kurz gegriffen. Wenn man die Trennung nicht über Wellen macht, sondern über Zustände der Moleküle im Material, spielen die Wellen keine limitierende Rolle mehr. Das war meine entscheidende Entdeckung.

STANDARD: Hatten Sie bei der praktischen Umsetzung dieser Idee von Anfang an die Fluoreszenzmikroskopie vor Augen?

Hell: Ich habe zunächst viel breiter geschaut und auch an die Quantenoptik gedacht. Doch ich merkte, dass ich das nicht umsetzen konnte – und ich wollte nicht nur zeigen, was theoretisch möglich wäre, sondern einen konkreten Weg finden, der zu einem schärferen Bild führt. Bei der Fluoreszenzmikroskopie lässt sich die Trennung über die Zustandsübergänge der Farbstoffe machen, die Fluoreszenzmoleküle leuchten – oder sie leuchten nicht. Im Grundsatz ist das ein An-aus-Konzept.

STANDARD: Wie reagierte die Physik-Community auf diesen Vorstoß?

Hell: Skeptisch bis ablehnend – verständlicherweise. Da kam einer, den keiner kannte, und sagte, er hätte die Beugungsgrenze durchbrochen. Ich war ein Freelance-Postdoc, der aus keinem akademischen Stall kam. Ich war ein Nobody in der Wissenschaft. Ich habe das STED-Verfahren 1994 publiziert, mir war aber damals schon klar, dass die stimulierte Emission nicht der einzige Mechanismus ist. Also habe ich sofort ein Paper hinterhergejagt, wo ich eine Art Schaltprozess beschrieben habe. Das ist von einem Fachjournal abgelehnt worden. Als es dann nach monatelangen Verzögerungen in einem kleineren Journal erschien, hat es wenig Beachtung bekommen.

STANDARD: Wann hat sich Ihre Entdeckung dann durchgesetzt?

Hell: Das dauerte bis 2005. Dann haben das auch andere Physiker aufgegriffen, darunter Eric Betzig, der ebenfalls den Nobelpreis erhielt. Er hat dann schnell Funding dafür bekommen und in "Science" publiziert – der Zweite hat es leichter. Da müssen nicht mehr alle anderen ihre Meinung revidieren.

STANDARD: Kann die Wissenschaft aus Ihrem Beispiel etwas lernen?

Hell: Absolut. Man muss darauf achten, ob jemand eine originelle Problemstellung findet – das ist das Allerwichtigste. Geht die Person etwas an, das niemand auf dem Schirm hat? So etwas ist spannend – und zahlt sich oft aus.

STANDARD: 2014 haben Sie den Chemienobelpreis erhalten. War das eine Genugtuung?

Hell: Natürlich habe ich mich sehr gefreut, ich war aber auch überrascht. Denn ich wusste, dass man die STED-Mikroskopie noch weitertreiben kann. Damals waren wir bei einem Faktor zehn an Verbesserung der Auflösung angelangt, aber mir war klar, konzeptionell kommt man runter bis auf Molekülgröße. Und das wollte ich machen – und hatte ein bisschen das Gefühl: Was wollt ihr jetzt mit dem Preis, ich bin ja noch nicht durch.

STANDARD: Inzwischen liegt die Auflösung der Fluoreszenzmikroskopie auf molekularer Ebene. Sind Sie jetzt am Ziel?

Hell: Ja, wir sind bei der maximalen Auflösung angelangt. Man kann das jetzt in verschiedenen Spielarten machen, da kann man sicher noch einiges in der Anwendung verbessern. Aber konzeptionell sind wir am Limit angekommen. (David Rennert, 4.11.2021)