Wie kann globale Solidarität im Klimaschutz gelingen? Es braucht Wissenschaft und Zivilgesellschaft, sagt Stefan Lehne von Carnegie Europe.

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Foto: AP / Scott Heppell

Wenn die Pandemie einen Probelauf darstellt, um die noch größere globale Herausforderung des Klimawandels zu bewältigen, dann bieten die bisherigen Entwicklungen wenig Anlass zur Zuversicht. Statt globale Solidarität zu bewirken, hat die Gesundheitskrise überall auf der Welt nationalen Egoismus verstärkt. Staaten wandten sich nach innen und hatten nur mehr den Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger im Blick. Geopolitische Gegensätze wurden schärfer, das Nord-Süd-Gefälle hat sich vertieft, und das multilaterale System zeigt tiefe Sprünge.

Nichts verdeutlicht das mehr als der ungleiche Zugang zu Impfstoffen. Von den bis September hergestellten 5,7 Milliarden Dosen wurden 73 Prozent nur in zehn Ländern eingesetzt. Nur drei Prozent der Bevölkerung Afrikas wurden bis heute geimpft. Ähnliches gilt für die zur Stabilisierung der Wirtschaft eingesetzten Mittel: Die reichen Länder mobilisierten 16 Billionen US-Dollar. Gerade ein Prozent dieser Summe wurde den ärmeren Ländern dafür zur Verfügung gestellt.

Grenzen der Diplomatie

Dieser Anstieg des nationalen Egoismus ist auf die Logik der Ausgrenzung zurückzuführen, die der Bekämpfung eines ansteckenden Virus inhärent ist. Durch Barrieren und Einschränkungen wird seine Ausbreitung eingedämmt; die "drinnen" werden von denen "draußen" geschützt. Diese Einengung des Blicks – verschärft durch die Panik angesichts einer neuartigen Bedrohung – war wohl politisch unvermeidbar, aber sie ist kurzsichtig. Um die Pandemie zu besiegen und neue gefährliche Mutationen zu verhindern, muss die Krankheit in allen Erdteilen überwunden werden. Das Scheitern der globalen Verteilung des Impfstoffes zeigt, wie schwer diese Einsicht in praktische Politik umzusetzen ist.

"Leider eignet sich die heutige politische Organisation der Welt nur schlecht für die Bewältigung eines globalen Problems."

Während der Kampf gegen die Pandemie internationale Solidarität tendenziell verringert, setzt die Bekämpfung des Klimawandels diese voraus. Es ist unsinnig, globale Erwärmung von einem bestimmten Gebiet fernhalten zu wollen. Sie ist bereits überall. Ihre Eindämmung übersteigt naturgemäß den Rahmen nationalen Handelns. Entweder wird sie durch konzertierte Anstrengung auf globaler Ebene erreicht, oder sie wird scheitern.

Leider eignet sich die heutige politische Organisation der Welt nur schlecht für die Bewältigung eines globalen Problems. Denn die UN-geführte Klimadiplomatie kann zwar gemeinsame Ziele formulieren und Überwachungs- und Koordinationsmechanismen einsetzen, letztlich hängt jedoch alles vom konkreten Handeln der einzelnen Länder ab. Aber während nationale Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie das Virus fernhalten oder Infektionen reduzieren können, sind nationale Schritte zur Verlangsamung des Klimawandels nur zielführend, wenn andere Akteure ähnliche Schritte unternehmen.

Beliebte Ausrede

Der relativ geringe Anteil des einzelnen Landes an der Gesamtmenge der Emissionen ist die beliebteste Ausrede für Untätigkeit. Anhaltende Zweifel an der Ernsthaftigkeit der größten Produzenten von Emissionen wie China und USA können zu Defätismus führen. Und wechselseitige Schuldzuschreibungen unterminieren das Gefühl gemeinsamer Verantwortung. Erfolg und Misserfolg der Klimaverhandlungen in Glasgow werden daher danach zu bemessen sein, inwiefern alle relevanten Akteure glaubwürdig darlegen, wie sie die Vorgaben des Pariser Abkommens umsetzen wollen.

Dieser Imperativ der Solidarität gilt allerdings nur für die Eindämmung der globalen Erwärmung. Wenn es um Anpassung an die durch den Klimawandel veränderten Bedingungen geht, ist die Gefahr eines Rückfalls des Denkens in nationalen Kategorien noch größer. Reiche Länder, die für den Großteil der globalen Erwärmung verantwortlich sind, haben die Mittel, sich vielen der veränderten Umstände anzupassen. Die ärmsten und am meisten betroffenen Länder werden am wenigsten dazu in der Lage sein. Ebenso wie bei der Verteilung des Impfstoffes wird die Versuchung groß sein, die unmittelbaren nationalen Interessen zu priorisieren. Auch in diesem Fall wäre dies kurzsichtig, denn Destabilisierung und Migrationsdruck im Süden werden auf die industrialisierte Welt zurückwirken. In Glasgow ist daher sicherzustellen, dass die in Paris zugesagte Mobilisierung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Unterstützung von Entwicklungsländern endlich umgesetzt wird.

Was Hoffnung gibt

Um Fortschritte bei der Eindämmung der Klimakrise zu ermöglichen, muss der durch die Pandemie bewirkte Rückfall in nationalstaatliches Denken überwunden werden. Die Hoffnung darauf gründet sich vor allem auf zwei Faktoren: Der eine ist die Wissenschaft. Sie hat nicht nur durch internationale Zusammenarbeit in Rekordzeit Impfstoffe produziert. Sie erforscht seit Jahrzehnten alle Aspekte der globalen Erwärmung und legt in großer Einigkeit die Parameter für die Vermeidung eines katastrophalen Ausgangs fest. Und sie arbeitet an technologischen Innovationen, die den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Welt ermöglichen können.

Der zweite Faktor ist die Zivilgesellschaft. Durch die grenzüberschreitende Mobilisierung zahlloser junger Menschen wurde den wissenschaftlichen Erkenntnissen erst politische Wirkungsmacht erkämpft, und die Regierungen wurden gezwungen, das Klimathema ernst zu nehmen. Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind daher die beiden Säulen, auf denen die für die Eindämmung des Klimawandels erforderliche globale Solidarität aufgebaut werden kann. (Stefan Lehne, 3.11.2021)