Die Buch Wien will Begegnungen und Austausch ermöglichen. Wie das im Fall von Gastland Russland klappen wird?

Foto: LCM Nicola Montfort

Wien – Im Vorjahr musste die Buch Wien Corona-bedingt abgesagt werden. Heuer findet sie wieder statt. Die 13. Auflage der Buchmesse wird am 10. November in der Halle D der Messe Wien gestartet. "Ich bin sicher, dass es eine Buchmesse wie früher wird. Zum einen gilt die 2G-Regel, das heißt, es dürfen nur Geimpfte und Genesene in die Halle, man kann sich ohne Masken völlig frei bewegen. Zum anderen haben wir ein gut durchdachtes Crowdmanagement entwickelt, das Ausstellern, Verlegerinnen, Besuchern und Autorinnen entspannte Gespräche, angeregten Weinkonsum und eine Bewegungsfreiheit 'wie früher' ermöglicht", meint Programmleiter Günter Kaindlstorfer.

Die Buch Wien betrachtet Kaindlstorfer als "Wissensfestival", "als Ort, an dem die Fragen der Zeit auf kontroversielle und auch konstruktive Weise diskutiert werden. In den letzten Jahren setzen wir deshalb verstärkt auf ein hochkarätiges Debattenprogramm: Über 'Orbáns Ungarn' wird da ebenso diskutiert wie über den 'Radikalisierten Konservatismus', den die Politikwissenschafterin Natascha Strobl unter anderem in Österreich und den USA am Werk sieht. Und das China Xi Jinpings ist natürlich auch ein Thema – Stefan Aust und Adrian Geiges werden ihre Biografie des chinesischen Autoritaristen vorstellen."

Heikles Thema: Gastland Russland

Eine kontroversielle Diskussion über Russland unter Wladimir Putin sucht man im Programm indes vergebens – dabei ist Russland heuer das erste Gastland der Buch Wien. "Zu Russland mag ich nicht Stellung nehmen", lässt der Programmleiter jedoch wissen, dies sei "nicht meine Baustelle". Tatsächlich ist zwar schon länger in Überlegung, ähnlich wie Frankfurt und Leipzig Gastlandauftritte auch in Wien einzuführen, doch "Russland war gar nicht so sehr unser eigener Wunsch", gibt Buch-Wien-Geschäftsführer Patrick Zöhrer im Gespräch zu. "Das kam 2019 durch den Sotschi-Dialog zustande." Damals wurde Bundespräsident Van der Bellen bei seiner Auslandsreise auch von einer hochkarätigen Kulturdelegation rund um die Salzburger Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler begleitet. Damals wurde die Idee geboren, dass sich Russland auf der Buchmesse in Wien und Österreich vice versa bei der Messe in Moskau präsentieren solle.

Der erste Gastlandauftritt, der sich mit einem 120-Quadratmeter-Stand (doppelt so groß wie die üblichen Messestände) räumlich eher bescheiden ausnehmen dürfte, aber immerhin eine eigene Ausstellung, eine eigenen Bühne und rund 30 Veranstaltungen auf und abseits der Messe aufbieten soll, wird vom seit kurzem in Russland für Literatur zuständigen "Ministerium für digitale Entwicklung" in der Höhe von 47.300 Euro finanziert und inhaltlich vom Institut der Übersetzung in Moskau gestaltet. Dieses ist formal keine staatliche Institution, weswegen laut dem amtsführenden Direktor Jewgeni Resnitschenko etwa auch eine Zusammenarbeit mit den USA möglich ist. Nicht immer freilich ist die angestrebte internationale Begegnung friktionsfrei. So habe der französische Präsident Macron 2019 einen russischen Stand auf der Pariser Buchmesse vermeiden wollen, heißt es.

"Keinen Propagandaauftritt ermöglichen"

Patrick Zöhrer versichert, "nicht blauäugig hineingegangen" zu sein: "Das politische Thema hat uns von Anfang an begleitet, deswegen war es uns wahnsinnig wichtig, das im Gleichschritt mit dem Außenministerium zu machen, wo die Experten sitzen, und keine Alleingänge zu versuchen. Wir wollten natürlich der russischen Regierung keinen Propagandaauftritt auf der Buch Wien ermöglichen, gleichzeitig war es uns bewusst, dass wir da nicht völlig in Opposition gehen können. Deswegen war es wichtig, mit Fingerspitzengefühl bei der Programmgestaltung und der Abwägung der unterschiedlichen Interessen vorzugehen", sagt der Buch-Wien-Geschäftsführer. "Das Prinzip der Buch Wien ist, dass 100 Prozent des Programms kuratiert sind. Jeder Vorschlag wird von uns geprüft und diskutiert. Wir hätten auf jeden Fall die Möglichkeit gehabt, Einspruch zu erheben. Wir haben aber befunden, dass das ein wohldurchdachtes Programm ist und dass da keine Notwendigkeit besteht zu intervenieren."

Resnitschenkos Programmdirektorin Nina Litwinez hat Routine im Programmieren russischer Stände auf führenden Buchmessen, da das Institut immer wieder diesbezügliche Ausschreibungen gewonnen hat. "Bei Programmen als Spezialgast sehen wir unsere Aufgabe üblicherweise darin, die Literatur aus Russland zu präsentieren, sowohl zeitgenössische als auch klassische, Kultur und das Land in einer touristischen Hinsicht zu präsentieren", sagt sie. Als sehr günstig habe sich der Umstand erwiesen, dass in diesen Tagen der 200. Geburtstag von Dostojewski gefeiert werde: "Am 11. November wird es in der Österreichischen Nationalbibliothek einen Abend geben mit russischen und österreichischen Experten, mit einer Lesung aus den 'Brüdern Karamasow' und auch einem musikalischen Teil."

Fiktion statt Kontroverse

Das Institut der Übersetzung konzentriert sich bei der Autorenauswahl auf Fiktion, was allfällige Kontroversen im Sachbuchbereich zu vermeiden hilft, und auf Autorinnen und Autoren, deren Werke auf Deutsch übersetzt wurden. Schwarze Listen mit aus politischen Gründen missliebigen Literaten gebe es keine, beteuern Resnitschenko und Litwinez und erklären, dass ihr Institut etwa auch Übersetzungen von oppositionellen Schriftstellern wie Dmitri Bykow, Dmitri Gluchowski oder auch Ljudmila Ulitzkaja unterstützt habe. Bei der Buch Wien sind nach Ansicht von Kennern indes zwar einige durchaus bekannte Autoren und Autorinnen wie Jewgeni Wodolaskin, Gusel Jachina oder Viktor Remizov vertreten, aber niemand, der den Kreml verstören könnte.

"Ich wähle nichts aus politischen Gründen aus. Auf uns kann man zwar Druck ausüben, aber nicht in der gleichen Form wie auf eine Regierungsstelle. Wir positionieren uns für die Literatur als eine Kunst", sieht Resnitschenko keine diesbezügliche Zensur durch die russische Regierung: "Solange wir diese Institution leiten, ist es unsere zentrale Aufgabe, russische Literatur als Literatur aufzufassen und zu fördern. Es ist uns sehr wichtig, dass ausländische Partner dies nicht ablehnen." Bei der Buch Wien scheint der Konsens mit den Veranstaltern jedenfalls gelungen. Zöhrer freut sich über "ein ausgeglichenes Programm", macht aber gleichzeitig klar: "Im Fall des Gastlandprogramms liegt der Fokus klar auf literarischen Inhalten." (APA, 3.11.2021)