Die Vermeidung von kostspieligen Katastrophen gleicht die kurzfristigen Kosten des ökologischen Wandels aus, sagt EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Gastkommentar.

Delegierte bei der Klimakonferenz COP 26 in Glasgow. Bis 12. November wird in der schottischen Stadt um Lösungen in der Klimakrise gerungen.
Foto: AFP / Daniel Leal-Olivas

Der Klimagipfel COP 26 in Glasgow diese Woche stellt eine einmalige Chance dar, die Weichen für eine CO2-freie Welt zu stellen. Der dramatische Klimawandel wird sich nur abwenden lassen, wenn die CO2-Emissionen auf null reduziert werden. Dieser Übergang muss schnell vollzogen werden, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden sollen. Das Zeitfenster hierfür schließt sich schnell, aber das Wichtigste ist: Es ist noch offen.

Der Übergang wird wohl mit einigen Kosten verbunden sein, er bietet aber auch Chancen. Die Kosten der Solarenergie sind durch die Entwicklung neuer Technologien so stark gesunken, dass sie mittlerweile zu den kostengünstigsten Stromquellen überhaupt gehört. Der Internationalen Energieagentur zufolge könnte sogar mehr als die Hälfte der zusätzlichen Emissionsreduzierungen, die zum Erreichen der Pariser Klimaziele erforderlich sind, ohne zusätzliche Belastung der Stromkunden erzielt werden.

"Wir alle können sehr wohl etwas tun und unseren Teil beitragen."

In der aktuellen Phase können wir aber nicht ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen setzen. In einigen Sektoren ist die erforderliche Technologie noch nicht ausgereift. Wie unsere Volkswirtschaften in 30 Jahren aussehen werden und wie genau der Klimawandel die Zukunft prägen wird, können wir nicht mit Sicherheit sagen.

Diese Unsicherheit kann lähmen, besonders wenn sie mit dem Irrglauben einhergeht, dass wir allein nichts ändern können oder dass es schon zu spät ist. Wir alle können sehr wohl etwas tun und unseren Teil dazu beitragen.

Fairer Übergang

Die Zentralbanken haben in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass ein glaubwürdiges Inflationsziel helfen kann, den Erwartungen in der gesamten Wirtschaft eine klare Richtung zu geben. Genauso können auch Regierungen Orientierung geben. Mithilfe von gut kommunizierten und überzeugenden Wegen für den Übergang können sie Menschen und Unternehmen dazu anregen, sinnvolle und koordinierte Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu ergreifen. Denn durch klare Markierungen lässt sich ein langer und beschwerlicher Weg in leichter zu bewältigende Etappen aufteilen.

Diese Übergangswege erfordern zum Teil eine CO2-Bepreisung, die in vollem Umfang die aktuellen und zukünftigen ökologischen und sozialen Kosten widerspiegelt. Zurzeit sind wir davon noch weit entfernt. Schlimmer noch, 2020 wurden fossile Brennstoffe mit 450 Milliarden US-Dollar explizit subventioniert. Rapide steigende Energiepreise können die Schwächsten in der Gesellschaft treffen. Ein fairer Übergang, dessen Nutzen sich gleichmäßig auf alle verteilen soll, muss darum wohl durchdacht sein.

Um diese Wege zu gehen, sind außerdem erhebliche technologische Innovationen und Investitionen in den Klimaschutz erforderlich. Öffentliche Investitionen können ein Katalysator für private Investitionen sein, und der Finanzsektor muss hier eine wichtige Funktion übernehmen. Finanzinstitute sollten in Übergangsplänen darlegen, wie sie beabsichtigen, sich auf eine CO2-freie Welt umzustellen. Die Glasgow Financial Alliance for Net Zero ist der erste Schritt in diese Richtung. Eine umfassende, weltweit einheitliche und überprüfbare Offenlegung von Daten kann dazu beitragen, dass die Gelder dahin fließen, wo sie am meisten benötigt werden, und gleichzeitig die Gefahr von Greenwashing vermeiden.

Grünes Finanzsystem

Auch Zentralbanken müssen ihren Part übernehmen. Naturkatastrophen und der ökologische Wandel wirken sich auf die Inflation aus und damit auch unmittelbar auf die Gewährleistung der Preisstabilität, das vorrangige Mandat der EZB. Darum befassen auch wir uns zunehmend mit dem Klimawandel. Die Risiken, die von ihm ausgehen, betreffen nicht nur die Banken, die wir beaufsichtigen, sondern auch die Bilanz der EZB.

Mit unserem Anliegen sind wir nicht allein. Etwa 100 Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden aus der ganzen Welt haben sich zum Network for Greening the Financial System zusammengeschlossen. Ziel dieses Netzwerks ist es, die Steuerung von Klima- und Umweltrisiken im Finanzsektor weiterzuentwickeln und Finanzierungen zur Unterstützung des ökologischen Wandels zu mobilisieren.

Die EZB hat sich öffentlich verpflichtet, innerhalb ihres Aufgabenbereichs mit darauf hinzuwirken, dass die Entscheidungsträger durch entschlossenes Handeln die Ziele des Pariser Abkommens umsetzen und die Folgen des Klimawandels eindämmen. Der Klimawandel war auch ein wichtiges Thema unserer jüngsten Strategieüberprüfung, und wir verfügen über einen ambitionierten Fahrplan, an dem sich unser Arbeitsprogramm orientiert.

Kostspielige Katastrophen vermeiden

Unser gesamtwirtschaftlicher Klimastresstest zeigt, welche Vorteile es hat, auf diesem Gebiet frühzeitig zu handeln. Die kurzfristigen Kosten des ökologischen Wandels werden auf lange Sicht dadurch mehr als ausgeglichen, dass kostspielige Katastrophen wie Brände, Hitzewellen und Dürren vermieden werden. Besser nachvollziehbare Zwischenetappen könnten auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 hilfreich sein.

Nun liegt es an uns. Nach der Pandemie haben wir jetzt die Chance zur Erneuerung und Umgestaltung unserer Volkswirtschaften und zu einer Abkehr vom CO2-Ausstoß. Der Weg vor uns mag mühsam wirken. Aber wir kennen unser Ziel, und ein Großteil des Weges ist schon klar erkennbar. Der Übergang zu einer CO2-freien Welt ist der einzige Weg in eine bessere Zukunft für die ganze Menschheit. Um es mit den Worten von Antoine de Saint-Exupéry zu sagen: "Die Zeit zum Handeln ist gekommen. Es ist nie zu spät, etwas zu tun." (Christine Lagarde, 4.11.2021)