Vor allem im Alter sind Frauen von Armut betroffen.

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Eine warme Wohnung ist in Österreich keine Selbstverständlichkeit. Die Energiekosten steigen, und die Wohnungspreise zu stemmen ist in bestimmten Gegenden ein monatlicher Kraftakt, den viele oft nicht mehr schaffen. Vor allem Frauen, vor allem Alleinerzieherinnen. In Österreich sind 501.000 Frauen und damit 14 Prozent aller Frauen sowie 430.000 Männer und 291.000 Kinder armutsgefährdet. Die Stadt Salzburg gehört zu den teuersten Gegenden in Österreich. Der richtige Platz also für die Caritas, um auf Armut, insbesondere bei Frauen, aufmerksam zu machen.

45 Prozent der Beratungen bei der Caritas zum Thema Armut drehten sich um Probleme mit Wohnkosten, sagte Michael Landau, Caritas-Österreich-Präsident, am Mittwoch im Haus Elisabeth in Salzburg, wo Sozial- und Wohnberatungen angeboten werden und sich ein Tageszentrum mit Verpflegung, Ruhebereichen sowie Duschen und WCs für Menschen in Not befindet. Ein paar Häuser weiter wurden gerade 34 leistbare Wohnungen mit etwa 30 Quadratmeter Fläche für Frauen in Not fertiggestellt, die die Caritas ab Jänner 2022 vergibt.

Schneise in die Altersarmut

Frauen haben in den vergangenen Monaten vermehrt die Einrichtungen der Caritas in Anspruch genommen. Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie könnten die Probleme für Frauen noch verschärfen. Zwischen Februar 2020 und März 2021 ist die Zahl der Frauen ohne Job um 40 Prozent gestiegen, bei den Männer waren es 25 Prozent.

"Viele Frauen sind am Ende ihrer Kräfte", sagt Caritas-Generalsekretärin Anna Parr. Die strukturelle Benachteiligung wurde durch die Pandemie verschärft, und Teilzeitarbeit und Berufsunterbrechungen schlagen weiter eine Schneise in die Altersarmut. 13,9 Prozent der Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, Frauen über 65 Jahren sind mit 17 Prozent überdurchschnittlich betroffen. Bei alleinstehenden Frauen liegt die Armutsgefährdung sogar bei 25 Prozent. Die niedrigen Frauenpensionen sind oft das Ergebnis von jahrelanger unbezahlter Sorgearbeit: Im Jahr 2020 arbeiteten 72,8 Prozent der Frauen zwischen 25 und 49 Jahren mit Kindern unter 15 Jahren Teilzeit – bei den Männern waren es nur 6,9 Prozent.

Bei Daniela Brodesser, die als Betroffene sprach, war es nicht die Pension, sondern zwei schwere Krankheitsfälle, weshalb die Familie in die Armut rutschte. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal in diese Situation kommen würde, erzählt die Mutter von vier Kindern. Die Lohnarbeit musste den Betreuungspflichten weichen. Dabei war die finanzielle Not gar nicht das Schlimmste, erzählt die Oberösterreicherin. Es waren etwa die Geburtstagseinladungen, die ihre Kinder nicht mehr annehmen konnten, weil kein Geld selbst für ein kleines Geschenk da war. Dass sie dann irgendwann gar keine Einladungen mehr kommen würden, die Kinder irgendwann ausgeschlossen werden, "das war es, was mir am meisten zugesetzt hat", erzählt Brodesser. Hinzu kamen Beschämungen. "Ihr wollt ja gar nicht richtig", "Du bemühst dich zu wenig" – irgendwann zog sie sich ganz zurück. Zwei, drei Jahre isolierte sie sich – irgendwann kam eine Demütigung zu viel dazu, und sie beschloss, auf Twitter über Armut zu schreiben.

Fuß fassen

Heute bekommt sie an manchen Tagen weit über hundert Direktnachrichten von Armutsbetroffenen. Sie fragen, was sie tun sollen – und brauchen oft auch nur einen Anstoß, sich an Hilfseinrichtungen zu wenden, erzählt Brodesser. Ihr und ihrer Familie geht es heute besser. Sie fordert, dass Betroffene endlich ohne Scham über Armut sprechen können, dass die Beschämung – die auch von der Politik ausgeht, wenn von "sozialer Hängematte" oder "Anreize schaffen" gesprochen wird – aufhört. Und: dass von Armut betroffene Menschen ein Recht auf soziale Teilhabe bekommen.

Daniela Brodesser gehört zu den wenigen, die öffentlich über ihre Erfahrungen mit Armut spricht und schreibt.
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Michael Landau fordert eine Reform der Sozialhilfe neu, österreichweit einheitliche bedarfsgerechte Mindestrichtsätze, eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengelds auf eine existenzsichernde Grundlage und eine Beibehaltung der Notstandshilfe. Ebenso solle der Familienbonus umgestaltet werden. Derzeit profitieren davon Familien mit mittleren bis höheren Einkommen, Kinder sollten aber unabhängig vom Einkommen der Eltern davon profitieren, so Landau. Gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit nennt Anna Parr als wichtige Armutsprävention. Frauen verdienen in ihrem gesamten Erwerbsleben um 500.000 Euro weniger, rechnete die Arbeiterkammer zum Equal Pay Day am 25. November vor.

Auch eine Reform des Unterhaltsvorschusses sei dringend geboten, bei der endlich eine Anpassung der Regelbedarfsätze vorgenommen und ein Mindestunterhalt für jedes Kind sichergestellt werde.

Auch das Thema Gewalt hänge mit Armut zusammen. Finanzielle Abhängigkeit lässt viele Frauen zu lange bei gewalttätigen Partnern bleiben. Ab Jänner stehen nun Wohnungen für Frauen zur Verfügung. Für rund zwei Jahre können Frauen dort einen sicheren Platz bekommen und werden auch bei der Job- und Wohnungssuche begleitet. 399 Euro müssen die Frauen selbst für die Wohnung bezahlen. Nie bekäme sie dafür etwas Vergleichbares, schon gar nicht als Alleinerziehende, sagt eine künftige Bewohnerin und Mutter von zwei kleinen Kindern bei der Besichtigung der noch leeren Wohnungen. Die 399 Euro schafft sie, ebenso, in etwa zwei Jahren auf eigenen Beinen zu stehen – mit eigener Wohnung und neuem Job. Denn auch ihr Job als Reinigungskraft in einem Hotel war mit Corona weg. Jetzt freut sie sich auf den Einzug in eine frisch renovierte Wohnung. "Das ist optimal, um erst mal wieder Fuß zu fassen zu können." (Beate Hausbichler, 4.11.2021)