Wer sein Zuhause mit einem Hund teilt, kennt das vermutlich: Man spricht seinen Vierbeiner an, und dieser neigt seinen Kopf, scheint aufmerksam zu lauschen. Man gewinnt beinahe den Eindruck, er fragt sich verdutzt, was ihm da wohl erzählt wird oder was genau man von ihm will. Obwohl der fragende Ausdruck Ungläubigkeit oder Verwirrung zu suggerieren scheint, sind sich Verhaltensforscher keineswegs darüber einig, was es tatsächlich damit auf sich hat.
Manipulation oder besserer Blick
Theorien gibt es freilich einige. Manche Forscher vermuten hinter dem schräg gestellten Kopf ein soziales Signal – vielleicht weiß der Hund, dass wir auf diese besondere Kopfhaltung positiv reagieren. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Form von tierischer Manipulation. Andere mutmaßen, dass uns der Hund so besser hören kann oder genauer: dass er dadurch die Quelle eines Geräuschs genauer orten kann. Eine andere Studie wiederum kommt zu dem Schluss, dass ein Hund auf diese Weise unser Gesicht, insbesondere die Mundpartie, besser sehen kann (weil ihm seine Schnauze den Blick ansonsten teilweise versperrt).
Ein im Fachjournal "Animal Cognition" veröffentlichte Untersuchung liefert Hinweise darauf, dass der geneigte Kopf tatsächlich ein Zeichen von Konzentration und erhöhter Aufmerksamkeit sein dürfte – also nicht (nur) ein Signal für Empathie. Bei ihrer Studie ging es den Wissenschaftern um Andrea Sommese von der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest zunächst darum, wie gut sich Hunde verschiedener Rassen die Namen unterschiedlicher Spielzeuge merken können.
Reizverarbeitung
Der Großteil der insgesamt 40 jungen Hunde konnte die Spielzeugbezeichnungen zwar nicht behalten. Sieben Border Collies präsentierten jedoch ein bemerkenswertes Talent für diese Aufgabe. Die ursprünglich zum Hüten von Schafen in Großbritannien gezüchteten Hunde hatten neben ihrer Begabung für das Erlernen von Wörtern noch etwas gemeinsam: Alle sieben Collies neigten deutlich häufiger ihren Kopf, wenn sie angesprochen wurden, als ihre nicht ganz so fähigen Artgenossen anderer Rassen.
Die Daten wiesen jedenfalls ziemlich eindeutig auf die besondere Bedeutung dieses Verhaltens hin: Im Rahmen der Experimente hielten die Collies ihren Kopf in 43 Prozent der Fälle schief, während die übrigen 33 Hunde diese Geste nur in zwei Prozent der Versuche zeigten. "Es scheint, als gebe es eine Verbindung zwischen dem Erfolg beim Erkennen eines benannten Spielzeugs und der Kopfneigung beim Hören der Spielzeugbezeichnung", sagt Shany Dror, Co-Autor der Arbeit. "Wir glauben deshalb, dass das Neigen des Kopfes unmittelbar mit der Verarbeitung relevanter und bedeutungsvoller Reize zusammenhängt."
Die Experimente im Detail
Im Detail liefen die Experimente folgendermaßen ab: Im ersten von den drei in der Studie beschriebenen Tests baten die Forscher 40 Hundebesitzer, ihre Vierbeiner drei Monate lang zu trainieren und einmal im Monat zu testen. Jeder Besitzer brachte dabei seinem Hund die Namen von zwei Spielzeugen bei und forderte ihn dann bei den Tests auf, eines davon aus einem anderen Raum zu holen.
Nur jene sieben Border Collies, die die Namen der Spielzeuge tatsächlich über die gesamte Zeit hinweg verinnerlicht hatten und die monatlichen Tests bestanden, wurden in das nächste Experiment aufgenommen. Nachdem eines der Tiere nach der ersten Phase starb, sollten die sechs verbleibenden Hunde auf die gleiche Weise wiederum drei Monate die Namen von bis zu 13 Spielzeugen lernen.
Einer der Collies, Whisky, brachte bei den Tests in 54 von 59 Fällen das richtige Spielzeug zurück. Zwei weitere waren ebenfalls in über 90 Prozent der Fälle erfolgreich. Die übrigen drei hatten Erfolgsraten zwischen 57 Prozent und 75 Prozent. Im dritten Teil des Experiments sollten die sechs Collies in einer Woche zwölf neue Spielzeugnamen lernen und sich diese Namen dann mindestens zwei Monate lang merken.
Wortanalyse
"Wir wissen, dass sich Hunde jene Wörter leichter einprägen können, die mit Kommandos verbunden sind, beispielsweise 'Sitz' oder 'Platz'. Die Namen von Objekten dagegen merken sich dagegen nur recht wenige Hunde", sagte Dror. Bei den Experimenten der Forscher neigten nur die begabtesten Hunde konsequent den Kopf, nachdem sie einen verbalen Befehl gehört hatten. Dieses Verhalten in Zusammenhang mit der Begabung der Tiere führte das Team zu dem Schluss, dass die Geste mit den Versuchen der Collies zusammenhängt, die Bedeutung eines Wortes zu analysieren. Die Neigung könnte darauf hinweisen, dass die Collies mental einen Spielzeugnamen, den sie hören, mit einem in ihren Erinnerungen gespeicherten visuellen Bild abgleichen.
Aber nicht nur das fiel den Wissenschaftern auf. Als interessant erwies sich auch die Tatsache, dass die Collies – ähnlich wie Menschen Rechts- oder Linkshänder sind – bei der Kopfneigung jeweils bei einer Seite blieben. Ihre bevorzugte Neigungsrichtung blieb über alle drei Experimentphasen hinweg gleich. Die Position der Hundebesitzer vor ihnen hatte dabei keinen Einfluss auf die Kopfneigung. Für die Forscher ist diese Konsistenz ein zusätzlicher Beleg dafür, dass Hunde ihren Kopf neigen, wenn sie einer ihnen gestellte Aufgabe große Aufmerksamkeit schenken.
Nicht nur Border Collies sind so begabt
Obwohl sich bei dieser Studie die Border Collies als besonders begabte Hunderasse hervorgetan hatten, ist das Talent zum Erlernen von Objektnamen nicht nur auf diese Rasse beschränkt. "Unsere Gruppe hat diese Begabung auch bei einem Deutschen Schäferhund, einem Pekinesen und einem Australian Shepherd beobachtet." Bei einer Anfang dieses Jahres veröffentlichten Studie erwies sich auch ein Yorkshire Terrier als ähnlich erfolgreich wie der Border Collie Whisky. (tberg, 6.11.2021)