Christian Pilnacek musste sich am Mittwoch vor dem Strafgericht verantworten.

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Er kam so wortlos, wie er ging. Christian Pilnacek, suspendierter Strafsektionschef, eilte kurz vor Beginn der Verhandlung in den Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien, wo ihm am Mittwoch der Prozess wegen des Vorwurfs der Verletzung des Amtsgeheimnisses gemacht wurde. Eine Schar von Kameraleuten und Fotografen stehenlassend verfügte sich der Angeklagte zunächst in Richtung "Zeugenkammerl" – in die vor der Öffentlichkeit abgeschirmten Räume des Verhandlungssaals.

Rund drei Stunden später verließ Pilnacek den Verhandlungssaal noch vor seinem Anwalt über ebendiesen Weg – einen (nicht rechtskräftigen) Freispruch in der Tasche. Journalisten warteten vergeblich im marmorverkleideten Vorraum des Schwurgerichtssaals: Pilnacek und sein Verteidiger Rüdiger Schender hatten einen diskreteren Ausgang gewählt.

Mit großer Spannung war der Prozess erwartet worden – schließlich war der Angeklagte rund zehn Jahre einer der mächtigsten Beamten im Justizressort. Als Leiter der Strafrechtssektion übte er die Dienst- und Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften aus, zudem führte er die Sektion Legistik. Er kannte alle wichtigen Causen, gilt als exzellenter Jurist – stürzen sollte er schließlich über Chats und unter anderem den Verdacht, dass er eine Hausdurchsuchung bei Unternehmer Michael Tojner verraten habe. Diese Ermittlungen laufen noch. Pilnacek wurde suspendiert, das ist er bis heute.

Anzeige der WKStA "überzogen"

Chatnachrichten mit einer Journalistin des "Kurier", die die Ermittler fanden, brachten ihm dann auch den Strafantrag in Sachen Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäß Paragraf 310 Strafgesetzbuch (StGB) ein. Pilnacek habe der Redakteurin Informationen gegeben, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen eines kritischen Artikels eine Journalistin der "Presse" angezeigt habe, die Staatsanwaltschaft (StA) Wien aber vorhabe, die Anzeige zurückzulegen, also keine Ermittlungen aufnehmen wolle. Die Informationen dazu habe er von der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) bekommen. All das war damals, Mitte Dezember 2020, öffentlich nicht bekannt. Auch die "Presse"-Redakteurin hat zu dem Zeitpunkt nichts davon gewusst.

In seinem Anfangsplädoyer wählte der Staatsanwalt eindrückliche Worte. Zwar räumte er ein, dass "dünnhäutige" Staatsanwälte mit der Anzeige gegen die "Presse"-Redakteurin eine "überzogene" Reaktion gesetzt hätten. Pilnacek aber habe sein Insiderwissen nicht zum Schutz der Pressefreiheit weitergegeben, sondern er habe die Info zu seinem eigenen Vorteil verwenden wollen, um die WKStA "in Misskredit" zu bringen. Mit der lag der Sektionschef damals im Dauerclinch.

Pilnacek ortete Stimmungsmache

Der Staatsanwalt erinnerte daran, dass man den Nachweis dafür im Handy Pilnaceks gefunden habe, "das Handy ist die Tatwaffe", wie er meinte. Und er sprach von "Korruption", da sei Journalismus instrumentalisiert worden. Die Sache mit der Korruption ließ der Angeklagte so nicht stehen; die werde ihm ja gar nicht vorgeworfen, meinte er später zum Vertreter der Anklagebehörde. Und warf ihm "Stimmungsmache" vor. Die Frage, woher er die Informationen über die Anzeige überhaupt hatte, wurde am Mittwoch nicht geklärt, weil Pilnacek dazu nichts sagen wollte. "Warum nicht?", hinterfragte der Staatsanwalt. Weil er nicht wolle, "dass sich andere Personen mit dem Vorwurf der Korruption auseinandersetzen müssen", antwortete der Angeklagte.

Die Weitergabe der Information gestand Pilnacek ein, "das ist mir passiert". Er habe aber – anders als die StA das darstellt – darauf gedrängt, dass diese Information eben nicht gleich veröffentlicht werde, jedenfalls nicht, bevor das Verfahren abgeschlossen und die "Presse"-Redakteurin davon informiert sei. Die Anzeige der WKStA gegen sie habe ihn "empört", wie er zugestand, dass er der WKStA mit seinem Vorgehen habe schaden wollen, das bestritt er aber. Sonst hätte er ja auch darauf gedrängt, dass im "Kurier" rasch darüber berichtet werde. Ihm sei es ums Thema Kritikfähigkeit der Justiz gegangen, damit habe er sich Zeit seines Berufslebens beschäftigt. Anwalt Schender meinte, die Anzeige der WKStA sei ein "strukturelles Problem" .

Keine Interessen gefährdet

Kurz vor 13 Uhr war die Verhandlung vorbei. Pilnacek habe zwar ein Geheimnis weitergegeben, aber das sei nicht dazu geeignet gewesen, ein öffentliches oder berechtigtes privates Interesse zu verletzen, wie es Paragraf 310 StGB erfordere, sagte Richterin Julia Matiasch. Sie habe den Eindruck, dass der Angeklagte der Überzeugung gewesen sei, im Interesse der "Presse"-Redakteurin zu handeln. "Sie haben sich hinreißen lassen, dass Sie was erzählen, haben aber dann doch drauf hingewirkt, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt."

Und: Die Tatsache, dass ein Ermittlungsverfahren nicht öffentlich abzulaufen habe, sei nicht damit gleichzusetzen, dass dieses "geheim sein" müsse, so Matiasch. Nur wenn das Verfahren dadurch erschwert oder verunmöglicht werde, sei dieses öffentliche Interesse verletzt. Die Fähigkeit der Justiz, objektive Entscheidungen zu treffen, sei nicht beeinträchtigt worden. Sie könne daher keine Gefährdungseignung erblicken.

Freispruch nicht rechtskräftig

Die Staatsanwaltschaft gab keine Rechtsmittelerklärung ab, dafür hat sie nun drei Tage Zeit. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig, für Pilnacek gilt die Unschuldsvermutung. (Renate Graber, 3.11.2021)