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Fünfkämpfer Gustav Gustenau hätte sich mehr Konzentration auf das Springreiten gewünscht. Und keine Eliminierung.

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Der 24-jährige Heeresportler schließt ein vorzeitiges Karriereende nicht aus.

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Annika Schleu weinte, ihre Verzweiflung stieg mit jeder Sekunde. Die Trainerin der deutschen Fünfkämpferin, Kim Raisner, rief ihr zu "Hau drauf, hau richtig drauf!". Schleu peitsche ihren Hengst mit der Gerte, sie rammte ihm die Sporen in die Rippen. Die Bilder von den Sommerspielen gingen um die Welt und sorgten für einen Skandal. Um den Olympia-Status nicht zu verlieren, will der Weltverband nun das Springreiten nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris aus dem modernen Fünfkampf gestrichen, eine Ersatzdisziplin ist offen, Radfahren soll eine Option sein. "Der Reitsport ist ein Hindernis für die Entwicklung unseres Sports – in Bezug auf die Praxis und die Kosten", sagt Weltverbandsvizepräsident Joël Bouzou.

Österreichs bester Fünfkämpfer gibt sich im Gespräch mit dem STANDARD ob der Entscheidung enttäuscht. "Das ist ein massiver Eingriff in unsere Sportart. So ist es kein Moderner Fünfkampf mehr", sagt Gustav Gustenau, in Tokio respektabler 16. Der 24-jährige Niederösterreicher legte den perfekten Ritt hin, übertraf mit dem Punktemaximum von 300 Punkten im Springreiten alle Erwartungen und lag nach drei von vier Bewerben nur knapp außerhalb der Medaillenränge.

Anfeindungen

Der moderne Fünfkampf kommt vom Militärsport, zu den Disziplinen zählten bisher neben dem Reiten auch Fechten und Schwimmen sowie ein kombinierter Wettkampf aus Laufen und Schießen mit einer Laserpistole. Olympia-Begründer Pierre de Coubertin persönlich dachte sich den Bewerb vor mehr als 100 Jahren aus, natürlich ohne Laser. Gustenau: "Reiten hat eine große Tradition. Nach der Reform ist das dann ein Triathlon plus. Nämlich plus Fechten und Schießen. Ich kann im Moment nicht sagen, ob ich bereit bin, diesen Weg mitzugehen."

Nach dem Eklat von Tokio schlugen Schleu und ihrer Trainerin Anfeindungen in sozialen Medien entgegen, seither wird debattiert. So manche Experten sagen, Reiten sei grundsätzlich zu überdenken. "Viele von uns Fünfkämpfern reiten sehr gern. Aber wir wissen alle, dass der Springwettkampf unsere Träume platzen lassen kann. Keiner von uns wünscht sich diese Art des dramatischen Spektakels", sagte Schleu in der deutschen Zeit.

Sportgerät oder Partner

Der Deutsche Tierschutzbund hatte nach den Vorkommnissen in Tokio Strafanzeige gegen Schleu und Raisner gestellt, wegen Tierquälerei. Einen Monat nach dem Wettkampf sprach die Disziplinarkommission des Weltverbandes Schleu vom Vorwurf des übermäßigen Gebrauchs von Gerte und Sporen frei. "Der Skandal von Tokio hat Probleme aufgezeigt, die nicht von heute auf morgen entstanden sind. Mein Team und ich sehen das Springreiten schon seit Jahren kritisch", sagt Gustenau.

Was das Reiten im Rahmen des modernen Fünfkampfes so schwierig machte, ist das Reglement, wonach die Athleten ihre Pferde zugelost bekommen und erst 20 Minuten vor dem Wettbewerb kennenlernen können. "Ist das Pferd hier reines Sportgerät statt Partner?", fragt sich Gustenau, der gerne einen anderen Weg gegangen wäre als der Weltverband, es auch im Fünfkampf für möglich hält, gut und pferdegerecht zu reiten.

Konzepte ohne Wert

Der österreichische Fünfkampfverband (ÖVMF) hatte dem Weltverband ein Konzept vorgelegt, dieses beinhaltete eine stärkere Kooperation der nationalen Verbände (Reitsport und Fünfkampf), eine Reitlizenz als Voraussetzung sowie verpflichtende Springreitbewerbe und Prüfungen abseits der Fünfkämpfe.

Gustenaus Fokus liegt auf dem Reiten, er besitzt drei Pferde. Damit ist er allerdings eine Ausnahme: Die Konkurrenz aus strukturschwächeren Ländern hat oft keine eigenen Pferde zur Verfügung, trainiert wird auf Verbandspferden. Ein derartiges Angebot gibt es in Österreich nicht, weil der ÖVMF dafür keine Ressourcen hat.

"Es muss sich etwas ändern, sie müssen handeln", sagt Kim Raisner. "Von der Tradition her gehört Reiten zum Modernen Fünfkampf, aber wenn sich die Gesellschaft wandelt und das Reiten nur für negative Publicity sorgt", schade dies dem Sport eher.

2024 will der Weltverband den Wettkampf auf 90 Minuten verkürzen. Gustenau: "Es war bis dato schon schwer, fünf Disziplinen an einem Tag zu absolvieren. Worum geht es dann? Wer sich schneller umzieht? Oder wer schneller am Klo war?" (Florian Vetter, 4.11.2021)