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Viele Worte und Versprechen, wenige konkrete Handlungen: Demokratien gelten oft als zu wenig effizient und radikal im Kampf gegen den Klimawandel.

Foto: REUTERS/Russell Cheyne

Es sind nicht nur unterschiedliche Interessen, sondern auch politische Systeme, die beim derzeit laufenden Klimagipfel in Glasgow aufeinandertreffen: Demokratien wie Deutschland oder Österreich, in denen Klimaschutz das Ergebnis schrittweiser Verhandlungen, Diskussionen und Kompromisse ist, ebenso wie Autokratien wie China, wo per Regierungsanordnung innerhalb eines Jahres Solarparks in der Größe österreichischer Kleinstädte aus dem Boden gestampft werden.

Es sind Zahlen wie letztere, die einige Wissenschafterinnen und Klimaaktivisten teilweise explizit oder implizit mit manchen Elementen autoritärer Systeme im Osten liebäugeln oder sie – zumindest an der Fähigkeit von Demokratien, mit dem Klimawandel fertigzuwerden – zweifeln lassen. Um effektiv mit dem Klimawandel umzugehen, sei es notwendig, die Demokratie zumindest eine Zeitlang auszusetzen, argumentierte etwa der britische Wissenschafter James Lovelock bereits vor einigen Jahren. Die Bevölkerung sei zu träge, zudem fehle es ihr an Weitblick, auf den Klimawandel richtig zu reagieren. Demokratien seien zu langsam, Politiker nur an kurzfristigen Zielen interessiert, es fehle an raschen und vor allem radikalen Entscheidungen für den Klimaschutz, lauten auch die Argumente einiger Klimaaktivisten. Mit kleinen Reformen und Veränderungen lasse sich die Klimakrise nicht sinnvoll bekämpfen.

Forderung nach Öko-Autoritarismus

Die scheinbar bessere Alternative, die hinter einigen Argumenten immer wieder mitschwingt: eine von erfahrenen Experten geleitete Regierung, die von oben herab harte und radikale Maßnahmen setzt, dabei festgefahrene Interessen hinter sich lässt und zum Teil sogar bestimmte Freiheitsrechte einschränkt, um schnell und konsequent gegen den Klimawandel vorzugehen. Die Klimakrise erscheint in dieser Anschauung wie ein technisches Problem, das sich mit dem nötigen Wissen und Werkzeugen lösen lässt.

Ein solcher Öko-Autoritarismus wäre jedoch nicht nur unrealistisch – und existiert derzeit nirgendwo –, sondern auch problematisch, sagen viele Politikwissenschafterinnen und Politikwissenschafter. Denn soziale Konflikte wären ausgeklammert, ebenso wie viele andere Fragen: Wer würde die Expertinnen und Experten auswählen? Wie und durch wen würden sie kontrolliert werden? Nicht zuletzt entspricht das Bild, wonach Autokratien schneller und effizienter im Umgang mit der Klimakrise sind, kaum der Realität.

"Historisch betrachtet schneiden gut entwickelte Demokratien beim Umgang mit der Klimakrise besser ab als autoritäre Staaten", sagt Claus Leggewie, Politikwissenschafter an der Justus-Liebig-Universität Gießen, zum STANDARD. Allerdings seien die Maßnahmen beider Regierungsformen bisher suboptimal. Weder autoritäre Staaten wie China noch etablierte Demokratien wie die USA, Österreich oder Deutschland schaffen es derzeit, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren. So hat sich beispielsweise China bisher auf keine neuen und ambitionierteren Klimaziele festgelegt. Mehr als 200 Kohlekraftwerke befinden sich in dem Land in Bau, 60 Prozent des Stroms stammen nach wie vor aus Kohle. Demokratien wiederum hatten in vielen Fällen wesentlich mehr Zeit zu industrialisieren und stoßen daher bereits seit weit längerer Zeit Treibhausgase aus als die meisten Autokratien.

Aktivere Zivilgesellschaft

Dass autoritäre Staaten beim Klimaschutz aktuell meist schlechter abschneiden als Demokratien, belegen auch Studien, wie eine vor wenigen Monaten erschienene Untersuchung der Universität Göteborg: Demnach gebe es in Demokratien meist weniger Korruption, mehr Umweltorganisationen und eine aktivere Zivilgesellschaft, was zu einem besseren Umwelt- und Klimaschutz beitragen kann. Auch die Legitimität bei der Umsetzung von Maßnahmen sei in Demokratien höher.

Anstatt weniger Demokratie bräuchten wir im Kampf gegen die Klimakrise daher in Zukunft mehr beziehungsweise eine verbesserte Demokratie, argumentieren viele Politikwissenschafter. Denn allein an der Bevölkerung scheitert es jedenfalls nicht. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 sprechen sich beispielsweise 88 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher für verbindliche Maßnahmen aus, die CO2-Emissionen im Land zu senken und klimaschädliche Subventionen abzuschaffen. Fast drei Viertel sehen die Klimakrise als Bedrohung für Wirtschaft und Arbeitsplätze.

Problem bei politischer Elite

"Die Hauptverantwortlichen für die Verzögerung beim Klimaschutz sind nicht mehr die Industrie oder die Verbraucher, die ihren Lebensstil nicht ändern wollen, sondern die politische Elite, die zu stark auf Lobbygruppen hört", sagt Leggewie. Diese habe sich zu lange Zeit gelassen, es fehle an einer politischen Führung, die das Problem ernst genug angehe. Zudem müssen Demokratien laut dem Experten schneller und effizienter werden, was stark mit der Regierungsorganisation zusammenhänge. "Klimaschutz müsste in einem übergreifenden Ressort verankert sein, dem sich alle anderen Ressorts unterordnen müssen", sagt Leggewie.

Auch die Idee sogenannter Klimabürgerräte hat seither an Fahrt aufgenommen. Dabei soll eine für die Bevölkerung repräsentative Gruppe an Bürgerinnen und Bürgern zusammenkommen, um über notwendige Klimaschutzmaßnahmen zu diskutieren. Die Vorschläge sollen anschließend der jeweils zuständigen Regierung übermittelt werden. In einigen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Dänemark oder den USA wird derzeit mit diesen Bürgerräten experimentiert. Auch in Österreich soll es ab diesem November einen Klimarat mit 100 Menschen geben, der sich an sechs Wochenenden treffen soll und von Klima- sowie Umweltforscherinnen und -forschern beraten wird.

Ins Gespräch kommen

"Die Bürgerräte bieten den Menschen die Möglichkeit, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, und können so Begegnungsräume schaffen", sagte die Politikwissenschafterin Tamara Ehs. Eine zufällige Auswahl der Teilnehmer garantiere, dass unterschiedliche Einkommens- und Bildungsklassen zusammenkommen.

Auch die französische Philosophin Cristina Lafont glaubt, dass sich mithilfe "wohlüberlegter" öffentlicher Diskurse die Demokratie nicht nur retten, sondern auch stärker im Kampf gegen die Klimakrise einsetzen ließe. Allerdings bringen auch Bürgerräte eigene Probleme mit sich, die sich darum drehen, welche Durchsetzungsfähigkeit sie haben und wer sich daran letzten Endes beteiligen will und wird.

Ohne den Willen in der Politik werden Bürgerräte wohl wenig bewirken. Sie könnten aber – gemeinsam mit anderen neuen politischen Bürgerbeteiligungen – vielleicht ein wenig dazu beitragen, Klimaschutz Schritt für Schritt und sozialverträglich umzusetzen. So wie es in einer gut funktionierenden Demokratie sein sollte. Bleibt nur noch zu hoffen, dass auch autoritäre Staaten die Trendwende schaffen. (Jakob Pallinger, 6.11.2021)