"Eltern für Youngkin" – eine Folge der republikanischen Konzentration auf die "Critical Race Theory".

Es ist, so viel lässt sich im Nachhinein sagen, ein Meisterstück des politischen Framing. Glenn Youngkin, der republikanische Kandidat für den Gouverneursposten in Virginia, betritt am Montag die Bühne im Bezirk Loudoun zu seiner Abschlusskundgebung. Im Publikum haben sich bereits Anhängerinnen und Anhänger versammelt, die ahnen, was gleich kommt. Viele tragen Schilder mit Aufschriften wie "Eltern für Youngkin". Dann legt der Kandidat los.

Amerika, sagt er unter anderem, sei, "das beste Land auf diesem Planeten". Man wisse aber auch, dass es dunkle Seiten der Geschichte gebe. Alles davon, sagt er, müsse man in der Schule lehren. "Wir sind alle gleich geschaffen, und wir versuchen, den unsterblichen Worten von Dr. Martin Luther King zu folgen, dass wir einander nach unserem Charakter beurteilen und nicht nach unserer Hautfarbe." Dann aber kommt der rhetorische Haken. Gerade weil das alles so sei, so der Republikaner, müsse man "politische Agenden" aus den Klassenzimmern fernhalten. Und daher wiederum, fährt er fort, müsse man Diskussionen über die "Critical Race Theory" in Schulen verbieten. Diese nämlich, meint er, bringe Gruppen gegeneinander auf.

Von Gegnern zur Theorie gebaut

Die Verurteilung der "Critical Race Theory" (CRT), eines seit den 1980ern bestehenden politologischen Konzepts, ist zur Säule republikanischer Wahlkämpfe geworden – erfolgreicher Wahlkämpfe, wie sich am nächsten Tag zeigen sollte, als Youngkin seinen demokratischen Gegner Terry McAuliffe im Rennen um das Gouverneursamt schlug. US-Medien rücken seither die Diskussion über Schulen, Rassismus und Antirassismus ins Zentrum – und die Frage, wie sehr die Debatte den Demokraten mittlerweile schadet.

Den Republikanern ist das Meisterstück gelungen, sich in einer Streitfrage mit den Worten Martin Luther Kings zu schmücken, den Antirassismus zu verkünden und zugleich das Verbot von Antirassimus-Trainings, von Worten wie "soziale Gerechtigkeit" und Sklaverei-Geschichtsprojekten zu fordern.

Nebenbei haben sie CRT in ihrer Kampagne zu einem Theoriekonstrukt gebaut, das es in dieser Art in der akademischen Forschung zwar als Überbegriff, nicht aber als konzise Theorie gibt und das in Schulen bisher auch nicht gelehrt wurde.

Struktureller Rassismus

Wissenschaftliche Arbeiten, die im Umfeld der CRT veröffentlicht wurden, haben teils sehr unterschiedlichen Thesen, aber doch einige Gemeinsamkeiten. Eine der augenfälligsten ist, dass Rassismus nicht – oder nicht nur – als schlechte Eigenschaft einzelner Menschen verstanden wird, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Systems.

Sehr verkürzt: Alle wachsen in einer Gesellschaft auf, in der bestimmte soziale Regeln gelten und in denen manche Dinge als selbstverständlich vorausgesetzt und stets wiederholt werden, andere unhinterfragt als falsch.

Wer in einer solchen Gesellschaft aufwachse, lerne automatisch auch rassistische Grundannahmen. Besonders dann, wenn diese Gesellschaft nur 150 Jahre vom Ende der Sklaverei und noch viel kürzer vom offenen Rassismus entfernt ist. Und weil dies alles unbewusst passiere, hätten auch Menschen, die den Rassismus intellektuell ablehnen, meist unbewusst rassistische Vorurteile.

Die CRT schließt daraus: Auch wenn Gesetze formell Chancengleichheit bieten, besteht diese im echten Leben nicht. Auch wer sich selbst als "farbenblind" sehe, habe Vorurteile. Und benachteiligt oder bevorteilt werden Menschen dabei nicht einzeln, sondern als Angehörige von Gruppen. Kurz: Auch wer nicht an biologische "Rassen" glaube – die von der CRT abgelehnt werden –, müsse sehen: Weiße profitieren von einem System, das sie selbst errichtet haben und das die Chancen Schwarzer minimiere.

Kinder-Schuldgefühle

Die Republikaner argumentieren umgekehrt. Nicht die Gesellschaft teile in schwarze und weiße Menschen, sondern die CRT selbst. Das trage zur Bildung von Gruppen und zur Spaltung bei und verursache bei weißen Kindern Schuldgefühle. Was sie davon ableiten: In der Schule dürfte über solche Theorien nicht gesprochen werden. Anders gesagt: Würden die obenstehenden drei Absätze in einem Schulbuch in Virginia stehen, wäre das nach den republikanischen Vorschlägen ein Grund, dieses zu verbieten.

Ist die CRT aber nun überhaupt ein Programm der Demokraten? Nein, die wenigsten demokratischen Politiker würden sich dem Obenstehenden so anschließen. Allerdings verteidigte der Demokrat McAuliffe im Wahlkampf in Virginia das Recht von Expertinnen und Experten sowie Lehrpersonal, über den Lehrplan zu entscheiden – das könnten nicht Eltern allein tun. Das schadete ihm offenbar bei der Wahl.

Schnelle Ausweitung

Die Republikaner haben derweil erkannt, wie sehr das Thema zieht. Und sie nutzen dies, um die Debatte weiter zu verschieben. Die Schulbehörde in Utah etwa legte jüngst fest, eine ganze Reihe von Wörtern seien "Euphemismen für CRT" – darunter "Antirassismus", "Multikulturalismus" sowie "Unterdrückte und Unterdrücker". Kurzum: CRT soll zur Waffe gegen eine ganze Reihe sozialer Forderungen werden. Christopher Rufo, ein konservativer Stratege, räumte dies jüngst auf Twitter offen ein. "Ziel ist es, dass die Leute, wenn sie irgendwas Verrücktes in der Zeitung lesen, sofort denken: Critical Race Theory." Man habe "die Marke" erfolgreich in die öffentliche Debatte eingeführt, und "wir schaffen es, sie in einen ständig negativeren Kontext zu setzen. Irgendwann wird sie toxisch sein."

War die Debatte aber nun wirklich, wie vielfach behauptet, ausschlaggebend für Youngkins Sieg? Das ist offen. Primäres Belegstück ist bisher eine Umfrage von Fox News nach der Wahl. In dieser gaben 25 Prozent der Befragten an, die Debatte sei ihre wichtigste Frage bei dieser Wahl gewesen, von ihnen wählten 70 Prozent Youngkin und 30 Prozent McAuliffe. Ob es sich bei ihnen wirklich um Menschen aus der Mitte der Gesellschaft handelte oder um überzeugte Anhänger beider Kandidaten, die einfach das wichtigste Motiv der Wahlkampagne wiedergaben – das ist offen. (Manuel Escher, 4.11.2021)