Eine kleine Dosiermaschine mit großer Wirkung für ganze Generationen. Felix Brooks-church sagt Mangelernährung den Kampf an.

Foto: Rolex/Leah Kidd

Auch wenn die Zahl in den vergangenen Jahrzehnten reduziert werden konnte, leiden noch immer etwa 800 Millionen Menschen weitweit an Hunger. Dazu kommt ein Phänomen, das Entwicklungshelfer den "verborgenen Hunger" nennen. Er betrifft Menschen, die zwar ausreichend Kalorien aufnehmen, deren Ernährung aber so unausgewogen ist, dass sie an Mangelerscheinungen leiden. Ihnen fehlen Mineralstoffe wie Eisen und Zink, Vitamine oder Folsäure. Mit schlimmen Folgen: Sie entwickeln kein starkes Immunsystem, sind kränklich und schwach. Sie sterben nicht an Hunger, aber vielleicht an Malaria oder Blutarmut (Anämie). Global sind laut Welthungerhilfe zwei Milliarden Menschen – ein Viertel der Menschheit – von Mangelernährung betroffen, die meisten in Afrika, Südamerika und Asien.

Gerade eine Unterversorgung von schwangeren Frauen und Kleinkindern ist folgenschwer. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind später im Leben kaum mehr wettzumachen. Für Felix Brooks-church war es eine prägende Erkenntnis, dass der Mangel an den sogenannten Mikronährstoffen eine so weitreichende Wirkung hat – die, wie er sagt, bis hin zu Lernschwächen und Beeinträchtigungen in der kognitiven Entwicklung reichen. Als Entwicklungshelfer, der sich etwa um Straßenkinder in Kambodscha kümmerte, schöpfte der US-Amerikaner daraus eine neue Aufgabe. Er wollte von der ausschließlichen Behandlung von Armutssymptomen zur Prävention wechseln. "In Kambodscha konnten wir uns nur um etwa 100 Kinder kümmern. Es gibt aber Millionen wie sie. Ich versuchte also, einen Weg zu finden, nicht nur punktuell, sondern auf breiter Basis zu helfen", sagt Brooks-church.

Fehlender Zugang zu angereicherten Lebensmitteln

Diesen Weg fand er auch. Er traf auf Stanford-Forscher David Dodson, der sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie Grundnahrungsmittel wie Mehl mit Mikronährstoffen angereichert werden können, um eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen – eine als Fortifikation bezeichnete Technik, die auch in westlichen Staaten üblich ist. Beispielsweise ist Speisesalz in Österreich jodiert, um Mangelerscheinungen vorzubeugen.

Dodson beschäftigt sich allerdings mit Strategien im industriellen Umfeld – für Produkte, deren Lieferketten in Supermärkten enden. Die Bewohner vieler ländlicher Gegenden in Teilen Afrikas, Asiens oder Südamerikas beziehen ihre Nahrung aber nicht aus Supermärkten, sondern bei lokalen Anbietern. Damit fehlt auch der Zugang zu den angereicherten Lebensmitteln.

Brooks-church, der mit Dodson als Co-Gründer das Sozialunternehmen Sanku gründete, trat an, diesen "fortification gap", diese Lücke in der Versorgung, zu schließen. "Man muss die Nahrungsmittel dort anreichern, wo sie produziert werden – auch in den Städten oder Dörfern Afrikas", sagt Brooks-church. In Tansania, wo er nun seit acht Jahren lebt, sind es, wie in vielen anderen Staaten des Globalen Südens, kleine Getreidemühlen, die die Landbevölkerung mit Mehl versorgen – Anlagen, die jeweils nur für wenige Tausend Menschen produzieren. Für Brooks-church wurden sie zum Zentrum seiner Bemühungen. Sie werden nun mit einer eigens entwickelten Technologie zur Anreicherung ausgestattet.

Praxistaugliche Technik

Dafür entwarfen Studierende der Stanford University das Konzept einer Maschine, die in der Mühle die Nährstoffe in der richtigen Konzentration beimischt. Brooks-church verbrachte Jahre mit der Umsetzung einer Lösung, die auch in den ländlichen Gegenden Ostafrikas bestehen konnte. "Das Gerät verfügt grundsätzlich über zwei Funktionen: Es wiegt das Getreide, das oben in die Mühle hineinkommt. Auf dieser Basis wird die richtige Menge an Mikronährstoffen kalkuliert, die dann mit einem eigenen Dosiergerät ausgegeben wird", erklärt er.

Knapp 2,4 Millionen Menschen erhalten bereits mit wichtigen Mineralien angereichertes Mehl. Ende des Jahrzehnts sollen es allein durch das Projekt 100 Millionen sein.
Foto: Rolex/Leah Kidd

Das Gerät ist durchaus Hightech: Sensoren überwachen die automatisierten Funktionen, ein Computermodul steuert alle Vorgänge. Über eine Mobilfunkverbindung kann die Anlage aus der Ferne überwacht werden. Die Technik durfte keine zusätzliche Arbeit für den Müller verursachen. Der einzige Unterschied für ihn: Er schüttet das Getreide nun nicht mehr direkt in die Mühle, sondern in die darauf angebrachte Dosieranlage. Nachfüllen von Nährstoffen und Warten der Anlagen erledigt ein Service-Team von Sanku.

Auch auf der ökonomischen Seite war ein Lern- und Entwicklungsprozess notwendig: "Unser Geschäftsmodell entstand aus einem Misserfolg", sagt Brooks-church. Der traditionelle Ansatz, wonach die Müller die Nährstoffe kaufen und die Kosten an ihre Kunden weitergeben sollten, schlug fehl. "Wir haben dann aber einen Weg gefunden, die Kosten zu neutralisieren", sagt der Sanku-Gründer. Die neue Systematik fokussiert auf Betriebsmittel, für die die Müller ohnehin bereits Geld ausgeben – die Mehlsäcke. Sanku kauft diese nun für alle beteiligten Mühlen in großen Mengen ein und erhält dadurch einen entsprechend günstigeren Preis, die Müller zahlen aber die gewohnten Beträge. Aus dieser Spanne werden die Mikronährstoff-Nachschübe finanziert.

Meilenstein erreicht

Das Konzept geht auf: Im September erreichten Brooks-church und sein Team einen Meilenstein – Mühle Nummer 600 wurde ausgestattet. Auch Zuwendungen wie ein zuletzt erhaltener Preis für Unternehmergeist der Uhrenmarke Rolex fließen in den Betrieb des Sozialunternehmens. 2,4 Millionen Menschen konsumieren nun bereits das angereicherte Mehl. In den nächsten Jahren soll Sanku in weitere Länder Ostafrikas expandieren. Kleinere Projekte gibt es bereits in Kenia, Malawi und Ruanda, zählt Brooks-church auf. "Unser Ziel ist, in den nächsten fünf Jahren 25 Millionen Menschen zu erreichen und in einem Jahrzehnt 100 Millionen." Zudem gebe es bereits Interessenten aus anderen Weltgegenden – etwa aus Pakistan und Indien.

Brooks-church ist ein Kosmopolit. Noch bevor er zehn Jahre alt war, lebte er mit seinen Eltern in sieben verschiedenen Ländern. Er ist studierter Geologe und war als Grafiker tätig, bevor er in die Entwicklungszusammenarbeit wechselte. Sein Ernährungsprojekt wurde zur Lebensaufgabe. "Täglich sterben 8000 Kinder in Verbindung mit Mangelernährung. Diese Zahl wollen wir mit der Zeit verringern", sagt Brooks-church. Doch es geht auch um die Bedeutung der Maßnahme für ganze Gesellschaften und Nationen. "Die Kinder wachsen mit stärkerem Immunsystem auf und können sich in der Schule besser konzentrieren", sagt der Gründer. "Durch den Magen einer Generation von Menschen kann man die Entwicklung eines ganzen Landes starten." (Alois Pumhösel, 5.11.2021)