Simulationsforscher Niki Popper sieht irgendwann Sättigungseffekte durch weitere Geimpfte und Genesene. Wie lange das noch dauern wird, ist aber unklar.

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Die Zahlen bei den Corona-Neuinfektionen werden in nächster Zeit noch "weiter nach oben gehen", sagt der Simulationsforscher Niki Popper. Eine "Sättigung" – also ein Abflachen der Kurve, weil durch durchgemachte Infektionen und Impfungen kaum mehr ansteckbare Menschen bleiben – sei vielleicht nicht weit weg. Bitter sei aber die Erkenntnis, dass es jetzt wieder Maßnahmen brauche, die man sich bei nur rund zehn Prozent mehr Geimpften sparen könnte.

Trotz der zuletzt dramatischen Fallzahlenentwicklung – am Donnerstag wurden österreichweit 8.594 Neuinfektionen gemeldet – ist ein flächendeckender Lockdown für Popper aus vielen Gründen "undenkbar". Im Endeffekt befinde sich Österreich in einem Wechselspiel, in dem die Grunddynamik durch die Delta-Variante schon nach dem Sommer relativ hoch war, sich dann durch den günstigen saisonalen Effekt einigermaßen auf einem Plateau hielt und nun ansteigt.

Bis wohin genau es gehen könnte, kann der Experte nicht sagen, denn es gibt viele Faktoren, die hier mit wirksam sind. Zuerst ist das die Immunisierungsrate durch die Impfung oder eine durchgemachte Erkrankung. "Die Hoffnung war, dass, wenn die Grunddynamik stärker wird, wir das durch die Immunisierung ausgleichen können. Jetzt sehen wir, dass das nicht der Fall ist. Das prognostizieren wir aber seit Sommer", betont der Wissenschafter der Technischen Universität Wien und des TU-Spin-offs DWH, der Teil des Prognosekonsortiums ist.

Höhere Impfquote nötig

Das Credo "Es ist nicht vorbei" und "Wir brauchen mehr Neugeimpfte" hätten Experten in den vergangenen Wochen nicht umsonst wiederholt. Die Neuimpfungen seit September alleine hätten offensichtlich nicht ausgereicht, um das Fortschreiten abzufedern. "Wir sind aber nicht weit entfernt", so Popper.

Als dritter Faktor kommen verstärkt wieder Eindämmungsmaßnahmen ins Spiel. Die jetzt gesetzten und in Aussicht gestellten Maßnahmen seien "zumindest in den ersten Stufen (des Plans der Bundesregierung, Anm.) nicht sehr stark". Außerdem kämen sie spät und würden erst mit Zeitverzug wirksam. Ob der Bund und die Länder hier nun wirklich etwas bei den Neuinfektionen bewirken können, sei schwer einzuschätzen.

Relativ klar sei, dass die Effekte auf die Belegung der Intensivbetten durch Covid-19-Patienten in der nächsten Woche in Richtung 400 gehen werden. Die direkten Auswirkungen der neuen Maßnahmen auf die entscheidende Krankenhaussituation haben jedoch einen gehörigen Zeitverzug in Richtung Mitte Dezember. Popper: "Der Zug fährt jetzt."

Sättigungseffekte erwartet

Irgendwann kämen dann allerdings auch Sättigungseffekte durch weitere Impfungen und die jetzt stark steigenden Genesenenzahlen dazu. "Das wird regional unterschiedlich sein", so Popper. Besonders paradox: Gerade in jenen Gegenden, in denen die Inzidenzen aktuell besonders hoch sind, könnte sich das Blatt zuerst wenden. Große Genugtuung sollte sich dann dort aber nicht einstellen, denn der Preis für diese Strategie des Nichtsehens der Zusammenhänge sei hoch. "Das ist das Ärgerliche daran. Hätten wir in manchen Bereichen nur zehn Prozent mehr Geimpfte, müssten wir über all das gar nicht diskutieren", so Popper.

Gesamtgesellschaftlich habe sich Österreich für eine Strategie entschieden, bei der man die Pandemie in Teilbereichen auch durchlaufen lässt – mit all den Folgewirkungen. "Jetzt müssen wir damit zurechtkommen." Das gelte für jene, die keine Gefährdung erkennen wollen, ebenso wie für jene, die sich anders verhalten. Aufpassen müsse man laut Popper, dass die verschiedenen Seiten nicht weiter polarisiert werden.

Viele Hoffnungen hegt der Simulationsforscher hinsichtlich der vermutlich bald kommenden Impfoption für Kinder unter zwölf Jahren. Denn auch in Gegenden mit einer hohen Impfrate unter der aktuell impfbaren Bevölkerung zeige sich, dass die Ansteckungen unter Menschen, die etwa wegen ihres geschwächten Immunsystems keinen ausreichenden Schutz aufbauen können, und jungen Menschen weitergehen – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau.

Letztlich sehr wichtig seien die nun hoffentlich bald Fahrt aufnehmenden Drittimpfungen, die dem Nachlassen der Wirksamkeit nach rund sechs Monaten entgegensteuern. Diese werden dann ihren Effekt am Beginn des neuen Jahres zeitigen. "Das Impfen muss daher die Hauptstrategie bleiben", betont Popper. "Man muss eben nachimpfen. Es ist das kleine Übel." (APA, 4.11.2021)