Es ist ernüchternd und erschreckend zugleich. Das Wüten der Pandemie ist wie ein Déjà-vu – und dabei liegt der besonders infektionsfördernde Winter noch vor uns. "Wie soll es weitergehen?", fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger angesichts von Positivenzahlen, die von Tagesrekord zu Tagesrekord jagen, und Krankenhäusern, in denen Ärzteschaft und Pflegepersonal erneut um das Leben hunderter Covid-19-Erkrankter kämpfen.

Tritt Österreich nun in eine Phase zusätzlich verstärkter Konflikte ein, weil die Regierung mit dem angekündigten Lockdown für Ungeimpfte zeitnah Ernst macht und dann viele Menschen vor für sie verschlossenen Büro- und Beisltüren stehen? Was dann von jenen an Inhalten und Ton zu erwarten ist, die die Maßnahmen kritisieren, hat FPÖ-Chef Herbert Kickl am Donnerstag schon vorweggenommen.

Die Regierung habe auf einen "experimentellen Impfstoff" gegen Corona gesetzt – "und da rede ich noch gar nicht von den Toten, die auf sein Konto gehen", sagte Kickl. Der Vorsitzende einer gewichtigen Oppositionspartei, der einen Topos radikaler Impfgegner verbreitet, wider sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien zu den mRNA-Impfstoffen: Das ist ein innenpolitischer Skandal.

Aus der Bundeshauptstadt Wien kommen mutige und klare Ansagen.
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Möglicherweise aber werden Schallenberg, Mückstein und Co bei der Corona-Bekämpfung über ihre bisherigen Pläne noch hinausgehen müssen – und entgegen ihren wiederholten Ankündigungen erneut Zugangsbeschränkungen für alle dekretieren. Wirklich ausgeschlossen erscheint ein solcher allgemeiner Lockdown nicht, obwohl eine Sprecherin des Kanzlers am Donnerstag den Corona-Stufenplan weiterhin als "Unterkante der Maßnahme" bezeichnete. Immerhin hat die Wucht der zunehmenden Inzidenzen diese Schritt-für-Schritt-Vorlage schon jetzt überrollt.

Pandemiesommer verschlafen

Politisch kämen neuerliche Lockdown-Schritte für alle einer Bankrotterklärung der Anti-Corona-Politik gleich – zumindest jener im zweiten Halbjahr 2021, als man von der hochinfektiösen Delta-Variante schon wusste. Es käme klar heraus, dass auch der zweite Pandemiesommer im Großteil Österreichs verschlafen wurde.

Tatsächlich fragt man sich angesichts der aktuellen hektischen Bemühungen in etlichen ÖVP-regierten Bundesländern, um ein PCR-Test-Regime aufzubauen, warum man damit nicht schon im August angefangen hat. Und infolge der einhelligen Aussagen von Fachleuten, dass sich Österreich mit einer höheren Durchimpfungsquote einen guten Teil der vielen Neuinfizierten, Covid-Erkrankten und -Toten der vergangenen Wochen erspart hätte, erinnert man sich mit Zorn an die langen Monate ohne massive und gut organisierte Impfkampagne. Statt die Chance am Schopf zu packen und das höchstbelastende Virus-Joch abzuschütteln, sonnte man sich damals in Wohlfühlaussagen des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz.

Die Pandemie sei für Geimpfte vorbei, behauptete dieser – und lullte beachtliche Teile der Öffentlichkeit damit ein. Da freut man sich als Kontrastprogramm über die nunmehrigen klaren Ansagen, die aus der Bundeshauptstadt Wien kommen. Nur Geimpfte und Genesene im Beisl, eigens organisierte Impfaktion für sechs- bis zwölfjährige Kinder. Das ist der Mut, den wir jetzt dringend brauchen. (Irene Brickner, 4.11.2021)