Arbeit ist eine spezielle Droge: Sie führt zum Erfolg, ist gesellschaftlich erwünscht, kann jedoch gleichzeitig zu einer großen Belastung für Betroffene werden. DER STANDARD sprach mit zwei Mitgliedern der Anonymen Arbeitssüchtigen, einer spirituellen Selbsthilfegruppe. Sie erzählen, wie sie irgendwann nicht mehr anders konnten, als 16 Stunden zu arbeiten. Und wie sie ihre Sucht heute kontrollieren.

Eine Betroffene berichtet: "Gestern habe ich 16 Stunden gearbeitet"

Es begann schon bei der Ausbildung. Ich habe mich von einer in die nächste gestürzt. Sobald ich etwas fertig hatte, bin ich in ein Stimmungstief gefallen. Es hat mich zwar gefreut, dass ich etwas erreicht habe, gleichzeitig war da eine Leere.

Also habe ich die nächste Ausbildung begonnen. Mein Studium habe ich berufsbegleitend gemacht und neben dem Job viele Stunden gelernt, am Wochenende oft den ganzen Tag. Da war immer die Angst, eine Prüfung nicht zu schaffen, weshalb ich noch mehr gelernt habe. Mittlerweile bin ich in meinen 30ern und in einer leitenden Funktion in einem Labor. Ich habe ein hohes Verantwortungsgefühl und bin auch sehr perfektionistisch, was natürlich zu mehr Arbeit führt.

Auch in der Freizeit mache ich mir viel Stress und Druck. Ich merke, dass ich es schwer aushalte, einmal unverplant zu sein. Ich habe immer das Gefühl, etwas zu versäumen, egal ob privat oder beruflich. Das macht einen irrsinnigen Druck. Mein Ex-Partner war Manager und ebenfalls arbeitssüchtig, und wir haben uns gegenseitig gepusht. Schlussendlich ist daran unsere Beziehung nach 19 Jahren in die Brüche gegangen. Durch die viele Arbeit stumpft man emotional ab. Auch meine sozialen Kontakte wurden mit der Zeit immer weniger. Meine Priorität war woanders.

Schwere körperliche Folgen

Die Arbeitssucht hat sich bei mir auch körperlich ausgewirkt. Ich hatte mein ganzes Studium lang Gastritis, konnte zeitweise nicht mehr gut schlafen. Durch den Kaffee bin ich außerdem nervös. Einmal ist es mit wirklich nicht mehr gut gegangen – es war wohl eine Art Burnout –, und ich bin zu den Anonymen Arbeitssüchtigen gegangen. In der Gruppe sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Berufen. Viele Selbstständige, aber auch Lehrer und sogar Hausfrauen.

Nun beschäftige ich mich viel mit mir selbst und versuche, Dinge aufzuarbeiten. Einmal geht es mir besser, dann wieder schlechter. Ich versuche jetzt, nicht mehr als zehn Stunden pro Tag zu arbeiten, und mache öfter Pausen. Ich setze mir auch selbst Grenzen, wie beispielsweise vor acht Uhr morgens nicht ins Internet zu gehen. Aber es ist eine Herausforderung für mich, weniger zu tun. Man dürfte es eigentlich gar nicht laut sagen: Gestern habe ich 16 Stunden gearbeitet.

Die Interviewte ist Anfang 30 und arbeitet als leitende Angestellte in einem Labor.

Auch wenn alle anderen schon längst im Feierabend sind, fällt es Betroffenen von Arbeitssucht schwer, den Job ruhen zu lassen.
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Wie die Sucht verläuft: "Bis ich mein Problem realisierte, dauerte es"

Es gibt verschiedene Muster bei der Arbeitssucht. Manche Arbeitssüchtige sind erfolgsfixiert, andere arbeiten viele Stunden pro Woche. Ich war nie der klassische Überarbeiter. Bei mir war es eher die Art des Arbeitens, die mich an meine Grenzen gebracht hat: heftig, schnell, unter großer Anstrengung und darauf ausgerichtet, möglichst viel in kurzer Zeit weiterzubringen. Wenn ich arbeite, bin ich außer Atem, und alles tut mir weh. Aber ich ignoriere das und mache einfach weiter.

In jungen Jahren ist das noch irgendwie gegangen, aber ab 30 oder 40 habe ich gemerkt, wie es mir schadet. Ich habe mich wie gelähmt, wie paralysiert gefühlt. Es machte alles keinen Sinn mehr für mich, wie bei einer Depression. Bis ich realisiert habe, dass ich ein echtes Problem habe, hat es jedoch noch einige Jahre gedauert.

Verbissen und fixiert

Ein weiteres Muster war, dass ich mir zu viel gleichzeitig vorgenommen habe. Anstatt Altes zu erledigen, habe ich über neue Projekte nachgedacht, in der Theorie schien es weniger aufwendig. Dabei habe ich den Überblick verloren, was eigentlich alles zu tun ist. Irgendwann war alles zu viel, ich war überlastet, und ich habe gar nichts mehr fertiggebracht.

Nicht nur unter der Woche, im Büro, auch am Wochenende habe ich intensiv gearbeitet. Im Garten habe ich so fest umgegraben, dass es mich richtig erschöpft hat. Als die Kinder noch klein waren, wollte ich unbedingt etwas für sie bauen. Ich war so verbissen, so fixiert darauf. Einmal habe ich eine Hütte gebaut, und dabei ist ein schlimmer Unfall passiert: Ich habe mit einer Hacke auf Holzblöcke eingeschlagen, so heftig, dass mir die Hacke aus der Hand geglitten ist und ein Nachbarskind verletzt hat. Es musste im Spital genäht werden. Das war ein Wahnsinnsschreck.

Der erste Schritt war, zuzugeben, dass ich alleine machtlos bin gegen mein Problem. Die Anonymen Arbeitssüchtigen haben mir geholfen, obwohl ich zuerst skeptisch war. Ich habe begonnen, mir einen Tagesplan zu machen und aufzuschreiben, was ich in vier Stunden erledigen will. Ich mache dann nicht mehr und nicht weniger. Wenn es jetzt wieder so anfängt, dass ich außer Atem bin, dann mache ich eine Pause. Dadurch geht es mir besser. Mittlerweile bin ich in Pension, aber habe immer noch einige ehrenamtliche Ämter. Die Arbeit hat mich also nicht ganz losgelassen.

Der Interviewte war vor seiner Pensionierung selbstständiger Wirtschaftstreuhänder.

(Protokolle: Lisa Breit, 8.11.2021)