Wien – Ein "Personal gesucht"-Schild gehört mittlerweile zum Inventar in Gastronomie und Tourismus. Zu Buche stehen der historische Wirtschaftseinbruch vom Vorjahr kombiniert mit den aktuell rasant steigenden Infektionszahlen. Es braucht kein Wirtschaftsstudium, um zu erkennen, dass es bei diesen beiden Branchen noch hapert. Keine Besserung in Sicht.

Im Rest der heimischen Wirtschaftslandschaft sieht die Situation deutlich besser aus, sogar etwas Optimismus darf sich breitmachen. Zu diesem Schluss kommt der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria in einer aktuellen Auswertung: "2022 werden fast alle Wirtschaftsbereiche die Krise überwunden haben", heißt es da. Insbesondere Industrie, Bauwirtschaft und Handel würden mit einem deutlichen Plus gegenüber der Vorkrisenzeit dastehen.

Foto: Agenda Austria

Risikofaktor Lieferkette

Einen kaum einzuschätzenden Risikofaktor stellen Ausfälle in internationalen Lieferketten dar. "Lieferkettenprobleme zum Beispiel aus China sind die wackelige Unbekannte in allen Prognosen. Es gibt immer noch Probleme beim Stahl, den Chipmangel gab es bereits vor Corona und er wurde noch schlimmer", sagt Agenda-Austria-Ökonom Marcell Göttert im Gespräch mit dem STANDARD. Der konjunkturelle Aufschwung werde sich dennoch nicht aufhalten lassen, Lieferkettenprobleme könnten ihn jedoch verlangsamen.

Das sagt der Blick in die Daten, in der täglichen Praxis fangen Leute allerdings allmählich an zu verzweifeln. Nicht nur in China gibt es Verzögerungen, vor der Haustüre sind die Lohnverhandlungen bei den Metallern so hart wie seit Jahren nicht. "Materialengpässe, Personalmangel, Lohnverhandlungen, ständig wechselnde Vorgaben aus der Politik": Robert G. klingt frustriert. Der Installateur aus Niederösterreich mit 35 Mitarbeitern hat Arbeit genug. Die Umstände seien aber äußerst unerfreulich, sagt er. Die Proteste bei den Metallern, die auch seine Branche beliefern, würden wohl dafür sorgen, dass er noch größere Probleme in Sachen Materialengpässe bekomme. Dennoch sei ein ordentliches Plus wirklich angebracht, vor allem jetzt, wo die Preise so steigen, sagt der Unternehmer.

In der momentan hohen Inflation erkennt Ökonom Göttert kein "nachhaltiges Problem". Im Laufe des kommenden Jahres werde sie sich wieder senken. "Die viel zitierten Nachholeffekte sind gut zu beobachten." Er geht jedoch davon aus, dass bei der Inflationsrate künftig ein Zweier vorne stehen bleibt.

Die meisten Branchen sind bereits "über den Berg". Doch genau am Berg tut sich zu wenig, um den Tourismus anzukurbeln.
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Zwischen Freud und Leid

In der Industrie geht die Agenda Austria von einem Plus von fast vier Prozent gegenüber 2019 aus, im Bau von drei Prozent. Im Handel von 6,7 Prozent, im Energiesektor von knapp über neun. Die Handelszahlen gilt es allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn der Handel wird hier in seiner Gesamtheit betrachtet. Während der Lockdowns ging es systemrelevanten Betrieben freilich besser als einem Schmuck- oder Kleidungsgeschäft. Der Thinktank bezieht sich auf Wifo-Daten und aktuelle Quartalszahlen der Bruttowertschöpfung in den jeweiligen Sektoren und des Bruttoinlandsprodukts.

Auch hier ertönen weniger euphorische Stimmen aus der Praxis. Fritz Walch ist dank Bauboom grundsätzlich gut durch die Corona-Monate gekommen. Dennoch: Der Aufwand, sein Geld zu verdienen, werde immer höher, sagt der Geschäftsführer der Salzburger Lüftungstechnikfirma GPU-Riedl aus Wals-Siezenheim. Eigentlich kann er sich vor Arbeit gar nicht erwehren und verzweifelt dennoch schier an der aktuellen Lage. "Maskentragen auf den Baustellen oder in Krankenhäusern", die ebenfalls zu seinen Kunden gehören, "das ist schwierig bei körperlicher Schwerarbeit", sagt Walch. 3G, 2,5G für die Beschäftigten, "es wird immer komplizierter", die Spaltung zwischen Impfspektikern und -befürwortern geradezu unerträglich. Dazu kämen jetzt auch noch Krankenstände dazu. Von überwundener Krise also weit und breit nichts zu sehen.

Sorgenkind

Trüb bleiben hingegen die Aussichten in der Kultursparte und im Tourismus. "Solange die Pandemie nicht beendet ist, werden diese Bereiche auch nicht zum Vorkrisenniveau zurückkehren können. Auch wenn der Sommertourismus heuer ein neues Rekordniveau erreicht hat, sind sowohl der Wintertourismus als auch der Städtetourismus noch weit von einem normalen Umfeld entfernt", sagt Göttert. Speziell auf den Städtetourismus warte auch nach der Pandemie noch eine lange Zeit der Erholung. Und starker Sommertourismus könne das Loch vom Winter nicht stopfen. (Andreas Danzer, Regina Bruckner, 6.11.2021)