Keine Sicherheit vor Corona: Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) im Wahlkampf.

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Sicher ist, wer sich sicher fühlt. Insbesondere in pandemisch schwierigen Zeiten ist dieses emotionale Basisgefühl entscheidend. Dafür sorgen soll die Politik. Die Welt scheint komplett aus den Fugen, doch sie bleibt als Rettungsanker. Kompetentes Krisenmanagement fußt eben auch auf der Kompetenz, glaubhaft zu vermitteln, dass man noch Herr der Lage ist.

Wirft man aktuell einen Blick nach Oberösterreich, wähnt man sich eher im politischen Frühschwimmerkurs als im fachlich fundierten Rettungsschwimmerbereich. Über Wochen hat nämlich die fatale Mischung aus österreichweit niedrigster Impfquote, höchster Zahl an Neuinfektionen gepaart mit den bundesweit niedrigsten PCR-Testungen die Landespolitik nur mäßig aus der Ruhe gebracht.

Jetzt, da längst nicht nur mehr Feuer am Dach ist, sondern schon die halbe Covid-Hütte brennt, wo allein am Freitag 2461 Neuinfektionen registriert wurden, wagt sich die Landespolitik aus der Deckung und setzt konkrete Maßnahmen.

Doch das Gefühl der Sicherheit will sich nach den jüngsten Auftritten der obersten Landeskrisenmanager nicht so recht einstellen – vom misslungenen Fernsehauftritt Carmen Breitwiesers, Leiterin des Krisenstabs, bis hin zur Antwort Gesundheitslandesrätin Christine Haberlanders (ÖVP) auf die Frage nach dem Warum: "Die Dynamik der vierten Welle war für alle überraschend", sagte sie.

These eins: Wahltaktik bremste Maßnahmen

Dieses Erstaunen mag vor allem damit zusammenhängen, dass man bis zum 26. September, dem Tag der Landtagswahl, das Thema Corona weitgehend ausgespart hatte. Aus parteitaktischer Angst, den Wähler mit unliebsamen Maßnahmen zu vergraulen, drückten ÖVP, Grüne und SPÖ gemeinsam auf die Corona-Pausetaste.

Das Feld wurde der FPÖ – "Die Impfung ist nicht der Gamechanger (Manfred Haimbuchner) – und der Impfverweigererpartei MFG überlassen. Das Ergebnis spricht für sich: MFG zog mit 6,23 Prozent aus dem Stand in den Landtag ein, und im aktuellen Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ sind dem Kapitel Corona gerade einmal fünf Zeilen gewidmet.

These zwei: Starke FPÖ, schwächelnde Impfquote

Mit der Ausweitung der PCR-Tests wird man in Oberösterreich nun im Innviertel beginnen – dort, wo die FPÖ ihre blauen Hochburgen hat. Die Impfquote ist hier im Keller, der Bezirk Braunau etwa hinkt mit gut 50 Prozent österreichweit hinterher. Und der Juniorpartner in der Landesregierung propagiert die Schutzimpfung nicht. Stattdessen kündigte Haimbuchner an, dass er die 2,5G-Regelung kritisch sehe und sie prüfen lassen wolle.

Dass derlei von politisch blauer Seite kommt, ist laut Christian Kreil, Ethnologe und Autor des "Stiftung Gurutest"-Blogs beim Standard, kein Zufall. Hier setze sich, wenn auch in modernisierter Form, eine Denkrichtung mit Wurzeln im Nationalsozialismus fort, der nicht nur, aber auch in Oberösterreich eine starke Anhängerschaft hatte. "Damals wurde auf die ‚jüdische Schulmedizin‘ geschimpft. Heute ist es die ‚moderne Schulmedizin‘", sagt Kreil.

Tatsächlich ist die Corona-Impfung das Ergebnis modernster Wissenschaft. Wer dieser radikal ablehnend gegenübersteht, wie es in Teilen Esoterik- und Alternativmedizin-Szene der Fall ist, hat mit dem Vakzin daher seine Not. Stattdessen werden unwirksame Kügelchen und Tropfen propagiert – sowie manch brandgefährliche Alternative. Man denke etwa an das Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin, das FPÖ-Parteichef Herbert Kickl Covid-19-Erkrankten anrät.

These drei: Niedrige Impfquote, hohe Inzidenz

Wie jedoch erklärt ein seit Pandemiebeginn mit Aussagen über sie beschäftigter Wissenschafter die explodierenden oberösterreichischen Fallzahlen? Was auf jeden Fall sehr negativ zu Buche schlage, sei die niedrige Impfquote, sagt Simulationsforscher und Mitglied des Covid-Prognose-Konsortiums Niki Popper: "Dort, wo die Impfquote höher ist, ist die Infektionsdynamik reduzierter. Dort, wo sie niedriger ist, ist die Dynamik stärker. Ich muss mir keine Inzidenzen anschauen, um zu wissen, wo es rundgeht, ich brauche nur einen Blick auf die Impfkarte zu werfen."

Laut Prognostiker Niki Popper wurde Oberösterreich die niedrige Impfquote zur Falle.
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Im Detail erklärt, gebe es in der Infektionsdynamik drei Bereiche, so Popper: "Wir haben eine Grunddynamik, die wir nicht ändern können, das sind die Saisonalität und die Delta-Variante. Das sind sehr starke Faktoren. Bei Delta reden wir von einer mehr als doppelt so hohen Infektiosität wie vor einem Jahr mit der Wildvariante. Der Einfluss der Saisonalität ist eventuell sogar als noch höher einzuschätzen als jener der Delta-Variante."

Der zweite Bereich, der die Infektionsdynamik beeinflusse, seien die Maßnahmen, Hygiene, Abstandhalten, Maskenpflicht, Testen. Diese würden recht rasch wirken, hätten aber einzeln jeweils nur einen geringen Effekt – und seien vor allem nicht nachhaltig.

Und dann gibt es noch den Bereich der Immunisierung. Die kann durch Genesung entstehen, aber auch, und das ist die viel bessere Variante, durch Impfung. "Und diesen Bereich können wir im Gegensatz zu Saisonalität und Delta sehr wohl steuern. Es dauert natürlich länger als die Maßnahmen, dafür ist es aber auch nachhaltig", betont Popper.

These vier: Strenge bewirkt jetzt kein Wunder

Der weitaus wirksamste Faktor, um das Infektionsgeschehen zu dämpfen, sei die Immunisierung, und genau hier sei auch in Oberösterreich noch vieles nachzuholen. Natürlich würden die jetzt strengeren Maßnahmen einen Unterschied machen, aber, so Popper: "Wunder darf man sich davon keine erwarten. Sie lösen auch das Problem nicht, sie verschieben es nur nach hinten. Werden die Maßnahmen gelockert, gehen auch die Zahlen wieder nach oben."

Überlege man sich dazu noch, dass es zwei bis drei Wochen dauert, bis die Verschärfungen überhaupt greifen, und noch länger, bis sie sich auf die Zahl der Hospitalisierungen auswirken, könne man sich ausrechnen, welche Auswirkungen die Entscheidungen der vergangenen Wochen noch haben können.

These fünf: Impflotterie im Burgenland stimmte positiv

Was aber jetzt in Oberösterreich tun, um die Lage in Griff zu bekommen? Um mehr Menschen zu den Vakzinen zu bringen, wird in dem Bundesland nun unter anderem eine Impflotterie gestartet. Im Burgenland wird diese bereits ausgespielt – am Landesfeiertag, zu Martini, am 11. November. Drei Autos und weitere hochpreisige Tombolagewinne – insgesamt 1000 – werden verlost.

Das damit verknüpfte Impfziel, dass 80 Prozent der impfbaren Bevölkerung zumindest den ersten Stich erhalten haben, wurde in dieser Woche schon übertroffen. Die Infektionszahlen steigen dennoch rasant. Laut Ages lag am Freitag die landesweite Inzidenz bei 406. Die burgenländischen Spitäler merken die Impfquote allerdings sehr wohl. Von den 37 Covid-Patienten liegen drei auf der Intensivstation. Im Vorjahr waren es bei ungefähr gleicher Inzidenz schon zehn.

Was ist das Geheimnis dieses relativen burgenländischen Erfolgs gegen die Seuche? Sicher war die Impflotterie, die Landeshauptmann Hans Peter Doskozil schon im September angekündigt hatte, ein großer Anreiz fürs Impfen. Aber man findet niemanden, der sagen würde, er sei bloß wegen des möglichen Losgewinns impfen gegangen.

Der Effekt dieser Tombola war eher ein kommunikativer: Alle haben darüber geredet; und zwar österreichweit. Diesmal waren es – mit ein paar hämischen Ausnahmen – durchwegs positive Resonanzen. Die sammelten sich im Land auch zu einem gewissen Stolz. Der Landeshauptmann spielt geläufig auf dem Klavier des Lokalpatriotismus.

Auch gab es niederschwellige Impfangebote, zuletzt etwa anmeldefreie Impftage an – im Burgenland darf man das noch so sagen – Respekts-Orten. Am Wochenende hielten zum Beispiel die Bezirkshauptmannschaften offen. Am vergangenen Donnerstag gab es einen Impftag im Landtagssitzungssaal und ein "Meet and Greet" mit Doskozil und der gesamten Landesregierung.

Dem konnte dann auch Altlandeshauptmann Hans Niessl nicht widerstehen: Öffentlichkeitswirksam wurde ihm an alter Wirkungsstätte der dritte Stich verpasst. Dass man sich, ähnlich wie beim Blutspenden, dann bei Schnitzelsemmel und anderem stärken konnte, war da fast zweitrangig.

These sechs: Wiener Konsequenz war richtig

Ohne Verlosungen, aber dafür mit einer in Österreich sonst nirgends praktizierten Maßnahmenkonsequenz gelang es auch in der Bundeshauptstadt Wien, die Corona-Zahlen zu dämpfen. Vorerst, denn dass eine massive Infektionswelle wie derzeit in Oberösterreich und anderen Regionen über kurz oder lang übers ganze Land schwappen wird, weiß man auch im Büro des zuständigen Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ).

Entscheidend dürfte, rückwirkend betrachtet, die pessimistische Einschätzung im Juni gewesen sein, dass die Pandemie alles andere als vorbei sei. Denn während etwa der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit dieser Ansicht durchs Land zog – und die schwarz regierten Bundesländer viele Maßnahmen stoppten –, weitete man in der Bundeshauptstadt die Testpflichten auf Kinder ab sechs Jahren aus.

Gleichzeitig erhöhte man das Impfangebot stark. Impfboxen, Impfbusse und Impfmöglichkeiten bei kulturellen Veranstaltungen sollten es damals vor allem den Jüngeren erleichtern, an die Stiche zu kommen. Um junge Frauen anzusprechen, denen mit Falschmeldungen über angebliche Fruchtbarkeitsprobleme nach der Impfung Angst gemacht wurde, wurden Informationsveranstaltungen organisiert. Zusammen mit Influencern verbreitete man Infos auf Instagram und Tiktok.

Im September dann – die Positivenzahlen zogen langsam an – wurde die Gültigkeit der Corona-Tests verkürzt, bei PCR-Tests etwa von 72 auf 48 Stunden, seit Oktober galt 2G in der Nachtgastronomie und bei Großevents. Gleichzeitig wurde wieder verpflichtendes Tragen von FFP2-Masken in Öffis und Geschäften eingeführt.

Damit und mit dem österreichweit mit Abstand umfangreichsten PCR-Test-Angebot "Alles gurgelt", so Hacker-Sprecher Mario Dujakovic, habe man sich in Wien "sechs Wochen Vorsprung" gegenüber den jetzt schwer betroffenen Regionen erwirtschaftet. Mit nachhaltiger Entspannung der Lage rechne man in den kommenden Monaten aber nicht: "Das wird frühestens im kommenden Sommer der Fall sein." (Irene Brickner, Pia Kruckenhauser, Markus Rohrhofer, Wolfgang Weisgram, 6.11.2021)