Ein erleichterter Joe Biden.

Hektik im Kapitol-Gebäude am späten Freitagabend. Abgeordnete und ihre Assistenten huschen durch die Gänge. Bürotüren gehen auf und schließen sich wieder. Gegen halb zwölf Uhr nachts ist der Spuk vorbei. Das Infrastrukturgesetz in Höhe von 1,2 Billionen Dollar hat den US-Kongress passiert – mit 228 zu 206 Stimmen. Der Präsident kann aufatmen. Eines seiner wichtigsten Reformvorhaben ist geglückt. Der Weg zu diesem Votum war gepflastert mit Fettnäpfchen und vielen geplatzten Versprechen, die Biden und seine demokratische Sprecherin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, in diesem Herbst produzierten.

Abstimmungen, die nicht zustande kamen, angekündigte Deadlines, die immer wieder ergebnislos ausliefen. Es geht um zwei Reformpläne, die Joe Biden seinen Wählern versprochen hatte. Bei dem ersten Gesetzespaket handelt es sich um ein Investitionsprogramm, das unter anderem die Reparatur von Straßen, Brücken, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und eine bessere Breitbandversorgung vorsieht. Das zweite Billionen schwere Reformgesetz sieht eine erhebliche Ausweitung staatlicher Leistungen im Sozialwesen vor, etwa beim Elterngeld, bei der Kindebetreuung, der medizinischen Versorgung, aber auch beim Klimaschutz.

Dezimierter Leistungskatalog

Nach massivem Widerstand im konservativen Flügel der Demokraten wurde der Leistungs-Katalog drastisch zusammengestrichen, was wiederum zu Unmut im linken Lager führte. Am Morgen der kurzfristig angesetzten Abstimmung zeigte sich Joe Biden zuversichtlich, dass beide Reformpakete noch am Freitag verabschiedet werden könnten. Doch dann stellten sich überraschend viele Abgeordnete stur – trotz aller Appelle des Präsidenten. Auf einmal hieß es, man wolle nun doch nur über den bereits ausgehandelten Infrastrukturplan abstimmen. Doch auf einmal drohte auch dieser Plan zu platzen, weil sechs progressive Demokraten ihre Zustimmung verweigerten.

"Willkommen in meiner Welt!", scherzte Nancy Pelosi, als die Partei-Sprecherin am Abend vor die Kameras trat. Früher seien Unstimmigkeiten in Vier-Augen-Gesprächen diskutiert worden, klagt sie über die Situation in ihrer Partei. Heute laufe das alles öffentlich über Soziale Netzwerke. Dort tauchten dann Positionen auf, von denen man gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt.

Telefoneinsätze

Statt der geplanten Abreise in den Wochenend-Urlaub mit seiner Frau, verschanzte sich Präsident Biden am Freitagabend mit Vize-Präsidentin Kamala Harris und seinen Beratern im zweiten Stock des Weißen Hauses und führte Telefonate mit abtrünnigen Abgeordneten. Scheinbar mit Erfolg. Die bereits laufende Abstimmung erbrachte spät nachts schließlich die nötige Mehrheit.

Bei der Pressekonferenz am nächsten Morgen spürte man, welche Last Biden von den Schultern gefallen sein muss. "Wir werden Millionen von Arbeitsplätzen schaffen, indem wir unsere Infrastruktur modernisieren", feiert er diesen Durchbruch. Das Gesetz werde den Vereinigten Staaten dabei helfen, sich im wirtschaftlichen Wettbewerb gegen China und den Rest der Welt zu behaupten.

Zweites Paket

Der Präsident gab sich gut gelaunt, fast euphorisch an diesem Vormittag. Was ihn so zuversichtlich mache, dass auch das zweite noch ausstehende Reformpaket durchgehen werde, wollte eine Reporterin wissen. "Me", grinste Biden schelmisch – seine Zuversicht schöpfe er aus sich selbst. Doch der Präsident zeigte sich bei dem Termin im Weißen Haus auch nachdenklich.

Als er auf die Abweichler innerhalb der eigenen Partei angesprochen wird, sagt er: "Ich bin der Meinung jeder einzelne in diesem Prozess verdient es, mit Respekt behandelt zu werden." So habe er das sein ganzes Leben lang gehandhabt. Und so dankte Biden nicht nur den Abgeordneten seiner Partei, sondern auch den Republikanern, die seine Reform unterstützt haben.

US-Medien werten die Verabschiedung des Infrastruktur-Programms als Erfolg für den Präsidenten. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass Biden diesen Sieg vor allem dem politischen Gegner zu verdanken hat. Ohne die Ja-Stimmen von 13 Republikanern wäre sein Reformplan krachend durchgefallen. Eine politische Niederlage, von der sich der Präsident wohl kaum hätte erholen können.

Doch das Votum von diesem Wochenende war nur eine Fingerübung in Anbetracht dessen, was Biden als nächstes bevorsteht: Die Abstimmung über seine hoch umstrittene Sozial-Reform im 50:50-besetzten Senat, bei der kein einziger Parteikollege ausscheren darf, um das Gesetz durchzubekommen. (Richard Gutjahr, 7.11.2021)