Eine Ökojob-Offensive könnte auch integrationspolitische Ziele erfüllen, sagt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger.

Viel wird über den Klimaschutz diskutiert – etwa soeben auch bei der Weltklimakonferenz in Glasgow. Klimaschützerinnen und -schützern ist das viel zu wenig. Sie fordern echte Lösungen ein – und zwar rasch.
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"Grenzen und Klima schützen" – diesen Slogan gab sich die türkis-grüne Bundesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit und brachte damit ihre politischen Ziele zum Ausdruck: progressive Klimapolitik in Verbindung mit repressiver Migrationspolitik. In der Kombination des "Besten aus beiden Welten" wolle man gegen Klimasünden genauso hart vorgehen wie gegen "illegale Migranten".

Bisher hielt man aber trotz der diskursiven Zusammenziehung beide Materien streng getrennt: Asyl- und Grenzpolitik der Türkisen auf der einen Seite, ökologische Themen für die Grünen auf der anderen. Mit der Präsentation der ökosozialen Steuerreform schaffte man es zwar, durch diverse Steuererleichterungen wie die Senkung der Körperschaftsteuer (KöSt) und den höheren Klimabonus für rurale Gebiete auch die schwarze Kernklientel zu bedienen, viel weiter kam man aber beim Zusammendenken der beiden Welten nicht.

Dabei können Klimamaßnahmen gleichzeitig auch zielgerichtete Integrationsmaßnahmen sein, wenn man an den richtigen Stellschrauben dreht. Denn aufgrund einer starken Verknüpfung von ethnischer mit sozialer Herkunft würden in Österreich gerade Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie auf mehreren Ebenen von einer progressiven Klimapolitik profitieren, so sie sozial gerecht gestaltet ist.

Berufliche Erfahrung

Für die ökonomische Integration bieten etwa Green Jobs, also Arbeitsplätze im Umwelt- und Ressourcensektor, durch Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten die Möglichkeit, den stark nach Herkunft segregierten Arbeitsmarkt in Österreich aufzuweichen. Migrantinnen und Migranten arbeiten überproportional häufig in niedrig qualifizierten, prekären und befristeten, jedoch systemrelevanten Tätigkeiten und sind wesentlich stärker als im Inland geborene Arbeitskräfte von Dequalifikation betroffen. Das ist nicht nur auf die geringere Kompetenz in der deutschen Sprache zurückführen, sondern hat neben individuellen vor allem systemische Gründe.

Asylberechtigte sind noch drastischer davon betroffen. Dabei bringen viele der geflüchteten Männer, aber auch Frauen, die in den vergangen Jahren aus dem Mittleren und Nahen Osten nach Österreich geflüchtet sind, berufliche Erfahrung in der Logistik und im Ingenieurwesen mit. Hier bieten sich anknüpfungsfähige Stellen in der Umwelttechnikindustrie, der (erneuerbaren) Energie- und Abfallwirtschaft und im Recycling an. Da Letztere in Österreich in den Bereich der öffentlichen Verwaltung fallen, könnte eine Ökojob-Offensive gleich mehrere integrationspolitische Ziele erfüllen.

"Bestehende Hürden bei der oft langwierigen Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen müssen abgebaut werden."

Investitionen in die Qualifizierung von Green Jobbern kann zudem die Aus- und Weiterbildung von Migrantinnen und Migranten fördern. Bestehende Hürden bei der oft langwierigen Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen für die Arbeit in klima- und systemrelevanter Infrastruktur, die in den kommenden Jahren einen wachsenden Arbeitskräftebedarf aufweisen wird, müssen abgebaut werden. Dass dies realpolitisch möglich ist, hat die Corona-Krise gezeigt: Hürden für Nostrifikationen in Gesundheitsberufen wurden gesenkt, sodass auch eingewanderte Ärzte und Pflegekräfte, die sich noch im Anerkennungsprozess befanden, in Spitälern eingesetzt werden konnten. Nicht zuletzt haben migrantische Green Jobber auch einen Multiplikatoreffekt in ihren Communitys, wenn klimarelevante Themen in ihrer Ausbildung und im beruflichen Alltag zentral sind.

Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft

Auch in der Landwirtschaft sind ausländische Arbeitskräfte überrepräsentiert. Geflüchtete werden häufig als Saisonarbeitskräfte eingesetzt, viele Pendlerinnen und Pendler aus unseren Nachbarländern wie Ungarn finden eine Beschäftigung als Erntehelfer. In der konventionellen Landwirtschaft sind sie häufig Pestiziden und anderen gesundheitsschädigenden Stoffen sowie notorisch schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Gepaart mit Substandard-Unterbringungen in engen, überbelegten Wohnheimen führt das nicht nur in Zeiten einer Pandemie zu gesundheitlicher Belastung, die durch ökonomische Ausbeutung noch verschärft wird. Klimapolitik durch biologischen Ackerbau und Viehzucht und geringeren Pestizideinsatz kann also ganz unmittelbar zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von migrantischen Arbeitern beitragen.

Nicht zuletzt sind auch klimapolitische Maßnahmen im urbanen Bereich mitzudenken. Wie die meisten westeuropäischen Metropolen zeichnet sich Wien durch einen hohen Anteil an Zuwanderern aus. Ihnen kommen öffentliche Investitionen in eine klimafreundliche Stadt in Form von thermischer Sanierung, Stadt- und Fassadenbegrünung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Maßnahmen gegen Energiearmut somit überproportional zugute.

Zentrale Schwäche

Auf indirektem Wege fördert klimagerechte Politik dadurch Chancengleichheit und soziale Inklusion, indem sie mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, gesundheitliche Risiken durch die Klimakrise senkt und besseren Wohnraum schafft. Mittelfristig wirkt das auch der politmedialen Charakterisierung von Migrantinnen und Migranten als die "sozial schwachen" anderen entgegen.

Genau hier zeigt sich aber auch eine zentrale Schwäche der ökosozialen Steuerreform aus einer integrationspolitischen Betrachtung: Die urbane, oft migrantische Bevölkerung erhält im Gegensatz zur Landbevölkerung, unter der der Migrationsanteil geringer ist, den niedrigsten Klimabonus. Gleichzeitig ist sie aufgrund sozioökonomischer Bedingungen früher und heftiger von den Folgen der Klimakrise betroffen und hat weniger Ausweichmöglichkeiten. Sozial gerecht und integrationsfördernd sieht anders aus. (Judith Kohlenberger, 8.11.2021)